Aus den Feuilletons

Das alte Rom - einfach vulkanisiert

04:21 Minuten
Rauchwolken am Vulkan Okmok vor der Küste von Alaska.
Suchbild mit Vulkan: Manche Forscher glauben, dass der Vulkan Okmok die Geschichte der Menschheit stark beeinflusst hat. © imago images / StockTrek Images
Von Arno Orzessek · 12.07.2020
Audio herunterladen
In den Feuilletons wird diskutiert, ob ein Vulkan vor der Küste Alaskas am Untergang des Römischen Reiches schuld sein könnte. Die FAZ hält nichts von der These und schmäht die Anhänger als Fantasten, die alte Quellen manipulierten.
Fragen Sie sich manchmal, wie Sie mehr Zeit für sinnvolle Dinge gewinnen können? Dann haben wir einen heißen Tipp: Schauen Sie sich den Erotikthriller "365 Tage", der bei Netflix läuft, nicht an. Der Streifen, Mafioso entführt Frau, um sie binnen eines Jahres in sich verliebt zu machen, ist nämlich "hölzern und dumm".
Das findet zumindest die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG – Überschrift: "Ganz schlechter Sex". Susan Vahabzadeh beklagt, das Machwerk sei von einem "gleichförmigen Popschleim" untermalt, und findet es so mies, dass "im Vergleich sogar 'Fifty Shades of Grey' noch recht professionell wirkt".
So viel zum lockeren Einstieg. Machen wir nun in puncto Niveau einen Hochsprung und kommen zu dem Philosophen Hans Blumenberg, der an diesem Montag 100 Jahre alt geworden wäre. Ob man Zeit gewinnen kann, indem man etwas bewusst unterlässt, was man vielleicht ohnehin nicht tun wollte, etwa "365 Tage" gucken, diese knifflige Frage hätte einen Blumenberg durchaus fesseln können.

Der Tod und die Schokoladenpralinès

Die Artikel zu seinem 100. Geburtstag dürften unterdessen eher Innen- als Außenstehende fesseln. Unter der Überschrift "Selbst im Tod blieb er unsichtbar" untersucht der Philosophie-Historiker Heinrich Niehues-Pröbsting in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG die unterschiedlichen Auskünfte, die Ehefrau und Tochter über den Tod Blumenbergs 1996 gegeben haben.
Wir halten nur fest, dass Frau Blumenberg den Romanisten Hans-Robert Jauss wissen ließ, ihr Mann sei, die geliebten Schokoladenpralinès in der Hand, einfach auf der Bettkante zusammengesackt; es sei ein "gnädiger" und "würdiger" Tod gewesen.
Im Berliner TAGESSPIEGEL beschreibt Sebastian Tränkle die bekannte Seltsamkeit, dass Blumenberg in intellektuellen Kreisen und in einigen wissenschaftlichen Disziplinen immer populärer wird – nur nicht in der akademischen Philosophie selbst. Tränkles Erklärung: "Ein Denken, das Umwege präferiert, (hat) einen schweren Stand in einer Fachkultur, in der logische Stringenz als Primärtugend angesehen wird."
Unter dem Titel "Bewusstsein für die verlorene Zeit" lobt Lothar Müller in der SZ die neuen Blumenberg-Biographien von Rüdiger Zill und Jürgen Goldstein. Blumenbergs Leidenschaft waren die Metaphern; er arbeitete an einer "Theorie der Unbegrifflichkeit" – für viele ein Widerspruch in sich.
Doch Müller stellt klar: Blumenberg "zielte nicht auf Ermäßigung begrifflicher Anstrengung oder Flucht in die Anschaulichkeit, sondern auf die Vervollständigung und Selbstaufklärung der Begriffsgeschichte durch eine Überprüfung der Metaphern, die notwendig zur Geschichte des Denkens gehören."

Heckmeck mit Okmok

Wir bleiben wissenschaftlich. "Brachte der Okmok Rom zur Strecke?" fragt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. Okmok ist kein semantischer Verwandter von Heckmeck, falls das jemand denkt, Okmok heißt ein Vulkan vor der Küste Alaskas.
Einige Altertumswissenschaftler behaupten nun, ein Ausbruch des Okmok 43 vor Christus samt Aschewolke und Klima-Absturz habe die Auflösung der römischen Republik und das Aufkommen des Kaisertums verursacht.
Stefan Rabenich hält den Vertretern der Okmok-These in der FAZ jedoch vor, "auf der grünen Welle ins Reich der Phantasie" zu reiten und alte Texte als Belege zu manipulieren:
"Souverän wird ignoriert, dass Hungersnot und Wetterunbill zum topischen Inventar unglückverheißender Omina gehören, deren Erwähnung nicht notwendigerweise die historische Realität abbildet. Denn sonst könnte den Bohrkernen (der Klima-Wissenschaftler) vielleicht bald auch noch entnommen werden, dass es Blut vom Himmel regnete, Raben die Namen von Konsuln aushackten und Flüsse versiegten, wie manche Chronisten festhielten."

Debatte um Debatten-Kultur

Immer noch hohe Wellen schlägt der offene Brief, in dem 153 Intellektuelle eine "Atmosphäre der Zensur" und ein "Klima der Intoleranz" in der westlichen Debatten-Kultur beklagen. Die TAGESZEITUNG liest den Brief als wenig überzeugende "Reaktion auf den Verlust der eigenen Bedeutungshoheit" von Super-Promis wie J. K. Rowling und Salman Rushdie.
Anders die NZZ: Sie hält es mit Margaret Atwood, die beklagt, die moralisierende Linke folge dem Prinzip "schuldig durch (bloße) Anklage".
Finden Sie unsere Kulturpresseschau heute anstrengend? Nun, dann erlösen wir Sie jetzt. Fordern im Gegenzug jedoch – mit einer Überschrift des Berliner TAGESSPIEGEL: "Bitte juchzen Sie."
Mehr zum Thema