Aus den Feuilletons

"Das Handy von Frau Jedermann"

Von Adelheid Wedel |
Bei Angela Merkels Besuch in Washington wird die NSA-Affäre vermutlich nur eine untergeordnete Rolle spielen. Genau das kritisiert der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum in der FAZ als einen Fehler.
"Ungebremst betreibt die NSA ohne einschränkende Kriterien ihre gigantische Vorratsdatenspeicherung mit den Daten der Europäer weiter – eine anmaßende rechtliche Dominanz gegenüber 500 Millionen Europäern", kritisiert der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Daraus leitet er die Forderung ab: "Wenn die Kanzlerin jetzt nach Amerika fährt, muss sie ein offenes Wort unter Freunden sprechen."
Inzwischen verlautete, dass "das massenweise Ausspähen von Kommunikationsdaten nur eine untergeordnete Rolle beim Treffen zwischen Merkel und Obama spielen soll". Von konkreten Forderungen der deutschen Seite sei wenig zu hören.
Baum macht deutlich: "Die Zusage, das Handy von Frau Merkel werde künftig nicht mehr abgehört, ist ja wohl eine Selbstverständlichkeit. Es geht jetzt um das Handy von Frau Jedermann." Denn, so Baum weiter, den Schutz der Privatheit, eines von Geburt an unveräußerlichen vorstaatlichen Rechts eines jeden Menschen ... "gilt es zu verteidigen". Schließlich geht es dabei "um ein fundamentales Element unserer Werteordnung: das sittliche Prinzip der Menschenwürde. Es prägt in unserem Lande nicht nur das Verhältnis der Bürger zum Staat, sondern auch das der Bürger untereinander. Die Ausspähprogramme der NSA," das unterstreicht Baum in der FAZ, "sind ein Angriff auf unsere Souveränität. Damit nehmen sie auch Einfluss auf die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie."
Sollte jemand fragen: Wieso? erhält er die Antwort: "Menschen, die sich beobachtet fühlen, werden sich behindert fühlen in der Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte." Der Autor kommt zu dem Schluss: "Freiheitsverletzung und Sicherheitsgewinn stehen in keinem Verhältnis."
"Hebelt die Demokratie aus"
Ebenso kritisch reflektiert Andreas Zielcke in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG seine Beobachtungen. Eine Reihe in jüngster Zeit verletzter Souveränität - wie Russlands Eingriff in die Ukraine, die Entmachtung der Demokratie im beabsichtigten Investitionsschutzabkommen zwischen den USA und der EU, die Überwachung durch die NSA, Guantanamo und Folter, Weltbank, IWF und die Bevormundung verschuldeter Staaten - nimmt er als Beweis dafür, "dass das Staatsrecht im Augenblick eine Krise durchmacht, einen Wandel, der das Recht modernisiert und zugleich entstellt".
Seine Argumentation führt zu dem Schluss: "Die neue Weltordnung, in der das Recht als das idealtypische gesellschaftliche Regulativ einer folgenreichen Transformation ausgesetzt ist, hebelt die Demokratie aus."
Als eine kurze Zeit der Träume werden afghanischen Kulturschaffenden die letzten Jahre in Erinnerung bleiben. "Jetzt sehen sie dem Rückzug der internationalen Gemeinschaft mit Sorge entgegen", schreibt Taqi Akhlaqi in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.
Derzeit arbeitet er in Kabul an seinem ersten Roman über die Geschichte Afghanistans seit dem Sturz des Taliban-Regimes. In einer kurzen Abhandlung schildert er, unter welchen Bedingungen sich Literatur und Kunst in den letzten Jahren in seiner Heimat entwickelt haben.
"Als die Menschen aus dem Westen kamen, hoben sich plötzlich jahrzehntelange Barrieren. Die Zensur war endlich aufgehoben. Doch die Energie, die durch diese historische Öffnung freigesetzt worden war, erschöpfte sich bald." Denn, "obwohl die Zensur aus unseren Gesetzbüchern verschwunden ist, behindern doch die alten Sitten, Gebräuche und ungeschriebenen Verhaltensregeln die Entwicklung von Literatur und Kunst".
"Träume auf der Suche nach dem täglichen Brot vergessen"
Zudem kommt die prekäre finanzielle Lage der Künstler, die – so beschreibt es der Autor – "hier zunächst einmal Angestellter, Fahrer, Bodyguard, Sekretär, Buchhalter oder Ladenbesitzer und danach erst Schriftsteller oder Künstler" sind.
Nun, so fürchtet der junge Schriftsteller, "wird das künstlerische Schaffen auf unabsehbare Zeit wieder ins Abseits gedrängt werden, die Kunstszene bleibt denen überlassen, die das Geld dafür haben". Akhlagi prognostiziert: "Afghanische Schriftsteller und Künstler werden mit dem Abzug des Westens ihre Träume auf der Suche nach dem täglichen Brot vergessen."
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