Aus den Feuilletons

Braucht man eine digitale Buchmesse?

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Ijoma Mangold, Literaturkritiker und Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit", ist während eines Gesprächs auf der ARD-Buchmessenbühne in der Festhalle auf Monitoren der Regie zu sehen. Die «Sonderedition» der Buchmesse findet vom 14. bis 18. Oktober statt.
Die Frankfurter Buchmesse ohne reale Besucher ist eine ganz neue Erfahrung. © Arne Dedert / dpa
Von Tobias Wenzel · 17.10.2020
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Die Frankfurter Buchmesse findet ohne Publikum vor Ort statt. Für den „Tagesspiegel“ wird sie dadurch überflüssig. Der Autor Daniel Kehlmann erinnert sich da lieber an seine erste Buchmesse. Was der Heilige Geist damit zu hat, erklärt er im "Spiegel".
Schmutzige Hände, die Buchmesse ohne Anfassen, das Ende der Party – es mangelte kräftig in den Feuilletons dieser Woche. Selbst Gott und dem Heiligen Geist wurde Unvollkommenheit zugetraut.
"Ob der Herrgott sich die Hände ordentlich wusch, bevor er Adam zum Leben erweckte, ist nicht überliefert. So ein himmlischer Körperkontakt ist ja wahrscheinlich auch nicht keimfrei", machte sich Christiane Peitz im TAGESSPIEGEL so ihre Gedanken zum Welthändewaschtag. Sie stellte den Lesern den Arzt Ignaz Semmelweis vor, der die Vorzüge von Handhygiene und Desinfektion erkannte, als er in einer Wiener Geburtsklinik Mitte des 19. Jahrhunderts arbeitete und dort ungewöhnlich viele Mütter an Kindbettfieber starben.
"Er fand heraus, dass es an den Ärzten und Medizinstudenten liegt, die vormittags im Sezier- und nachmittags im Kreißsaal tätig waren, mit 'an der Hand klebenden Cadavertheilen'", schrieb Peitz. Semmelweis verordnete daraufhin Handhygiene. "Händen ist also zu misstrauen", schrieb die Journalistin und belegte das augenzwinkernd mit dem Hinweis auf Oliver Stones Psychothriller "Die Hand": "Einem Comicautor wird bei einem Autounfall die Hand abgetrennt, die sich auf mörderische Weise selbstständig macht."

"Die Party ist tot. Es lebe die Party"

Also am liebsten jede fremde Hand meiden? Dabei ist Deutschland schon vor Corona eine "Distanzkultur" gewesen, klärte Gerhard Matzig in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG auf:
"Man hat ernsthaft mal gemessen, wie oft sich Personen im öffentlichen Raum, abhängig von der Nationalität, nahe kommen oder berühren. In südlichen Ländern war die Quote gegenüber den nördlichen Ländern deutlich erhöht. Auch deshalb werden oder wurden Partys gemacht. Um zu vergessen, dass man ein traurig schon geborener Nordmensch ist."
Nur könne jetzt nicht mehr dagegen angefeiert werden. Oder wie Matzig es in seinem "Nachruf auf die Party" formulierte: "Die Party ist tot. Es lebe die Party."

Der Heilige Geist und die Frankfurter Buchmesse

Wie war die Frankfurter Buchmesse 2020? Das fragt sich Gerrit Bartels im TAGESSPIEGEL vom Sonntag und antwortet: "Ach, sie war nicht wirklich, und digital brauchte man sie so gar nicht." Eine Buchmesse ohne Publikum vor Ort – da erinnerte sich Daniel Kehlmann in der Online-Ausgabe des SPIEGEL lieber an bessere Zeiten und seine erste Frankfurter Buchmesse: "Ich denke daran, wie mir ein religiöser Wirrkopf ein Pamphlet in die Hand drückte, geschrieben, wie der Umschlag lapidar verkündete, vom Heiligen Geist", erinnerte sich Kehlmann.
Der Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld habe ihn gefragt, was er da lese. "Diesen Schriftsteller haben Sie noch nicht unter Vertrag", habe Kehlmann da geantwortet und Unseld das Heft gereicht: "Und er sah auf den Namen des Autors, Heiliger Geist, und öffnete es und blätterte und sah mich an und sah wieder hinein und sagte: 'Ach so, aha!', und beide dachten wir wohl Ähnliches: 'Oh Gott, wie komme ich jetzt schnell wieder raus aus dieser Lage!'"
Das sonst übliche Stimmengewirr der Messe hat Tobias Rüther auch in diesem Jahr erlebt - vom Schreibtisch aus: "Und auf dem Rechner sind so viele Seiten gleichzeitig offen, mit so vielen parallelen Übertragungen von Interviews und Diskussionen der virtuellen Frankfurter Buchmesse 2020, dass plötzlich alle durcheinanderreden", schreibt Rüther in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. "Man muss dann aber einfach nur den Browser schließen, und es ist wieder still."

Don DeLillo will nicht über Trump sprechen

"Die Stille" heißt Don DeLillos neuer Roman über einen Stromausfall in New York. Ijoma Mangold hat den US-amerikanischen Autor dazu per Telefon für DIE ZEIT interviewt. Herausgekommen ist allerdings ein tragikomisches Gespräch. Erst behauptete DeLillo, in seinem Roman komme das Wort "Corona" gar nicht vor, Mangold müsse eine alte Fassung haben. Dann versuchte der Journalist verzweifelt, etwas Interessantes aus dem 83-jährigen Autor herauszuholen:
"Wenn man die Vereinigten Staaten durch Ihren Roman anschaut, fragt man sich natürlich, welche Rolle Trump darin spielt", bemerkte Mangold. "Darüber möchte ich lieber nicht reden", entgegnete DeLillo. Mangold wendete sich da an den Leser: "'Die Stille', schreibt der Verlag, sei 'der Roman der Stunde'. Wenn man mit dem Autor des Romans der Stunde spricht, muss man doch irgendwie auf die politische Großwetterlage zu sprechen kommen..."

Angst vor den US-Präsidentschaftswahlen

DeLillos Kollege Richard Ford hat kein Problem damit, über Donald Trump zu sprechen. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN fragte er sich, ob Trump ein "Präfaschist" oder "ein böses Kind" sei, und gestand, mit Blick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen, "Angst" zu haben:
"Viele von uns glauben, jetzt stünde der Autoritarismus vor den Toren unserer ziemlich verletzlichen amerikanischen Demokratie, die sich dehnen und biegen kann, aber in ihrer Geschmeidigkeit (was ja sonst eine Qualität ist) kann es auch passieren, dass sie die ungebetene Bestie hereinbittet."
Nach all dem Mangel zum Schluss noch richtiges Können: Die Deutschen seien berühmt für ihre "Lüftkompetenz", behauptete der Satiriker Hans Zippert in der WELT. "Vor allem zwei Techniken muss man hierzulande beherrschen, das Stoßlüften und das Querlüften. Ob Querdenker eher zum Querlüften neigen oder das Lüften generell ablehnen, weiß man noch nicht. Lüften ist das neue Impfen." Und, wollte man ergänzen, das neue Händewaschen.
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