Aus den Feuilletons

Der Unterschied zwischen Männerhass und Frauenhass

04:22 Minuten
Vermummte Aktivistinnen heben die Faust während eines Protests gegen Gewalt gegen Frauen.
Frauen protestieren in Mexiko. Jeden Tag werden in dem nordamerikanischen Land im Schnitt zehn Frauen ermordet. Rund 1000 Taten im vergangenen Jahr wurden als Femizide eingestuft. © picture alliance/dpa/Jacky Muniello
Von Arno Orzessek · 27.11.2020
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Männer halten am besten die Klappe und hören Frauen zu. Klingt unfair, schreibt die "Welt", nennt sich "Misandrie". Das wiederum könne nicht das Gegenstück zur "Misogynie", dem Frauenhass sein. Denn dessen Opfer sind tatsächlich tote Frauen.
"Revolution und Rotwein" – überschreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ein überaus freundliches Porträt des Philosophen und kommunistischen Revolutionärs Friedrich Engels. Er sei "viel lebenslustiger" gewesen, "als man meinen würde", betont Jens Bisky und erklärt näher:
"Wer revolutionäre Energien in sich fühlt oder die Welt verändern will, findet viele Vorbilder in der Boheme oder unter Asketen. Engels aber bot eines der wenigen Beispiele für eine bürgerlich erfolgreiche, den Genüssen zugetane, nicht nur von Brotberufsfron, sondern von Lektüre, Schreiben, wissenschaftlicher Neugier ausgefüllte Existenz. Er war auch ein Château-Margaux-und-Champagner-Revolutionär."
Aber Achtung, liebe Linke! Das Engels-Porträt macht zwar Lust, eine gute Flasche aus dem Keller zu holen, doch in der Hauptsache sollte Engels Sie zu anderen Dingen animieren, meint Jens Bisky:
"Eine intellektuelle Linke, die mehr will, als bloß recht haben, kann von Engels lernen, dass man den Alltag der arbeitenden Klassen genau betrachten sollte, dass man es sich nicht leisten kann, die Entwicklungen der Naturwissenschaften zu ignorieren, und dass man nicht vollkommene Systeme konstruieren, sondern die Wahrheit in der Wirklichkeit entdecken müsse."

Adorno für Kopfmenschen

Wir bleiben bei den Kopfmenschen, die, so titelt die Tageszeitung DIE WELT, "auf der Suche nach dem Big Sinn" sind. Ein Foto zeigt Theodor W. Adorno auf einem Stuhl vor einem großen Spiegel sitzend, in der Hand das Kabel, mit dem er die Kamera auslöst, die hinter ihm auf einem Stativ steht.
"Was irgend das Ich introspektiv als Ich zu erfahren mag, ist auch Nichtich", lautet das Adorno-Zitat unter dem Foto.
Marc Reichwein stellt Bücher von Helmut Lethen und Axel Schild vor, die "ein tiefenscharfes Bild der deutschen Intellektuellen seit 1945 und ihrer produktiven Geisteskrisen" entwerfen.
"Nein, Intellektuelle haben nie nur bella figura gemacht", betont der WELT-Autor Reichwein. "Und ja, sie haben Idiosynkrasien, wie sie selbst es nennen würden, also Allergien gegen gewisse Themen, Meinungen und Personen. Konkurrenzdenken ist ihnen neben der Gewissheit, recht zu haben, ein innerer Antrieb. Wer publiziert wo? Wer hält Distanz zu wem? Wer positioniert sich wie? Auch solche feinen Unterschiede sind Teil des Spiels. Nichts lieben Intellektuelle ja mehr, als eigene Positionen gegenüber anderen Positionen abzugrenzen. Distinktionskämpfe gehören zur Intellektuellengeschichte wie Fouls zum Fußball."
Das ist gut und richtig gesagt und wir könnten nun - von wegen Fußball - auf das Maradona-Porträt "Der heilige Diegito" in der SZ kommen.

Aggrofeminismus öffnet Türen

Aber noch ein Artikel von einem Mann über einen Mann, dazu eine Eloge? Kümmern wir uns lieber um den Artikel "Aggrofeminismus" – wiederum in der WELT. "Ich hasse Männer" heißt ein Pamphlet der Französin Pauline Harmange, aus dem Eva Biringer dieses Bekenntnis zitiert: "Ich glaube, der Hass auf die Männer öffnet der Liebe zu den Frauen in allen denkbaren Formen die Türen."
Hört sich in unseren Ohren radikal an – und ist es wohl auch, wie Biringer ausführt:
"In ungnädigen Augen können Männer es nur falsch machen. Was? Alles. Am besten, sie halten die Klappe und hören zu, was Frauen wie sie zu sagen haben, weil sie vom Frausein keine Ahnung haben. Ist das nicht ziemlich unfair? Irgendwie schon, und der Fachausdruck dafür lautet Misandrie. Entgegen desselben Wortstamms, sagt die Autorin, sei diese keinesfalls das Gegenstück zur Misogynie, dem Frauenhass, weil Letzterer reale Opfer fordere. Jeden dritten Tag wird hierzulande eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet."

Hoch und Tief für Tatort-Doppelfolge

Apropos Opfer und Täter! Der "Tatort" wird 50. Doch die TAGESZEITUNG gratuliert nicht etwa artig, sie mault: "Die Jubiläumsfolgen sind nur Ausdruck der eigenen Irrelevanz."
Tja, die von der TAZ heruntergeputzte Doppelfolge – sie heißt: "In der Familie" – gefällt Oliver Jungen von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über alle Maßen: "Wie sich diese Verwicklung der Teufelspakte voller Schuld-, Sühne- und Racheverstrickungen ultimativ zuspitzt, ist unbedingt sehens- und dank der gelungenen Musikauswahl auch hörenswert. So darf es gerne bis 2070 weitergehen."
Das war’s. Nur das noch: Corona hin, Corona her – bleiben Sie, mit einer Überschrift der TAZ, "hemmungslos humorvoll".
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