Aus den Feuilletons

Der sich ewig wiederholende Wiederaufbau-Streit

04:17 Minuten
Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky spricht am 07.11.2013 bei einer Mahnwache zur Erinnerung an die Reichspogromnacht vor 70 Jahren vor einem Transparent mit einer Zeichnung der Bornplatz-Synagoge auf dem Joseph-Carlebach-Platz in Hamburg.
Die Bornplatz-Synagoge in Hamburg war bis zu ihrer Zerstörung 1938 durch die Nationalsozialisten die größte Synagoge im Norden Europas. © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Von Burkhardt Müller-Ulrich · 13.02.2020
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In Hamburg soll die Bornplatz-Synagoge wieder aufgebaut werden - so wie sie aussah, bevor die Nazis sie zerstörten. Das finden modernistische Architekturkritiker geschichtsvergessen und politisch rechts; zur Überraschung der jüdischen Gemeinde.
Einst stand am Hamburger Bornplatz, der jetzt Joseph-Carlebach-Platz heißt, die größte Synagoge Nordeuropas. Heute erinnert nur ein Bodenmosaik daran. Aber jetzt hat die Hamburger Bürgerschaft beschlossen, den Wiederaufbau zu unterstützen, und zwar - dem Wunsch der jüdischen Gemeinde folgend - in der ursprünglichen, historisierend romanischen Architektur von 1906.
Das berichtet Till Briegleb in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, und er berichtet auch, dass sich schon die nächste Wiederaufbaudebatte abzeichnet, weil Rekonstruktion ja für manche Leute revisionistisch, wenn nicht sogar faschistisch ist. "Erst kürzlich brach diese zweifelhafte Diskussion wieder massiv auf, als das modernistische Architekturmagazin Arch+ die Wiederherstellung zerstörter Architektur wie am Frankfurter Römer pauschal als 'Rechte Räume' denunzierte", heißt es in der SZ.

Das Judentum wieder sichtbar machen

Und auch in Hamburg gebe es Stimmen, die den Wiederaufbau der Synagoge in ihrer Originalgestalt für das Symbol einer konservativen Wende hielten, die – so wörtlich – "das Gedenken hinter sich lassen" wolle.
Über den Vorwurf, "geschichtsvergessen" zu sein, empört sich der Vorstand der jüdischen Gemeinde Hamburg, Philipp Stricharz. "Wir sind die letzten, die sich solche Vorwürfe anhören wollen", zitiert ihn der SZ-Autor. Nach Stricharz′ Ansicht ist dem Versuch der Nazis, die jüdische Kultur auszurotten, vernünftig damit zu begegnen, dass man das Judentum in seiner damaligen Erscheinung wieder sichtbar macht.
In fünf bis sechs Jahren soll es soweit sein und das alte, neue Gebäude mit seiner 40 Meter hohen Kuppel wieder im Grindelviertel stehen. Sofern Deutschland bis dahin nicht vom Neofaschismus beherrscht wird, den die Feuilletonisten derzeit so fleißig herbeifantasieren.

Warum die Weimarer Republik scheiterte

Andreas Kilb zum Beispiel vertritt in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN interessante Positionen zur Weimarer Republik und ihrer heutigen Kopie. Die Linke, heißt es da in Bezug auf die gleichnamige Partei und SED-Nachfolgerin, "ist trotz ihrer Vorgeschichte keine systemfeindliche Kraft. Die Sozialisten sind verkappte Sozialdemokraten. Nicht die Machtgier der Parteien führte zum Niedergang der Weimarer Republik, sondern ihre Weigerung, an der Macht teilzuhaben."
Woraus der FAZ-Redakteur folgert, dass an dem Thüringer Schlamassel vor allem die FDP schuld sei, weil deren Vorsitzender Lindner im November vor zwei Jahren keine schwarz-grüne Koalition hatte mittragen wollen. "Nach dem Ausstieg aus den Jamaika-Verhandlungen 2017 war die Wahl des Erfurter FDP-Kandidaten mit Hilfe der AfD der nächste logische Schritt", steht in der FAZ.
Und selbst nach mehrfachem Augenreiben steht es immer noch da. Allerdings ist der Referenzrahmen des Verfassers nach eigenem Bekunden die gerade angelaufene dritte Staffel von "Babylon Berlin". Man braucht halt eine Feuilleton-Optik, um manches zu verstehen.

Suche nach dem rechten Netzwerk

Leichter zu verstehen ist eine Recherche der WELT über "Das rechte Netzwerk hinter Thüringen" - so die Überschrift. Es geht um die "Deutsche Gildenschaft", die als neurechte Kaderschmiede gilt und vor hundert Jahren braune Flecken hatte.
Als was die Gildenschaft sonst noch alles gilt, ist dem Mutmaßen des Autors anheimgestellt, denn seine Recherche fördert gar nichts Greifbares gegen Karl-Eckhard Hahn, den ehemaligen Thüringer CDU-Fraktionssprecher, zutage, der den Thüringer Coup als Mitglied eben jener Gildenschaft eingefädelt haben soll.
"Im Unterschied zu ihren Vorgängern in den 20ern lehnen sie das demokratische System in der Regel aber nicht mehr grundsätzlich ab", schreibt Thomas Wagner über die heutigen Gilden-Mitglieder.
"In der Regel nicht mehr grundsätzlich" heißt auf deutsch: nichts Belastendes für ein AfD-Komplott gefunden – wie ärgerlich! Nun aber weiter mit den Mutmaßungen: "Sicher ist jedoch, dass in vorpolitischen Einrichtungen, wie dieser, politische Haltungen geprägt und geistige Wahlverwandtschaften gestiftet werden."
So kann man etwas ganz Normales alleine durch den Tonfall zum Skandal kneten.
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