Aus den Feuilletons

Cool ist nicht Castorfs Temperatur

Frank Castorf, Intendant der Volksbühne in Berlin
Frank Castorf, Intendant der Volksbühne in Berlin © dpa / picture alliance / Claudia Esch-Kenkel
Von Gregor Sander · 18.03.2015
Frank Castorf erklärt der "Zeit", warum er 2016 als Intendant der Berliner Volksbühne aufhören muss. Eigentlich vertraut er nur seiner eigenen Meinung, aber in diesem Fall gibt es eine höhere Macht, die das Ende erzwingt.
"So ein Theater ist ja kein Erbhof", sagt Frank Castorf im Interview mit der Wochenzeitung DIE ZEIT. "Sie hören als Intendant der Volksbühne auf?", fragt Peter Kümmel und Castorfs Antwort lautet: "Es gibt ein großes Interesse in Berlin daran, dass ich aufhöre. Im Alten Testament heißt es: Sie sind weder heiß noch kalt. Ach wären sie doch heiß und kalt und nicht lau. Und Berlin ist nicht lau, aber cool geworden. Coolness ist nicht meine Temperatur." Nun gab es in den letzten 25 Jahren vermutlich keinen cooleren Intendanten im Land als Castorf, und er zelebriert auch in diesem Interview den einsamen Cowboy.
Die eigene Meinung sei eben die einzige, der man vertrauen könne, gibt er zu bedenken und als Kümmel verdattert nachfragt: "Die eigene?" Legt Castorf los: "Die eigene, ja! Heute sind wir überflutet von Stimmen, von Informationen, und wenn man die aufklärerische Kategorie der Wahrheit dagegensetzt, bleibt einem nur die eigene Stimme. Die Wahrheit muss man schon in sich selbst finden – auch in der Unstimmigkeit zu den Moralvorstellungen der demokratischen Gesellschaft." Und so lässt der Intendant der Volksbühne, dessen Vertrag 2016 ausläuft, in der ZEIT auch keinen Zweifel daran, was er von seinem eigenem Abtritt hält: "Es ist der Wunsch der neuen Berliner Kulturpolitik. Von meiner Seite hätte ich, da ich nie ein Ende finden kann, auch an der Volksbühne keins gefunden."
Wenn die erste Silbe im Mund hängt
Und wie sieht das Theater nach der Generation Castorf aus? In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG portraitiert Mounia Meiborg den 33-jährigen Theaterautor Wolfram Lotz. Sein Stück "Die lächerliche Finsternis" ist gerade für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert worden und wird auch beim Berliner Theatertreffen zu sehen sein. "Als anarchischer Autor wird Wolfram Lotz von Kritikern oft bezeichnet", schreibt Meiborg. "Im Gespräch wirkt er eher wie ein wohlerzogener Nachbarsjunge: sehr blaue Augen, verschmitztes Lächeln, Kapuzenpulli über grauem Hemd. Er stottert. Manchmal gar nicht, manchmal leicht und selten so, dass seine Gesichtsmuskeln vor Anstrengung zucken."
Das Stottern vergleicht Wolfram Lotz in der SZ mit dem Schreiben. "Die Brüche beim Schreiben, der Widerstand – das sei dem Stottern ähnlich", sagt er. "Wenn einem die erste Silbe im Mund hängt, spürt man das körperlich. Sprache ist dann nicht selbstverständlich, sondern muss erkämpft werden." Und wie sehen die Erfahrungen mit dem Theaterbetrieb für so einen jungen Autor aus? "Zu hierarchisch sind ihm die Strukturen, zu scheinheilig viele Theatermacher", sagt Lotz. "Viele Intendanten klopfen ihm auf die Schulter – und machen weiter wie bisher."
Einer von uns mit Torte
Etwas Neues entdecken wollte Ursula Scheer von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Am Bahnhofskiosk schüttelte das Personal am Mittwoch noch ungläubig den Kopf – ein Papstmagazin? Aus dem Panini-Verlag, der Aufkleber-Hefte zu Fußball-Weltmeisterschaften und Comics produziert? Und wie, bitte, solle das neue Heft heißen: Mein Papst? "Nie gehört.'" Das wird sich vermutlich bald ändern, denn dieses Magazin gibt es tatsächlich. Mit einer Auflage von 250000 startet der deutsche Ableger des italienischen Originals aus dem Mondadori-Verlag, der der Familienholding von Silvio Berlusconi gehört. Auch Ursula Scheer ist es schließlich gelungen, ein Exemplar zu ergattern. "Der Papst der Herzen – Franziskus ist einer von uns!' prangt es auf der Titelseite unter einem Bild des freundlich grüßenden obersten Brückenbauers. Im Innenteil gibt es ‚bewegende Momente, emotionale Begegnungen, große Reisen – die schönsten Bilder aus aller Welt mit Papst Franziskus' zu sehen. Der Papst mit Geburtstagstorte im Flugzeug. Der Papst mit Regencape in Tacloban. Der Papst vor Schweizergardisten. Immer gut gelaunt, immer umgeben von fröhlichen Menschen. Als Dreingabe sind zwei Papst-Poster zum Herausnehmen beigelegt."
Dass das 70-seitige Magazin monatlich erscheinen soll, stimmt Lucas Wiegelmann von der Tageszeitung DIE WELT allerdings nachdenklich: "Unklar ist noch, wer im April Posterboy wird. Wenn man dem Buch Exodus glauben darf, steht Gott jedenfalls nicht zur Verfügung."
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