Aus den Feuilletons

Der Brummton der Betroffenheit

Gedenken an die getöteten Zeichner des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo".
Gedenken an die getöteten Zeichner des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo". © picture alliance / dpa / Foto: Lp/Aurélie Ladet
Von Tobias Wenzel · 17.01.2015
Auch die Fifa macht mit: Allmählich regt sich Kritik an der inflationären Verwendung des Slogans "Je suis Charlie". Aber es gibt auch Vorschläge in den Feuilletons, was ein besseres Zeichen des Engagements wäre.
"Kronjuwel der Pariser Musikstadt" schrieb die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, "ein architektonisches Wunderwerk von einschmeichelnder Weichheit" die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG – man meinte aus den euphorischen Worten der Architektur- und Musikkritiker zur Eröffnung der Philharmonie de Paris herauszuhören: Endlich wieder eine gute Nachricht aus der französischen Hauptstadt! Zugegeben, das Bauwerk des Architekten Jean Nouvel ist noch gar nicht fertiggestellt. Und laut Manuel Brug von der WELT sieht es nicht gerade vorteilhaft aus, nämlich von hinten "wie versteinerter Elefantenkot". Aber der Philharmonie-Saal selbst besitze hervorragende akustische Eigenschaften: "Wie in einer Gebärmutter versinkt man kuschelig im weich abgefederten Klang." Die Philharmonie sei nun aber auch "zu einem trotzig eröffneten Fanal der Freiheit im Namen der Kunst" geworden. Und da sind wir schon beim Thema, das auch noch die Feuilletons dieser Woche fest im Griff hatte: die islamistisch motivierten Morde in Paris.
"So weit ist es nun also gekommen, dass sogar die Fifa den mittlerweile inhaltsleeren Slogan 'Je suis Charlie' an die Wände des Zürcher Festsaals projizierte", empörte sich in der TAZ Markus Völker über die im Fernsehen übertragene Gala. "Sie ist zum Kotzen, diese Heuchelei der Trittbrettfahrer. Der Fußballweltverband ist damit nur ein weiterer Wurm, der sich durch die Leichen der toten Satiriker bohrt." Mit dem Solidarisierungsslogan "Je suis Charlie" würden die jüdischen Opfer aus der Geiselnahme im Pariser Supermarkt unterschlagen, kritisierte die FAZ. Und Arno Frank erregte sich in der TAZ mit den Worten: "'Je suis Charlie' ist nicht als politisches Handeln zu verstehen oder zu übersetzen mit 'Ich teile solidarisch die Werte, für die diese Leute gestorben sind, und würde es gegebenenfalls selbst tun'. Nein, 'Je suis Charlie' bedeutet 'Huch!', 'Oje!' oder 'Nee, also so was!' Es ist der Brummton der Betroffenheit."
"'Je suis Charlie' ist eine spontan großartige Geste, aber sie reicht auf Dauer nicht", sagte der Kunsthistoriker Horst Bredekamp im Gespräch mit der SZ. "Wenn jeder eine Mohammed-Karikatur auf seinem Schild kleben hätte, das wäre ein klares Zeichen für die Meinungsfreiheit." Laut Bredekamp sind wir bereits in einen "Bildersturm" geraten: "Die neuen Täter unterscheiden nicht zwischen Bild und Gott, Bild und Körper. Sie identifizieren die gezeichneten Figuren des Propheten mit dem Propheten selbst." Diese Unterscheidung zu treffen, sei aber eine große Errungenschaft der abendländischen Kultur. Allerdings werde diese Unterscheidung auch im Westen missachtet. Bredekamp nannte als Beispiel die distanzlose Berichterstattung zur Suche der Attentäter von Paris: "Die Strafverfolgung wurde zum medialen Western, live."
In der FAZ kritisierte Jürg Altwegg, der französische Fernsehsender BFM TV habe während seiner Live-Übertragung zur Geiselnahme verkündet, "dass sich eine Frau in der Kühlkammer versteckt" halte. Damit habe der Sender möglicherweise das Leben der Frau gefährdet. Denn auch der Geiselnehmer im Supermarkt sah ebendiese Live-Übertragung.
"Allmählich beginnen die Bürger Europas zu begreifen, was der islamistische Terror über sie zu bringen droht", schrieb, ebenfalls in der FAZ, der israelische Schriftsteller David Grossman. "Ich rede [...] davon, [...] dass man automatisch jeden, der einem entgegenkommt, blitzschnell einordnet, um aufgrund seiner Hautfarbe, Kleidung, Aussprache augenblicklich die von ihm ausgehende Gefahr einzuschätzen. [...] Denn die wirklich zerstörerische Kraft des Terrors beruht darauf, dass er den Menschen letzten Endes mit jenem Bösen in Berührung bringt, das der Mensch selbst in sich birgt." Schließlich erwähnte Grossman die Juden in Europa, die sich nicht mehr sicher fühlten. In der WELT berichtete Hannes Stein über einen Rabbi aus Washington D.C., der die US-amerikanische Regierung aufgefordert hat, "den europäischen Juden Asyl zu gewähren".
"Wir sind im Krieg", behauptete der französische Philosoph und Schriftsteller Pascal Bruckner im Gespräch mit der NZZ. "Uns hat die erste grosse Attacke getroffen, laut Spezialisten könnte Deutschland folgen [...]." Bruckner forderte eine "theologische Reform des Islams". Generell sei er aber sehr pessimistisch: Nun sei "Schluss mit Karikaturen". Die neue, in einer Auflage von drei Millionen gedruckte Ausgabe von "Charlie Hebdo" strafte den französischen Autor zwar Lügen. Seine Einschätzung, dass die Ideen der Aufklärung durch einen zunehmenden "Obskurantismus" gefährdet seien, klang dagegen sehr überzeugend..
"Ja, ich bin ein Feind der Philosophie der Aufklärung", mit diesen Worten zitierte Georg Diez den französischen Autor Michel Houellebecq im SPIEGEL. Das hat er mit den Islamisten gemein und mit jenen Nicht-Muslimen, die das neue, eigentlich doch sehr harmlose Cover von "Charlie Hebdo" im Internet kritisierten. Das sei dumm, so gieße man nur wieder Öl ins Feuer, schrieben diese Leute. Ob das wirklich sein müsse? "Ja, es muss sein", antwortete ihnen Georg Diez, "weil jemand es so will – das ist die Freiheit, die die Aufklärung meint".
Einer, der diese Freiheit kompromisslos verteidigt, ist Ali Dilem. Der nordafrikanische Karikaturist erzählte Reiner Wandler von der TAZ, wie er bisher mit der Angst vor der eigenen Ermordung umgegangen ist: "Ich habe Zeiten in Algerien durchlebt, als so gut wie jeden Tag jemand kam, um mir zu drohen. 'Wir werden dich töten.' Irgendwann bist du so weit und sagst einfach nur noch, na, dann mach halt." Die Verabredung zu eben diesem Interview mit der TAZ hatte Ali Dilem am Telefon mit den folgenden Worten bekräftigt: "Bis morgen dann. Falls ich noch am Leben bin."