Aus den Feuilletons

Der gönnerhafte Tonfall gegenüber der Kultur

04:21 Minuten
Das Delphi-Kino in Stuttgart hat wegen der erneuten pandemiebedingten Schließung eine sarkastische Filmankündigung platziert: The Virus Strikes Back, Part Two. One of the worst movies ever made
Zuflucht zum Sarkasmus: Filmankündigung am Delphi-Kino in Stuttgart. © imago-images / Arnulf Hettrich
Von Tobias Wenzel · 26.02.2021
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Schriftsteller Gert Heidenreich empört sich in der "FAZ" über den Umgang der Regierung mit der Kultur im Lockdown. Wer einen Haarschnitt für die Würde des Menschen wichtiger finde als Kultureinrichtungen, sollte eigentlich schamrot im Boden versinken.
Ohne Kultur könne Barbarei frei wuchern, gibt der Schriftsteller Gert Heidenreich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zu bedenken. Es folgt der schon im Untertitel angekündigte "Wutausbruch":
"Kommen Herr Altmaier oder Herr Söder, pars pro toto, am Ausklang ihrer jeweiligen Corona-Suada noch auf den Appendix Kultur zu sprechen, stellt sich reflexartig der gönnerhafte Tonfall ein, mit dem man ein krankes Kind tröstet, ihm das Köpfchen streichelt und verspricht, dass alles wieder gut wird. Man habe die Kultur nicht vergessen, man stehe an ihrer Seite, wirklich, sie sei wichtig, bereichernd, aber ja, wir lassen euch nicht allein", schreibt Gert Heidenreich und fragt:
"Wie jetzt? Ihr lasst uns, die wir in, mit und für Kultur arbeiten, nicht allein? Das Problem ist, dass euch offensichtlich jegliche Kultur verlassen hat, sonst würdet ihr nicht ohne schamrot im Boden zu versinken das Recht auf Haarschnitt mit der Würde des Menschen begründen, während Museen, Kinos, Theater, Konzertsäle, Bibliotheken, Buchhandlungen, in denen des Menschen Würde gelebt, befragt, erneuert, wachgehalten wird, blockiert sind."

Wie ein Outing Agressionen ausgelöst hat

Wer gehört zum Wir? Fragen die Feuilletons vom Samstag. Oder gibt es gar kein großes Wir mehr in einer Gesellschaft mit vielen Identitätsinseln?
"Was hat sich verändert, dass sich heute immer mehr Menschen mit Hass begegnen?", fragt Swantje Karich in der WELT. "Menschen, die bisher eigentlich gemeinsam für Toleranz, Verständigung und demokratische Werte eintreten". Karich denkt an die Reaktionen im Zusammenhang mit "ActOut", dem Manifest von 185 Schauspielern und Schauspielerinnen, die sich dazu bekennen, nicht der Hetero-Norm zu enstprechen. Dieses doch sehr besonnen formulierte Manifest habe wiederum, so Karich, bei einigen erschreckende Aggressionen ausgelöst.
Und die Kritik des Manifests durch die Feuilleton-Chefin der FAZ, Sandra Kegel, sogar einen Shitstorm. "Seit Beginn der Auseinandersetzung wurde Kegel nun schon als neurechts, rassistisch, homophob, antiemanzipatorisch und zuletzt gar antisemitisch gebrandmarkt", kritisiert Karich. "Auch wenn sie sexuelle Identität mit sexueller Orientierung verwechselt – als könne sich ein Mensch überlegen, ob er schwul oder hetero sei –, sie ist nicht homophob."
Der kleine Seitenhieb in Richtung Sandra Kegel ist insofern kurios, als Kegel mit "sexueller Identität" exakt denselben Begriff wie die Unterzeichner des Manifests verwendet hat, mit denen Karich sympathisiert.

Sorge vor der Radikalisierung der Diskurse

Genauso wenig wie Karich hält die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan den Shitstorm zu Wolfgang Thierses FAZ-Artikel "Wie viel Identität verträgt die Gesellschaft?" für berechtigt. Schwan teilt Thierses Sorge vor der Radikalisierung der Diskurse und dem Beschneiden der Meinungsfreiheit. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG verweist Schwan auf die Bedeutung des solidarischen Zusammenhalts und nennt hier Kants Begriff des "Gemeinsinns".
"Das Gegenteil sind gegeneinander abgeschottete Communities, also kollektive Identitäten, die mit ihrer feindseligen Abschottung nach außen über Feindbilder nur ihre jeweils innere Zerrissenheit verdecken", schreibt Schwan. "Man prüft nicht mehr, man weiß es ja immer schon. Genau hier entsteht die Unentrinnbarkeit, vor der Wolfgang Thierse zu Recht warnt."

Trennung vom geliebten Radiosender

Trotz der Sehnsucht nach dem großen Wir-Gefühl zum Schluss noch eine traurige Trennungsgeschichte: Gabriele Riedle hat sich von R. getrennt, wie sie in der TAZ berichtet. "R." steht für: das Radio. Genauer: das von Reformen gezeichnete rbbKultur. Riedle findet ihren früher so geliebten Sender nun unterkomplex und einige Moderatoren unerträglich.
Besonders ärgerte sie sich über folgende Anmoderation: "Es war für viele ein Schock, als Thomas Bernhard 1989 starb. Auch für mich, denn ich war frisch verliebt in seine Theaterstücke." Kommentar der TAZ-Autorin zur moderierenden Person: "In jedem Fall hätte Bernhard ihr wegen solcher Frauenzeitschriftssätze ein lebenslanges Kontaktverbot zu seinen Werken erteilt."
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