Aus den Feuilletons

Der Wochenrückblick

Von Tobias Wenzel · 04.01.2014
Die "FAZ" berichtet über die Himmelsaufnahmen des Künstlers Trevor Paglen. Die "FAS" widmet sich dem 100. Geburtstag des Kriegsbeginns und der "Spiegel" prophezeit, dass Haruki Murakami eines Tages den Nobelpreis erhalten wird.
"Zum Neuen Jahr werden wir in den Himmel blicken und uns über das Feuerwerk oder die funkelnden Sterne freuen",
schrieb Niklas Maak in der Silvesterausgabe der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Oh, wie schön, ein Romantiker, werden einige Leser gedacht haben. Und andere: Was hat der sich denn gespritzt?
Dabei ahnt man schon bei seinen folgenden Worten, dass Maak uns den romantischen Blick in den Himmel für immer verleiden wird:

"Sind das dort oben alles Sterne - oder etwas anderes?",

fragte er. Und berichtete über die Himmelsaufnahmen des US-amerikanischen Künstlers und Bürgerrechtlers Trevor Paglen. Der hat mit seiner Kamera hunderte von Überwachungssatelliten fotografiert, die auf uns hinabschauen.
Für den Träumer Heinrich Heine waren die Sterne noch "die Augen meiner Liebsten":

"Tausendfältig schimmern sie und grüßen freundlich aus der blauen Himmelsdecke".

Heute haben sich Späh-Satelliten, die vor allem die NSA nutzt, unter die Sterne gemischt.
Aber der Künstler und Fotograf Paglen schlägt dem FAZ-Autor zufolge zurück: als "Beobachter des Beobachtens", als jemand, der die totale Überwachung festhält, den "Überwachungssmog", wie die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schrieb. Dieser Überwachungssmog sei eine der Ideen, die das Jahr 2013 hervorgebracht habe und die auch im Neuen Jahr in unseren Köpfen präsent blieben. Seit Edward Snowden meinen wir alle, verfolgt zu werden. Ein wenig kann man sich da schon in die naive Zeit davor zurücksehnen. In den Worten der SZ: "Überwachung, das war bislang Stoff fürs Kino - oder für Paranoiker."
"Hat mich gerade jemand paranoid genannt?", fragte der Computerspezialist Jacob Appelbaum Anfang dieser Woche während seiner Pressekonferenz in Hamburg. Stefan Schulz hat sie für die FAZ verfolgt: Es sei kalt gewesen. Appelbaum habe um eine Jacke gebeten:

"Man gab ihm eine. Bevor er sie aber anzog, warf er sie über sich und seinen Computer. Für eine Minute sollte niemand sehen, was er liest und was er auf der Tastatur schreibt. Journalisten, die das zum ersten Mal sahen, murmelten. Als Appelbaum wiederauftauchte, fragte er: 'Hat mich gerade jemand paranoid genannt?'"
Appelbaum legt den Akku seines Handys nur ein, wenn er es wirklich benutzt. Aus Angst, ausgespäht zu werden. Die NSA spähe im Übrigen nicht nur aus, so Appelbaum, sie sabotiere auch, niste sich zum Beispiel in privaten Routern ein, versuche Schadprogramme auf Computern von Journalisten zu platzieren. Freies Internet? Nichts da!
Das Internet ist nach Appelbaum vielmehr eine "Maschine für taktische Überwachung". Die FAZ zitiert auch den Journalisten Glenn Greenwald, und zwar mit den Worten, man könne erst in Zukunft abschätzen, ob das Internet zum "schlimmsten Werkzeug der Repression in der Menschheitsgeschichte" geworden sei.
Oder ist das vielleicht immer noch der klassische Krieg? "Wann ist der Erste Weltkrieg endlich zu Ende?", wird jemand in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG zitiert. Jemand, der sich, schon lange vor dem eigentlichen, dem traurigen 100. Geburtstag des Kriegsbeginns, "zugeballert" fühlt von den vielen Zeitungstexten zum Thema. "The Great War", so nennen die Briten diesen Krieg.
"Great", in der Bedeutung "großartig", findet der britische Archäologe und Historiker Ian Morris die langfristigen Folgen der Kriege, gesteht er im Gespräch mit Romain Leick vom SPIEGEL. Der fragt:

"Was ist der Sinn des Krieges?" - "Da am Krieg alles paradox ist, bin ich versucht, mit einem Paradox zu antworten: der Frieden."
Auf lange Sicht gesehen habe der Krieg die Menschheit "sicherer und reicher" gemacht. Das Risiko für einen Menschen des 20. Jahrhunderts, durch einen gewaltsamen Tod zu sterben, sei heute "zehnmal geringer als für einen aus der Steinzeit":
"Der Krieg kann das Töten kurzfristig wieder auf Steinzeitniveau hochschnellen lassen. Aber er scheint mir ein notwendiges Übel in diesem Prozess der Zivilisation zu sein, und noch dazu das kleinere. Insofern ist der Krieg eine unbestreitbar hässliche Methode, um größere, friedfertigere Gesellschaften zu bilden."
Morris macht sich aber für die nahe Zukunft Sorgen. Die USA, die Weltpolizei, hätten nun wohl den Zenit ihrer Macht überschritten. China werde immer mächtiger. Seine pessimistische Prognose:

"Die nächsten 40 Jahre könnten die gefährlichsten der Weltgeschichte werden."
Aber denken wir lieber nicht daran! "Alles hat seine Grenzen. Auch das Denken", schreibt der japanische Schriftsteller Haruki Murakami in seinem neuen Roman "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki". Claudia Voigt hat ihn für den SPIEGEL rezensiert, dieses Buch über einen Mann, der seine Freunde verliert, ohne zu wissen warum, deshalb in eine Lebenskrise gerät, ein blasses Leben führt und 16 Jahre später, animiert von einer Frau, die er begehrt, sich zurück in seine Vergangenheit begibt, um den Verlust der Freundschaft zu verstehen.
"Eines Tages wird Murakami den Nobelpreis erhalten",

prophezeit Claudia Voigt. "Weil er so bunt wie sonst niemand von der menschlichen Farblosigkeit zu erzählen weiß."
"Haruki Murakami, das ist doch der J.K. Rowling Japans", sagte einmal ein deutscher Literaturkritiker hinter vorgehaltener Hand. Hätte er das veröffentlicht, wäre er damit nun vielleicht in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG zitiert worden, als Beispiel für sogenannte Antonomasien.
So sei im letzten Jahr Angela Merkel in den Medien als "die Christiane Hörbiger der Politik" und "die Rosamunde Pilcher der Politik" bezeichnet worden. Und Richard David Precht als "Jürgen Drews der philosophischen Kolloquien" und als "Richard Clayderman der Politologie".
Letzterer Ausdruck stammt vom "Spiegel"-Online-Mitarbeiter Jan Fleischhauer. Ein Leser bezeichnete Fleischhauer daraufhin als "Hansi Hinterseer des Journalismus".