Aus den Feuilletons

Briten gründen aus Protest eine Zeitung

Die britische Wochenzeitung "The New European" wurde nach der Entscheidung der Briten für den Brexit am 8. Juli 2016 gegründet. Sie will eine Stimme der 48 Prozent der Wähler sein, die für einen Verbleib in der EU gestimmt haben.
Die britische Wochenzeitung "The New European" wurde nach der Entscheidung der Briten für den Brexit am 8. Juli 2016 gegründet. © imago / Kyodo News
Von Hans von Trotha · 12.12.2016
In Großbritannien wurde direkt nach der Entscheidung für den Brexit die Wochenzeitung "The New European – We are the 48%" gegründet. Sie richtet sich an die Gegner des EU-Austritts und ist inzwischen profitabel, erzählt die "SZ" eine ermutigende Geschichte aus der Verlagswelt.
"Wer ist nun schuld am Rechtspopulismus?", versucht der Kursbuch-Herausgeber Armin Nassehi in der SÜDDEUTSCHEN eine Bilanz. Er stellt die Frage:
"Warum ist es unter den Wohlmeinenden kaum gelungen, die wirklichen Schwierigkeiten mit der Flüchtlingskrise beim Namen zu nennen, ohne dabei das Lager zu wechseln und den Verächtern nach dem Mund zu reden, wie es jetzt geschieht?"
Für ihn "zeugt das Büßerhemd und die Selbstbezichtigung jener, die nun die 'besorgten Bürger' in Schutz nehmen, von einer eklatanten Denkfaulheit. Es geht nicht um die Frage,
ob diese oder jene Perspektive die richtige sei", sondern zum Beispiel um diese:
"Wie lässt sich das politische Geschäft von der Unterscheidung sozialer Gruppen zur Unterscheidung sachlicher Lösungen zurückführen?"
Saviano erhält seit Oktober 2016 Personenschutz, weil der Morddrohungen von der Camorra erhielt.
Der italienische Journalist und Schriftsteller Roberto Saviano.© picture alliance / dpa / Cesare Abbate
Italienischer Schriftsteller Roberto Saviano schreibt Brief an Landsleute
Eine Frage die sich auch der neue italienische Ministerpräsident stellen sollte. Erstaunlicherweise auch über die SÜDDEUTSCHE versendet der Schriftsteller Roberto Saviano einen "Brief an meine Landsleute nach dem Referendum".
"Ich bitte Euch", schreibt er, "das Nein ... nicht als Fortsetzung eines gesamteuropäischen Trends zu verbuchen. Es gibt nämlich Daten, die deutlich machen, dass sich unser Land auf einem ganz eigenen, schwierigen Pfad befindet. Mit Nein", so Saviano, "haben die Jüngeren gestimmt ... Das Gegenteil war in England beim Brexit der Fall: Dort waren die jungen Leute für den Verbleib in der EU. In Italien hat das Nein (jener) gewonnen, ... , die für sich keine Zukunft sehen. ... Das Nein", so Saviano, "war eine Möglichkeit – die einzige, die den Italienern in den letzten Jahren zur Verfügung stand –, 'basta' zu sagen: 'Verarscht uns nicht, ihr tut rein gar nichts für uns.'"
Laurie Penny
Die britische Autorin und Bloggerin Laurie Penny.© Jon Cartwright

Großbritannien debattiert über den Untergang Roms

Genau das aber war beim Brexit auch der Fall. Die Bloggerin Laurie Penny hatte am Tag danach die Formulierung geprägt:
"Wenn alles, was du hast, ein Hammer ist, dann sieht irgendwann jedes Problem aus wie das Gesicht von David Cameron."
Sie erinnern sich? Das war damals der Premierminister.
Derzeit tobt auf der Insel eine Debatte um den Untergang Roms, die, so Christian Schröder im TAGESSPIEGEL, "im postfaktischen Trend (liegt) – geht es doch um die Einwanderer von heute".
"Verfall von Kultur und Sitten, schleichender Niedergang, Apokalypse? Schuld sind die Barbaren. Sie waren es, die einst das Römische Reich überrannten, mordeten und brandschatzten und die europäische Zivilisation zurückstießen in ein dunkles Zeitalter ... 'Stimmt' twitterte jetzt der britische Geschäftsmann Arron Banks: 'Das Römische Imperium ist durch Einwanderer zerstört worden.' Der Millionär hat die 'Leave.EU'-Kampagne gegründet und die Brexit-Partei Ukip mit Spenden gefördert. Der Brexit, sagt er, war die letzte Chance, Großbritannien 'aus den Händen einer liberalen Elite zu retten, die ihr eigenes Land hasst'. Vor allem soll der Brexit das Land davor bewahren, von den neuen Barbaren okkupiert zu werden, den Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan."
Die Althistorkerin Mary Beard hält dagegen:
"Es waren", erklärt sie, "vor allem innere Konflikte, an denen das alte Rom zerbrach. Das Imperium überdehnte sich, Britannien, das sie vergeblich durch den Hadrianswall zu schützen versuchten, wurde für die Römer laut Beard 'zu einer Art Afghanistan' mit Guerillakrieg und Terroranschlägen. Die Macht des Zentrums erodierte immer mehr."
Also haben die Briten das Imperium auf dem Gewissen, nicht umgekehrt. Glück gehabt, EU!
Hannes Munzinger erzählt, auch das in der SÜDDEUTSCHEN, die die nagenden Themen stark besetzt, eine ermutigende Geschichte vom Brexit. Am Tag danach stellt sich der Verlagsmanager Matt Kelly die Frage: "Welche Zeitung würdest du kaufen, um zu demonstrieren, dass du Teil der 48 Prozent bist?", die für die EU gestimmt haben – und beantwortet sie mit einer Neugründung. "The New European" ist inzwischen profitabel.
"Zeitungen könnten analog zu Stimmungen und Trends entstehen und wieder vergehen ... Zu welchem Anlass man wieder eine Zeitung gründen könnte, lässt er offen: 'Es ist schwer auszumalen, was der nächste Brexit sein könnte. Keiner hat Donald Trump vorhergesehen. Aber warum macht keiner die 'Daily Trump Watch'?"
Grauenvoller Gedanke – hoffentlich hat das jetzt keiner gehört.
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