Aus den Feuilletons

"Der Kudamm steht unter Raketenbeschuss?"

Der Kurfürstendamm bei Nacht.
Der Kurfürstendamm bei Nacht © Willi Gutberlet / dpa
Von Adelheid Wedel · 10.08.2014
Der Soziologe Ulrich Beck schreibt in der "SZ" über die "Globalisierung des Antisemitismus" und macht die Begrenztheit dieses Denkens am Beispiel Ku'damm deutlich. Außerdem geht es in den Feuilletons um Strategien zur Stärkung der EU und Tipps für Edward Snowden.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG denkt Ulrich Beck über die "Globalisierung des Antisemitismus" nach. Der Soziologe meint: "Die Tatsache, dass alle Juden mit Israelis gleichgesetzt werden und alle Israelis mit Palästinenserkillern, ist ein wesentlicher Hintergrund für die neue Welle des Antisemitismus." Die Begrenztheit solchen Denkens macht er an einem Beispiel deutlich: "Jemand sagt einem deutschen Juden, der in Berlin lebt: Bei euch zu Hause schlagen jetzt die Raketen ein." Daraufhin fragt der Angesprochene: "Der Kudamm steht unter Raketenbeschuss?"
Der Autor beobachtet, dass einerseits "der militärische Einsatz von Putin von weiten Teilen der deutschen" Bevölkerung "als verständlich verteidigt wird", auf der anderen Seite aber "auf die unerträgliche Zuspitzung der militärischen Gewaltaktionen im Nahen Osten mit antisemitischen Protesten geantwortet wird". Das zeige, so der Soziologe, "dass der Antisemitismus in der globalisierten Welt eine neue Entflammbarkeit gewonnen hat."
Das Schweigen der europäischen Intelligenz zum Nahen Osten resultiert nach Beck "aus der Unfähigkeit zu unterscheiden, zwischen einer Israelkritik und einem klaren Engagement gegen Antisemitismus und für die europäischen Werte, die auch viele Bürger jüdischen Glaubens als ihre Werte verteidigen". Beck nennt es einen Balanceakt, im Milieu des widererstarkenden Antisemitismus dreierlei Kritik zu üben: an dem Fanatismus der Hamas, an Israels Monomilitarismus und an der Unfähigkeit zu unterscheiden.
Gründung echter europäischer Parteien
"Die Stärke der EU liegt in einer klugen Begrenzung" – lautet das Fazit von Dieter Grimm in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. In seinem Artikel entwickelt er Gedanken zur Stärkung der EU und meint: "Es wird nicht gelingen, den europäischen Zweckverband zum vollwertigen Ersatz für die nationale politische Bühne aufzuwerten. Viele Probleme Europas aber ließen sich lösen", so Grimm, "wenn man ehrlicher wäre". Er empfiehlt, eine Stärkung des Parlaments und die Europäisierung der Europawahlen. Voraussetzung dafür wäre die Gründung echter europäischer Parteien, "die Kontakt mit der Gesellschaft aufnehmen und sich mit europäischen Programmen zur Wahl stellen, um dann die Interessen ihrer Wähler in die Brüsseler Entscheidungsprozesse einspeisen".
Die EU sollte nach Meinung von Grimm ein Eigeninteresse an mitgliedstaatlicher Demokratie entwickeln, "statt diese durch ständige Kompetenzbeschneidung weiter auszuhöhlen". Dazu wäre eine Beschränkung der Verträge auf den verfassungsartigen Teil nötig. "Eine so reorganisierte EU hätte es leichter, die Akzeptanz der Unionsbürger zu gewinnen. Der Versuch der EU, die Bindung der Bürger an ihren Staat auf sich selbst umzuleiten, scheint vergeblich", urteilt Dieter Grimm in der FAZ. "Sie sollte sich davon entlasten und ihre Begrenztheit akzeptieren."
Snowden sollte Deutschland meiden
Warum Edward Snowden nicht in die Bundesrepublik kommen darf, beantwortet Josef Foschepoth in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Der Professor für Zeitgeschichte an der Albert-Ludwig-Universität in Freiburg untersucht, nach welchem Recht Snowden, sollte er je deutschen Boden betreten, behandelt werden würde. Inzwischen darf der berühmte Whistleblower drei weitere Jahre in Russland bleiben und auch frei ins Ausland reisen.
Deutschland sollte er als Reiseziel meiden, denn dann "würde die Bundesregierung gezwungen, sich zwischen den Interessen der USA und dem verfassungsrechtlich garantierten Schutz der Grundrechte zu entscheiden". Um dies zu verhindern, rät Foschepoth, "darf Snowden deutschen Boden erst gar nicht betreten". Tatsache ist, "die Sicherheitspartnerschaft mit den USA ist zentraler Bestandteil der deutschen Staatsräson. Sie steht gleichsam über Recht und Verfassung" oder anders ausgedrückt: "In Deutschland gilt auch US-Recht". Daraus folgt: "Die Bundesregierung wird die Auslieferung Snowdens an die amerikanischen Behörden nicht verhindern, sondern ermöglichen, ob aus rechtlichen oder politischen Gründen."