Aus den Feuilletons

Der Müll des John Updike

Der amerikanische Schriftsteller John Updike im Jahr 1985.
Der amerikanische Schriftsteller John Updike im Jahr 1985. © dpa/ picture alliance / Michael Probst
Von Tobias Wenzel |
Ein Eisverkäufer hat regelmäßig den Müll des US-Autors John Updike durchwühlt. Diese "Fundstücke" sind jetzt nachlesbar. Außerdem in der Kulturpresseschau: Der Roman "Ein ganzes Leben" und die Verfilmung der "Schoßgebete".
"Ein Plagiat?",
fragt Wolfgang Höbel im SPIEGEL und meint Robert Seethalers Roman "Ein ganzes Leben", der sich nicht nur gut verkauft, sondern auch von der Kritik hochgelobt wird. Denn die Geschichte kam Höbel beim Lesen bekannt vor.
"Tatsächlich konnte man vor längerer Zeit eine auffallend ähnlich ergreifende Lebensstory lesen, in Denis Johnsons 'Train Dreams'",
schreibt Höbel.
"Auch bei Johnson geht es um einen Mann, den es in früher Kindheit mutterseelenallein in die Wildnis verschlägt und der sich als Holzfäller und Arbeiter verdingt; nicht beim Seilbahnbau wie Seethalers Held, sondern bei der Eisenbahn. Auch diesem Mann wird nur für kurze Zeit das Glück der Liebe zuteil, weil seine Frau durch rohe Naturgewalten zu Tode kommt."
Kein einziger Satz abgeschrieben
Der SPIEGEL-Redakteur vergleicht nun einzelne Passagen der beiden Bücher. So heiße es zum Tod des Helden in der Novelle "Train Dreams", er habe "den ganzen Winter hindurch tot in seiner Hütte" gelegen, niemand habe ihn vermisst. Und in Seethalers "Ein ganzes Leben" habe sich die Leiche des Helden "bei winterlichen Temperaturen gut gehalten"; sie sei erst nach Tagen gefunden worden.
"Keinen Satz hat Robert Seethaler bei Denis Johnson abgeschrieben",
gibt Höbel zu.
"Und doch wirkt sein Buch wie eine Übermalung, ein Remake – als hätte er den Helden des Johnson-Buchs aus der Waldeinsamkeit des US-Bundesstaats Idaho in die Alpen verpflanzt."
Reicht das, um von einem Plagiat zu sprechen? Wolfgang Höbel hat einfach Seethaler angerufen. Der habe "verdutzt" gewirkt und "aufrichtig erschrocken". Seethaler gibt zu, "Train Dreams" vor zehn Jahren gelesen zu haben. Aber er habe sich beim Schreiben keine Gedanken über dieses mögliche Vorbild gemacht. Das Fazit des SPIEGEL-Redakteurs:
"Kein Plagiat also. Eine Nachempfindung – unbewusst? Klar, so etwas kann es geben. Schriftstellerei ist ein Alchimistenhandwerk. Kurios ist der Fall trotzdem."
Schmerzverursachende Literaturverfilmung
Noch einmal der SPIEGEL und noch einmal Literatur. Dieses Mal allerdings als Verfilmung.
"Es schmerzt, diesen Film zu sehen",
schreibt Lars-Olav Beier über Sönke Wortmanns "Schoßgebete". Charlotte Roche hat bekanntlich die Romanvorlage geschrieben, ein "Selbstgespräch einer Frau Anfang dreißig, die eine Menge Komplexe" und viel Sex habe, um diese Komplexe zu vergessen. Hinzu komme der tragische Unfalltod ihrer drei Brüder. Auch Roches Brüder waren, auf dem Weg zu ihrer Hochzeit, tödlich verunglückt. Aber "Trauer und Schwermut" hätten in dieser Verfilmung leider "keine Chance" bekommen, bedauert der Kritiker. Auch sei der Film "Ausdruck genau jener Verklemmtheit, gegen die Roche anschreibt". Denn der Sex werde im Gegensatz zum Buch im Film seltsam "sauber, ohne Geschlechtsteile und Körperflüssigkeiten" gezeigt.
Zerknüllte Briefe an Doris Day
Richtig klebrige Hände muss Paul Moran etliche Male gehabt haben. Nicht etwa wegen seines Berufs – er ist Eisverkäufer –, sondern weil er regelmäßig in der Mülltonne des US-amerikanischen Schriftstellers John Updike gewühlt hat. Als der noch lebte, versteht sich. Und diesen Müll hat Paul Moran einfach mitgehen lassen. Darüber berichtet Hannes Stein in der WELT. Auf der Internetseite johnupdikearchive.com kann man einige dieser "Fundstücke" bewundern:
"Da ist ein Ausriss aus einem Brief der Hollywoodschauspielerin Doris Day, in die der schüchterne Updike zeitlebens aus der Ferne verknallt war",
schreibt Stein.
"Da ist die getippte Kündigung eines Magazins, das die 'flache Kultiviertheit' von J. D. Salinger bemäkelte."
Und so weiter. Updikes Agent, der offizielle Kurator des Nachlasses und der Biograf des Autors seien entsetzt: Das sei Diebstahl und eine "Verletzung der Privatsphäre". Allerdings, schreibt Stein, könne sich der Dieb Paul Moran auf Updike selbst berufen. Der habe nämlich eine "Ode an den Abfall" geschrieben und einmal gesagt:
"In gewissem Sinn ist mein ganzes Leben Müll."