Aus den Feuilletons

"Der Nationalismus triumphiert"

Eine Sandskulptur mit der Aufschrift "Go for Gold" am indischen Strand am Golf von Bengalen in der Provinz Orissa.
Eine Sandskulptur des indischen Künstlers Sudarsan Pattnaik mit der Aufschrift "Go for Gold" am indischen Strand am Golf von Bengalen in der Provinz Orissa. © imago / zuma press
Von Paul Stänner · 04.08.2016
Das deutsche Fernsehen überträgt vor allem olympische Wettbewerbe, in denen deutsche Medaillen wahrscheinlich sind. Damit ist von der völkerverbindenden Idee der Spiele nicht viel übrig, kritisiert die "FAZ". In der "Welt" lesen wir eine Hommage ans Nichtsdenken.
Die Feuilletons vom verregneten Freitag erscheinen besinnlich: die einen schauen nach hinten, die anderen nach vorn, eines schaut nur einfach vor sich hin.
In London kam der neue Harry Potter heraus - diesmal als Bühnenstück. Thomas Steinfeld findet in der SÜDDEUTSCHEN, dies sei das Drama zum Brexit. Gleicht nicht – fragt Steinfeld - der böse Lord Voldemort dem Zerrbild der Europäischen Union, so wie es vor dem Brexit-Referendum in Großbritannien populär wurde? Steinfeld über die Potter-Geschichte:
"Mitten in einer hochtechnisierten, globalisierten und demokratisch verfassten Gegenwart lässt sie das nostalgische Bild einer Parallelgesellschaft entstehen, in der noch einmal viktorianische Verhältnisse gelebt werden dürfen."
Ein riskanter Traum, offenkundig haben die Briten schon Nackenschmerzen vom Blick zurück.

Frustrierte Deutschtürken und enttäuschte Russlanddeutsche

Eine Seite weiter vergleicht Tim Neshitov unter der Überschrift "Hass auf das Land, in dem man lebt" die frustrierten Deutschtürken mit den radikal enttäuschten Russlanddeutschen. Beide kommen nicht mit dem Land zurecht, in dem sie leben, nostalgisch verklären sie die verlassene Heimat.
"Was eint also die russische und die türkische Pegida?",
fragt Neshitov. Seine Antwort:
" - die Sehnsucht nach der jeweils starken Hand."
Obwohl sie eine Führer-Sehnsucht teilen, erkennt Neshitov zwei wesentliche Unterschiede:
"Im Falle der Russlanddeutschen geht es um eine lautstarke, aber kleine Minderheit, ... Bei den Deutschtürken geht es um eine Mehrheit, die auch noch lautstark ist. Zweiter Unterschied: Die türkische Pegida fühlt sich in keiner deutschen Partei aufgehoben. Die AfD mag sich womöglich eine Putinisierung des Abendlandes vorstellen, eine Erdoğanisierung Europas will auch sie nicht."
Der lustvolle Blick zurück auf vordemokratische Verhältnisse macht auch noch geschmäcklerische Unterschiede.

Fragwürdiges Kölner Kulturprojekt

Weit voraus dagegen blickt Michael Kohler. Fernab in München kann er sich diese Titelzeile leisten:
Und jeder weiß: Es geht um Köln. Genau um eine Via Culturalis, ein Projekt, das wichtige kulturelle Orte wie den Dom, mehrere Museen und das Historische Rathaus mit einem Fußweg zu einer Kulturschleife verbinden will. Da kann nicht jeder machen, was er will. Kohler zitiert den Baudezernenten:
"Es braucht strenge Regeln",
sagt Höing, wohl wissend, dass die letzten, die es in Köln mit strengen Regeln versuchten, vor 200 Jahren die preußische Verwaltung war." So hat Kohler der Via Culturalis wohl eine düstere Zukunft vorgezeichnet, und die Kölner werden das verstehen.

Wichtigste Wettkampfstätte: der Medaillenspiegel

Auch Andreas Platthaus in der FAZ hat in die Zukunft, also die Olympia-Berichterstattung, vorausgeschaut und weiß, dass uns das Fernsehen nur die Wettbewerbe zeigen wird, in denen deutsche Medaillen wahrscheinlich sind. Platthaus:
"Von der vielbeschworenen völkerverbindenden Wirkung der olympischen Idee kann also keine Rede sein, der Nationalismus triumphiert, und die wichtigste Wettkampfstätte ist der Medaillenspiegel."
Andererseits, denkt Platthaus, hat die Sache auch ihr Gutes, denn:
"Immerhin ist dadurch, dass mit Bach ja ein Landsmann dem IOC vorsteht, für die nächsten zwei Wochen permanentes nationales Interesse an dem gewährlistet, was ohnehin bei diesen Olympischen Spielen allein als sicher gelten darf: Peinlichkeit der Funktionäre."

Schule des Nichtdenkens

Man blickt voraus, man blickt zurück - Felix Zwinzscher blickt vor sich auf den Bildschirm. In der WELT sinniert er über das Nichts-denken als Freizeitkultur. Er empfiehlt als Hirntranquilizer Videos von Menschen, die gerade Computerspiele spielen. Und dabei etwas sagen. Irgendwas. Wenn man Zwinzscher glauben darf, ist das noch langweiliger als Cricketübertragungen der BBC. Zwinzscher schreibt:
"Wenn Sie ihren 'Let’s Player' gefunden haben, dann legen Sie sich am besten auf Ihr Sofa. Tablet auf den Bauch. Der Bildschirm bietet gerade eben genug Anreiz, wach zu bleiben. Entspannen Sie sich und bemerken Sie am Ende, dass Sie gerade zwanzig Minuten an gar nichts gedacht haben."
Und das ist bei diesem verregneten Sommer wohl das Beste, was man erreichen kann.
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