Aus den Feuilletons

Das Lob der Begrenzung

Peter Sloterdijk
Der Philosoph Peter Sloterdijk, hier auf einem Bild vom Oktober 2012. © dpa / Andreas Gebert
Von Adelheid Wedel · 29.01.2016
Der Philosoph Peter Sloterdijk hat dem "Cicero" ein Interview gegeben, in dem er den Nationalstaats preist und Merkels Flüchtlingspolitik verdammt. Die "Welt" vermutet: Wie jeder alternde Revolutionär wolle Sloterdijk sich jetzt auf dem Bestehenden ausruhen.
"Halt's Maul, Sachbearbeiterin, jetzt rede ich." Dieser Satz fällt in dem neuen Roman "Ohrfeige" des irakischen Autors Abbas Khider. Sein 19-jähriger Held Karim, ein Flüchtling aus dem Irak, versucht in Europa Fuß zu fassen, "zu viele Gesetze versperren ihm den Weg zum Sprachkurs, einer legalen Erwerbstätigkeit, einem normalen Leben. Der Autor liefert zutiefst traurige, ärgerliche, lebendige Szenen, die so schnell nicht in Vergessenheit geraten," schreibt Fatma Aydemir in der Tageszeitung TAZ. Sie gibt zu bedenken, "Anfang 2016 einen Roman zu veröffentlichen, der sich um das Leben von Asylbewerbern in Deutschland dreht, das klingt nach einem smarten Move. Doch," so korrigiert sie sich, "für Khider ist das Thema ein altes." In seinen bisher drei veröffentlichten Werken beschäftigte er sich schon mit Flucht, Widerstand und Exil. Der 1973 in Bagdad geborene Schriftsteller musste 1996 seine Heimat verlassen. Die Rezensentin betont, die Ohrfeige "ist auch bezeichnend für das Leben Karims und das der jungen Männer, denen er in diversen Asylantenheimen begegnet. Sie sind in ihren besten Jahren, haben unterschiedliche Talente und können nichts tun außer zu warten, die Zeit totzuschlagen bis der nächste Bescheid kommt, der vielleicht gar einem Faustschlag gleichen wird. Der Leser wird Zeuge," fasst die Rezensentin anklagend zusammen, "wie Individuen zugrunde gehen in unserem wohlhabenden, gastfreundlichen Deutschland."
"Selbst Freigeister wie Peter Sloterdijk lassen im Angesicht der Flüchtlingskrise plötzlich den Mut sinken und singen das Lob der Begrenzung," bedauert Ulf Poschardt in der Tageszeitung DIE WELT. Er geht auf ein Interview ein, das Sloterdijk dem Magazin "Cicero" gegeben hat und findet es erstaunlich, dass nun im Chor der Nationalliberalen der Philosoph das hohe Lied auf den Nationalstaat singt, "inklusive Abgesang auf die ungeliebte Kanzlerin." Einige Gedanken aus dem Interview werden zitiert. So sagte Sloterdijk beispielsweise: "Als lockerer Bund hat die EU mehr Zukunft, als wenn sie auf Verdichtung setzt." Poschardt vermutet: "Vielleicht kommt Sloterdijk wie jeder Revolutionär in ein Alter, wo er sich im Bestehenden und Beständigen ausruhen will. Die Revolution müssen jetzt andere weiterführen. Gerade die von Sloterdijk mit angetriebene der Entstaatlichung und Verzivilgesellschaftlichung."
Der TAGESSPIEGEL informiert über eine andere Stellungnahme zur Flüchtlingsfrage. Martin Walser, so berichtet Gerrit Bartels, lobt Angela Merkel. "Was sie getan habe, so der 88 Jahre alte Schriftsteller in einem Interview mit dem Focus, war großartig. In Deutschland wurde zum ersten Mal weltbewegend menschlich reagiert." Letztlich führen bei Walser alle Wege über die Sprache. Und das sei auch jetzt so, wenn er sagt, "wie naturgemäß es sei, dass ein Land sich durch Zuwanderung verändere." Walser schwärmt: "Eines Tages werden die Flüchtlinge von heute die Dichter von morgen sein. Es ist ein Reichtum, der uns bevorsteht und keine Beraubung."
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG berichtet vom Literaturfestival im indischen Jaipur und resümiert: "Im Inneren Indiens brodeln Nationalismus und Hass. Die Regierung in Delhi hat große Angst vor Anschlägen," schreibt Alex Rühle. Diese katastrophenähnliche Nervosität habe auch das Literaturfestival erreicht, das zum 12. Mal fünf Tage lang Superstars aus Literatur, Film und Fernsehen präsentiert. Am interessantesten sei es, indischen Autoren zuzuhören, "allein deshalb", so empfand das der Autor, "weil man das Gefühl hat, dass dieses Festival direkt mit dem zentralen Nervensystem des Subkontinents verbunden ist." Neu dürfte für die Leser hier sein, dass die Superstars des indischen Kinos, Amir Khan und Shah Rukh Khan "gegen die extreme Intoleranz und den religiösen Mehrheitsterror" in Indien gewettert haben. Rühle berichtet: "Sie wurden als Landesverräter beschimpft, sie sollten doch endlich nach Pakistan abhauen."
Mehr zum Thema