Aus den Feuilletons

Der Muff von 20 Jahren

Das Foto zeigt Bücher auf einem Ramschtisch.
Alles Ramsch? Klaus Ungerer polemisiert gegen die deutsche Gegenwartsliteratur. © dpa/Robert B. Fishman
Von Adelheid Wedel |
Belgiens neues Sterbehilfe-Gesetz regt die "Welt" auf, aber so richtig in Rage gerät ihre Literaturbeilage beim Gedanken an deutsche Schriftsteller, die nichts zu erzählen hätten und deren Bücher so frisch wie "Omas Salzgebäck" seien. Jedenfalls fast alle.
"Das Parlament eines Kernlands der EU springt in einen ethischen Abgrund", kommentiert Eckhard Fuhr in der Tageszeitung DIE WELT die Entscheidung Belgiens, Sterbehilfe auch für Kinder zu legalisieren. „Man darf niemals ein Kind fragen, ob es sterben will. Wer die gesetzliche Möglichkeit dazu eröffnet, begeht eine Grenzüberschreitung, die uns allen den Boden eines humanen Zusammenlebens entzieht.“Fuhr bietet seine Antwort an, die er einem geplagten Jungen geben würde, der mit panischer Angst vor Schmerzen die Möglichkeit des Sterbens für sich erwägt. "Ich sage ihm, wir dürfen das nicht. Es gibt Dinge, die wir nicht dürfen. Aber ich darf bei dir sein."
Einen sehr anderen Aufschrei hält die LITERARISCHE WELT, die Beilage der WELT, bereit. Der Schriftsteller, Journalist und Gerichtsreporter Klaus Ungerer eröffnet eine Polemik, in der er behauptet, es gibt keine substantielle deutsche Gegenwartsliteratur. "Was hat sie bloß ruiniert?" fragt er und verrät: "Die aktuelle deutsche Literaturproduktion hat längst aufgehört, mich zu interessieren. Alle wollen schreiben, doch niemand hat etwas zu erzählen", lautet sein Rundum-Vorwurf. Alle seine zahlreichen Versuche, in den letzten 20 Jahren Qualität in der deutschen Literatur zu entdecken, seien beinahe gescheitert. Ein wenig Selbstschuld schwingt im nächsten Satz mit. Nach Aufzählung von fünf interessanten Titeln heißt es: "Ansonsten schlägt mir, aber das mag ja an mir liegen, immer und überall dieser Popanz, dieser Muff der Literaten-Literatur entgegen und der beigeordneten Literaturkritik, die es für berichtenswert hält, wer mit wem auf dem Nobelpreisball getanzt hat." Auch der folgende Satz schlägt wie eine Guillotine auf: "Wenn ich mal reinschaue in die einheimische Produktion: 95 Prozent davon fühlen sich so frisch an wie Omas Salzgebäck." Mal sehen, ob solche Strenge Widerspruch hervorruft.
Eine der Literatinnen, die Unger wahrscheinlich nicht im Blickfeld haben konnte, deren Wort aber einst als das einer Graue Eminenz im Thüringer Schriftstellerverband galt, erhält in der WELT-Beilage eine ganze Seite: Inge von Wangenheim. "Als überzeugte Kommunistin ging sie 1933 ins russische Exil. Ihre jetzt von ihrer Enkelin herausgegebenen Fotografien zeugen vom unbeirrbaren Glauben an eine Utopie, die sich als Albtraum erwies“, schreibt Claus-Ulrich Bielefeld über die Neuerscheinung bei Rotbuch. Und weiter: "Laura von Wangenheim rührt mit ihrem Band an die alten Geschichten und erinnert, indem sie die Lebensgeschichte ihrer Großmutter erzählt, an eines der großen Traumata des 20. Jahrhunderts." Der Buchtitel macht diese Konstellation deutlich: "In den Fängen der Geschichte – Inge von Wangenheim".
Die "Literarische Welt" dieser Wochenendausgabe bietet weitere spannende Artikel, erwähnt sei hier lediglich noch ein größeres Interview mit dem amerikanischen Schriftsteller Philip Roth, "der seit fünf Jahren nicht mehr schreibt".Das Gespräch handelt vom„Leben eines Romanciers im Ruhestand, das Ende des Zeitalters der Literatur und gänzlich ungeahnte Genüsse." Für mehr als für diesen Hinweis bleibt keine Zeit.
Ähnlich geht es uns mit der facettenreichen Betrachtung zum Thema Liebe am Valentinstag. Die Tageszeitung TAZ nahm das Datum zum Anlass, einmal den Liebeskummer in den Mittelpunkt zu stellen. Prominente tun ihre Erfahrungen zu diesem Leid kund, ob Katja Kipping, die Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, Tim Wilhelm von der Band "Münchner Freiheit" und viele mehr. Eine Frau mit klinisch attestiertem gebrochenem Herzen, dem Broken-Heart-Syndrom, spricht darüber, sogar eine Praxis für Lebens- und Liebeskummer wird in Berlin aufgespürt; sie bietet "Beratung, Coaching und Seminare". Wenn das alles nicht gegen den verdammten Liebeskummer hilft, bleibt uns Sarah Wieners Trost: "Wer leidet, sollte sich pflegen. Und gutes Essen genießen. Gerichte aus der Kindheit machen glücklich – oder Erdbeerlassi, Hühnersuppe und Studentenfutter."