Aus den Feuilletons

Der Boss der Herzen

Von Arno Orzessek |
Kitsch oder Kunst? Die Feuilletons sind sich uneins über die neue Platte von Bruce Springsteen. Außerdem in den Zeitungen: Prosa von Paul Nizon und Oliver Hirschbiegels Film „Diana“.
Wissen Sie, liebe Hörer, was „Minimste Schwebungen“ sind?
Glückwunsch!
Wir selbst haben den Online-Duden benötigt, um zu kapieren: Das Wort „minimste“ ist ein schweizerischer Verwandter des deutschen Superlativs „minimalste“, erlaubt allerdings auch poetischere Übertragungen.
Die erwähnte Überschrift in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ließe sich – Sprachschusseln wie uns zum leichteren Verständnis – etwa in „Geringfügigste Schwebungen“ umformen.
Ob so oder so: SZ-Autor Christopher Schmidt lobt das Werk „Die Belagerung der Welt“, das bei Suhrkamp erschienen ist. Es enthält ausgewählte Aufzeichnungen des Schriftstellers Paul Nizon, der in Frankreich größere Anerkennung genießt als bei uns.
„Über die Jahrzehnte [so schwärmt Schmidt,] [entstehen] […] feinstoffliche Prosa-Preziosen, eine betörender als die andere, stets nah am Verstummen, Phasen von Blockade, Verfinsterung und Schreiblähmung abgerungen, Bücher, die Nizon als den wohl größten Stilisten und Sprachmagier in der deutschen Literatur ausweisen. Als ‚Geburt der Schönheit aus dem Bade des Nichts, Selbstwerdung auf Papier‘, charakterisiert er sein ‚erstohlenes‘ Schreiben.“
Und wo wir gerade beim Nichts sind:
Auch von dem Autor, der die verblüffende These aufgestellt hat „das Nichts nichtet“, Martin Heidegger, erscheinen demnächst Aufzeichnungen, die es in sich haben sollen. Der Verlag Vittorio Klostermann veröffentlicht drei Bände der „Schwarzen Hefte“ mit Notizen aus den Jahren von 1931 bis 1941, die Heidegger zeitlebens geheim gehalten hat.
Folgt man der BERLINER ZEITUNG, wird sich die Frage „War Martin Heidegger ein Antisemit?“ eindeutig klären lassen. Wobei Dirk Pilz die Antwort schon kennt.
„Ja, das war er. Zumindest zeitweise. Er glaubte etwa ein ‚Weltjudentum‘ am Werk, das sich zum Ziel gesetzt habe, die von Heidegger behauptete deutsche Sonderrolle im philosophischen Geschick des Abendlandes zu unterwandern.“
Derweil wandern wir gedanklich übers Morgenland hinaus bis nach Japan, wo der neue Roman von Haruki Murakami spielt – „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“.
Gregor Dotzauer äußert im Berliner TAGESSPIEGEL erkleckliche Vorbehalte – „Das ist alles hart an der Grenze zum esoterischen Quatsch“ –, feiert Murakami aber trotzdem:
„Seine Romane sind im Grunde zeitgenössische Märchen: voller phantastischer Einsprengsel und reich an archetypischen Vorstellungen, die aus der Schmucklosigkeit seiner Prosa hervorstechen. Im besten Fall entstehen Passagen von halluzinatorischer Wirkung.“
Und nun die feuilletonistischen Neuigkeiten für jene, die es mit den Büchern nicht so haben.
„Ich schraube, also bin ich“, titelt die SZ und behauptet in Person von Gerhard Matzig:
„[Unsere] Gesellschaft hat für eine Renaissance gesorgt: für die Wiedergeburt der Do-it-yourself-Bewegung einerseits und für die Reanimation einer altbekannten, eben darum vielleicht umso sympathischeren Heldenfigur andererseits. Es ist der Schrauber. Der Typ aus Analogien. Zwei Hände hat er, im Idealfall, um damit über seine eigene Dingwelt zu herrschen.“
Sollten Sie weder Leser noch Schrauber sein, gehen Sie vielleicht gern ins Kino, liebe Hörer. Meiden Sie dort aber auf jeden Fall Oliver Hirschbiegels „Diana“.
Laut FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ist der Streifen blöd und wird „schnell vergessen sein“.
Musikfreunde wird es interessieren, dass sich die Kritiker im Blick auf das neue Album von Bruce Springsteen – es heißt „High Hopes“ – nicht einig sind. Michael Pilz klärt in der Tageszeitung DIE WELT noch einmal Grundsätzliches:
„Warum ist es so schwer, Bruce Springsteen nicht zu lieben und sein Pathos zu verachten, seine Hymnen nicht zu mögen und es ordinär zu finden, wenn er auf der Bühne mit den Stiefeln stampft und heiser durch die Zähne singt, dass es am Stadtrand dunkel ist? Weil er der Boss der Herzen ist. Wenn man ihn braucht, ist er zur Stelle.“
Markus Schneider aber schimpft in der BERLINER ZEITUNG, Springsteens neue Songs würden sich „zu glitschig überproduzierten Kraftmaschinen […] blähen.“
Ziemlich kaputt, diese Formulierung!
Aber nun. Wir wünschen Ihnen, dass Sie sich beim Aufstehen wie Paul Nizon fühlen, der laut SZ einmal notiert hat:
„‘Der Tag ist jung, und ich habe Lust auf einfach alles.‘“