Aus den Feuilletons

Das Beste aus einer untergegangenen Welt

Lemmy Kilmister
Der vor Kurzem verstorbene Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister ist nur einer von mehreren Heavy-Metal-Altstars, die in Deutschland immer noch die Charts stürmen © picture alliance / dpa / Foto: Andreas Gebert
Von Hans von Trotha |
Während etwa in Algerien Hip-Hop-Festivals zur offiziellen Kulturpolitik gehören, flüchtet das überalterte Deutschland mit Heavy-Metal-Bands wie Motörhead oder Slayer musikalisch in die Vergangenheit.
"Kultur in den Zeiten des Terrors", titelt die FAZ, und es beschleicht einen das Gefühl, das steht überhaupt als Motto über den Feuilletons. Joseph Croitorus' Thema ist die Kulturpolitik in Algerien.
"Das Land ist von den Umwälzungen des Arabischen Frühlings weitgehend unberührt geblieben... Das Frühlingserwachen hat Algerien verpasst, deswegen gibt es dort jetzt auch keine Enttäuschung. Der Kulturminister will die abwandernde Jugend mit Hip-Hop-Festivals und Bücherkonvois im Land halten."
Hip-Hop. Das liegt daran, dass in Algerien "der Jugend, ihren Subkulturen und ihren Belangen immer mehr Aufmerksamkeit gezollt wird – schätzungsweise rund siebzig Prozent der knapp 40 Millionen Algerier sind unter dreißig".
Lemmy statt Helene Fischer
Während wir hier in einer Gesellschaft auf dem Sprung in die Überalterung leben. Was das für den nationalen Musikgeschmack bedeutet? Andreas Hartmann erklärt es in der TAZ:
"Sie existieren immer noch: Iron Maiden, Slayer und bis vor Kurzem Motörhead. Alle drei Bands haben erst jüngst neue Alben veröffentlicht, allesamt landeten sie auf Platz eins der deutschen Charts. Selbst Slayer, einst, in den Achtzigern, bekannt als brutalste Band des Planeten: An der Spitze der Charts, dort, wo sonst Helene Fischer steht."
Wie das? Hartmann erläutert:
"Kaum ein Genre hat so treue Fans wie Heavy Metal. Und weil diese nach wie vor Platten kaufen, statt illegal downzuloaden, stürmen Slayer und Iron Maiden die Charts."
Wie Rollenspieler auf dem Mittelaltermarkt
Als Kronzeugen zitiert Hartmann Götz Kühnemund, den Chefredakteur des Metal Magazins "Deaf forever", den er als den "Diedrich Diederichsen des Metaljournalismus" vorstellt. Der sagt:
"Es ist tatsächlich so, dass eine ältere Generation gerade zurückkommt zum Metal. Diese entdeckt wieder neu, was ihr früher mal so viel Spaß gemacht hat."
Hartmann weiter:
"Es geht darum, einfach so zu tun, als wäre die Zeit nicht im goldenen Zeitalter des Metal, den Achtzigern, stehen geblieben, sondern noch ein paar Jahre vorher, was Metal-Fans das wohlige Gefühl vermittelt, dass das Beste noch vor einem liegt. Man tut so – beinahe wie Rollenspieler auf dem Mittelaltermarkt –, als lebte man wieder in einer eigentlich längst untergegangenen Welt."
Die beste aller möglichen Welten
Weil es einfach die Beste war. Die Bestmögliche zumindest. Felix Zwinzscher hat für die WELT die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften besucht. Da ging es um den Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz. Es sollte "die unmögliche Leibniz-Behauptung, Gott habe die beste aller möglichen Welten geschaffen, geklärt werden." Und zwar in 57 Veranstaltungen in sechs Stunden, darunter vielversprechende Formate wie: "Bestmögliche Weltuntergänge. Literatur und Apokalypse" oder: "Was, wenn die Menschheit im Jahr 1960 ausgestorben wäre?"
Am Ende sucht der von besten Welten spürbar überreizte Autor "Zuflucht in einem kleinen, schummrig beleuchteten Raum, dessen Tür von einer Leibniz-Büste bewacht wird."
"Sibylle Lewitscharoff und Jürgen Trabant haben eben begonnen, abwechselnd eine Geschichte vorzulesen. Es ist Voltaires 'Candide oder die beste aller Welten', die märchenhaft-satirische Abrechnung mit eben jenem deutschen Aufklärer .... Mit Perücke und allem. Lewitscharoff und Romanist Trabant lesen als schwäbisch-hochdeutsches Mischwesen die letzten Kapitel des Buches."
Der Flüchtling als Faschingsfigur
Leibniz als schwäbisch-deutsches Mischwesen mit Perücke. Bald ist ja Fasching. Und da ist anscheinend kein Kostüm mehr zu absurd. Die TAZ meldet:
"Neben den herkömmlichen Kinder-Faschingskostümen Prinzessin oder Cowboy bieten diverse Online-Versandhändler in diesem Jahr auch das Modell 'Flüchtling' an ... präziser betitelt: 'Kinder 1940er Jahre, Kriegszeit, evakuierte Flüchtlinge'. Für Jungen umfasst es einen grauen Pullunder über dreckigem Hemd mit Pluderhose, für Mädchen einen Mantel mit hochgeschlossenem Baumwollkleid."
Spiegel Online wird mit dem Hinweis zitiert, "in England sei die Nachfrage nach solchen Kostümen besonders hoch, weil in Grundschulen oftmals historische Ereignisse nachgespielt würden. Dazu gehöre auch ein 'World War II'-Tag mit Soldaten und Flüchtlingskostümen."
Allerdings betont der TAZ-Kommentator – und damit sind wir eben doch wieder bei der Kultur in Zeiten des Terrors:
"Es ist fast unmöglich, das Kostüm ohne den aktuellen Bezug zur Flüchtlingsfrage zu betrachten. Kinder, die vor Bürgerkrieg fliehen müssen, egal ob heute oder damals, ... (sind) neben einem strahlenden Superman, Marienkäfer oder Piraten ziemlich deplatziert."