Aus den Feuilletons

Das Wunder der Berlinale

Der iranische Regisseur Jafar Panahi im Porträt
Der iranische Regisseur Jafar Panahi © AFP / Atta Kenare
Von Maximilian Steinbeis · 15.02.2015
Der iranische Regimekritiker Jafar Panahi ist für seinen Film "Taxi" mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet worden. Das Feuilleton verneigt sich vor dem im Iran mit einem Drehverbot belegten Regisseur.
Was den einen zu Tränen rührt, findet die andere furchtbar blöd, und umgekehrt. So ist das im Feuilleton, so ist das im Leben generell, und ob man das nun schade finden soll oder gut, auch darüber kann man trefflich geteilter Meinung sein. Vollkommene Eintracht gibt es erst im Himmel - doch auf die Religion kommen wir gleich noch mal zurück. Zuerst müssen wir das Wunder preisen, dass die 65. Berliner Filmfestspiele einen Sieger hervorgebracht haben, den tatsächlich alle super finden.
"Die kunstreichste filmische Verführung des vom schlechthin Schönen ins Träumen entführten Blicks zur Selbsterkenntnis, die seit Jahren im Kino zu sehen war", superlativiert sich Dietmar Dath in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG fast ins Delirium. Nach Meinung der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG verbindet der iranische Siegerfilm "Taxi" "Widerstandsgeist mit einem vielschichtigen Ideenreichtum ( ... ), er ist kreativ, witzig, klug."
Und in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG verneigt sich Susanne Ostwald vor dem im Iran mit einem Drehverbot belegten Regisseur Jafar Panahi, "der nicht mit vordergründig anklagendem Habitus zu Werke geht oder frustriert und selbstmitleidig sein Los beklagt, sondern einfach das macht, was er nicht darf: einen hervorragenden Film drehen, der messerscharf die Zustände in seiner Heimat seziert."
Den Preis für den Iraner als politisches Signal zu werten, wie das manche iranische Medien tun, sei "ungerecht und falsch", so die NZZ-Autorin, "denn so wird unfreiwillig und indirekt die Argumentation des iranischen Regimes bestätigt." Genauso sieht es Cristina Nord, die in der TAZ wettert:
"Wer in der Auszeichnung nur ein politisches Signal sieht, mit dem westliche Liberale es dem Regime in Teheran aber mal so richtig zeigen, ist nicht nur naiv, er übersieht auch die spezifische Qualität des Films."
Das muss sich dann wohl auch die WELT gesagt sein lassen, in der Hans-Georg Rodek mit geradezu trotzigem Gestus den in Berlin eingeschlagenen "Pflock für Meinungs- und Kunstfreiheit" in den Vordergrund rückt. Soviel zur vollkommenen Eintracht.

Alles rund um die Berlinale in unserem Berlinale-Portal
Skurriles auf unserem Berlinale-Blog

Anschlag von Kopenhagen
Dies war nicht nur der Tag des Goldenen Bären, sondern auch der des Anschlags von Kopenhagen, der aber nur in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG feuilletonistischen Niederschlag findet. Jürgen Kaube schließt den Begriff des Wutbürgers mit dem Djihadismus in europäischen Großstadt-Banlieues kurz und kommt zu folgendem deprimierenden Befund:
"Geschossen wird auf Leute, von denen die Täter glauben, sie seien Stellvertreter dessen, was sie ablehnen."
Ob das nun die Juden sind oder die "religiös Indifferenten" oder einfach "jedermann". Ein Autorentrio aus Gerd Althoff, Thomas Bauer und Perry Schmidt-Leukel beugt in einem langen Text der Gefahr vor, dass wir uns allzu bequem auf die inhärente Gewaltbereitschaft des Islam einigen, und demonstriert, dass nicht nur "die abrahamitischen Religionen, sondern auch die östlichen Religionen im Hinblick auf ihr friedensförderliches und konfliktstiftendes Potential ambivalent" sind, und überdies auch "säkulare Ideologien," weshalb am Ende keine noch so große Eintracht wider irgendeinen gemeinsamen Feind hilft, sondern "nur nüchterne Analyse und kritische Sensibilisierung für die jeweiligen gewaltproduzierenden und -legitimierenden Mechanismen."
Marthaler am Hamburger Schauspielhaus
Jetzt bleibt uns nur noch wenig Zeit für ein Spektakel, das Christoph Marthaler am Hamburger Schauspielhaus aufgeführt hat, John Osbornes 50er-Jahre-Schocker "Der Entertainer" nämlich. "Gute Abendunterhaltung" von "durchschlagender Harmlosigkeit", glaubt man Peter Laudenbach in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, aber das kann man offenbar auch ganz anders sehen. In der WELT schildert Stefan Grund ein geradezu österliches Heilgeschehen von Tod und Auferstehung:
Das "deutsche Staatstheater" habe Marthaler "beerdigt", nur dies "derart ergreifend", dass es "sogleich wieder der Gruft entsteigt, beziehungsweise der Urne entploppt, die Marthaler als Tischfeuerwerk beim großen Finale zünden lässt. Heraus purzeln Maskennasen und jeder anwesende Schauspielclown greift sich eine."
Soll man das gut finden? Oder todtraurig? Da kann man lange streiten.
Mehr zum Thema