Aus den Feuilletons

Der Terror und der Sensationalismus der Medien

Sanitäter versorgen nach dem Anschlag mit einem Lastwagen in Nizza Verwundete
Sanitäter versorgen nach dem Anschlag mit einem Lastwagen in Nizza Verwundete © picture alliance / dpa / EPA / Olivier Anrigo
Von Tobias Wenzel · 15.07.2016
Menschen, die mit ihren Smartphones den Terror filmen, sich um dessen Opfer aber nicht kümmern: Angesichts dessen fragt die FAZ, ob das ARD-Nachtmagazin das Richtige getan hat, als es das Video des Publizisten Richard Gutjahr aus Nizza gesendet hat.
"Für Modeaufnahmen ließ er seine Modelle in steifen Posen und mit entrücktem Blick in Brasilia vor Niemeyers visionärer Architektur posieren, in den Straßen von Paris oder vor den steinernen Riesen von Luxor", schreibt Freddy Langer zum 90. Geburtstag von F. C. Gundlach in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
"So brachte er die große Welt in die Enge der mit Nierentisch und Rohrsesseln eingerichteten deutschen Wohnzimmer. Derlei Bilder taugten nicht zuletzt dazu, Kriegs- und Fronterlebnisse aus dem Gedächtnis zu löschen, nicht nur seine eigenen."

Neues Gefühl von Bedrohung im Alltag

Gewisse Bilder von Handyvideos manifestieren dagegen den Horror: "Wer immer jetzt einen Lastwagen mit hoher Geschwindigkeit auf der Straße sieht, wird an Nizza denken", sagt der französische Dschihadismusforscher Hugo Micheron voraus. Das kann man wiederum im Artikel von Lena Bopp für die FAZ lesen. Mit dem LKW, der in eine Menschenmenge rase, komme ein neues Gefühl von Bedrohung in unseren Alltag. "Der Publizist Richard Gutjahr hatte das Auftauchen des Lastwagens mit seinem Handy gefilmt", schreibt Michael Hanfeld auf der Medienseite derselben Zeitung. Das "Nachtmagazin" im Ersten habe diese Videoaufnahmen gezeigt und damit das Morden eines Islamisten. Allerdings zeigten diese Aufnahmen noch etwas anderes:
"Lauter Menschen, die ihre Handys zücken und – wie Richard Gutjahr auch – den Horror filmen, sich um dessen Opfer aber nicht kümmern, selbst wenn sie vor ihren Füßen liegen."
Da müsse sich schon das "Nachtmagazin" die Frage gefallen lassen, "ob es mit den Aufnahmen des Massenmords" nicht einen "Schritt zu weit Richtung Sensationalismus gegangen" sei.

Esterházy - ein "Akrobat" und "Spieler"

"Ich muss jetzt endlich aus der Gegenwart in die Vergangenheit gehen", schreibt Arno Widmann in der FRANKFURTER RUNDSCHAU und der BERLINER ZEITUNG merklich bewegt über den ungarischen Schriftsteller Peter Esterhazy. "Er ist tot und es wird keine neuen Bücher von ihm gegeben." Alle Feuilletons gedenken des großen Autors. Besonders herzlich und persönlich tut das Arno Widmann. Er habe Esterhazys Bücher geliebt. Der sei ein "Akrobat" und "Spieler" gewesen:
"Er fand Geschichten, bettete sie ein, in andere gefundene Geschichten, die eingepackt waren in wahre Begebenheiten und geflunkerten Klatsch. Ge- und Erfundenes verschmolz er zu etwas, das rauschen konnte wie ein Wald. Und wie bei diesem war das Rauschen nur der Grundton, über dem sich die unterschiedlichsten Töne und Klänge erhoben, mal ganze Sinfonien, mal nur eine einsame, kleine Stimme, mitten im Untergang von Mitteleuropa."

Kurioser Rechtsstreit über Doig-Gemälde in den USA

"Dass LSD das Bewusstsein erweitern und schlimmstenfalls dauerhaft eintrüben kann, ist bekannt", schreibt Marcus Woeller in der WELT.
"Der britische Künstler Peter Doig jedenfalls bestreitet nicht, dass er als Jugendlicher einmal ein paar Trips eingeworfen hat, aber dass er deshalb vergessen hätte, was er tat – in seinem Fall also malte –, hält er für ausgeschlossen."
Woeller berichtet über einen kuriosen Rechtsstreit in den USA. Demnach behauptet ein pensionierter Justizvollzugsbeamter, er besitze einen echten Peter Doig. Der Künstler selbst sagt, er habe das Bild nie gemalt. Deshalb hat der Eigentümer des Werkes Peter Doig nun "auf Schadenersatz von fünf Millionen Dollar verklagt". Der Eigentümer will das Gemälde 1976 direkt vom Künstler gekauft haben, als der in einem kanadischen Gefängnis eingesessen habe.
Doig betont, er sei zwar in Kanada gewesen, aber nie im Gefängnis. Und sein Familienname sei in der Signatur falsch geschrieben. Wenn der Richter aber doch gegen Doig entscheiden sollte, hätte das, so Marcus Woeller in der WELT, weitreichende Folgen:
"Der Künstler wäre dann nicht mehr die letzte Instanz, darüber zu entscheiden, was er selbst geschaffen hat und was nicht."
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