Aus den Feuilletons

"Bitte eine PISA-Pause!"

Von Arno Orzessek  · 15.05.2014
Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit dem Gendermainstreaming, mit der Zukunft der PISA-Studien und mit den Aufgaben von Europas Politikern.
Interessieren Sie sich für Gendermainstreaming, liebe HörerInnen?
Dann empfehlen wir Ihnen das Interview der TAGESZEITUNG mit Anna Damm und Lisa Hornscheidt von der Arbeitsgruppe für geschlechtergerechte Sprache an der Berliner Humboldt-Universität.
Die beiden WissenschafterInnen sind, um das pfiffigste Beispiel herauszugreifen, ganz unbedingt für den Gebrauch des Wortes "Professx" ...
Falls es denn so und nicht etwa Professx ausgesprochen wird.
Fest steht, dass 'Professx' wie der Professor ohne –or beziehungsweise wie die Professorin ohne –orin geschrieben wird und gendermäßig noch viel unbestimmter ist als, sagen wir, Dragqueen Conchita Wurst.
Warum 'Professx' die Geschlechtssprachgerechtigkeit enorm befördert, das haben Damm und Hornscheidt in einer Broschüre erklärt ... .
Die von wortmächtigen Medien wie der Bild-Zeitung leider übler diffamiert wurde als westliche Homosexuelle in Russland.
Dabei ist das x in 'Professx' absolut durchdacht, betont Anna Damm in der TAZ :
"[Die x-Form] ist für uns die Form, die tatsächlich Zweigeschlechtlichkeit durchkreuzt, deswegen auch das x. Sie sagt nicht nur, es gibt eine Lücke, wo etwas reingedacht werden kann, sondern hier findet tatsächlich ein Aufbrechen der klassisch zweigeschlechtlichen Formen statt."
Liebe Hörx, angesichts dieses Coups müsste man eigentlich eine Schweige-Lücke einlegen, wo etwas reingedacht werden kann ... .
Doch wir schlagen die Tageszeitung DIE WELT auf und lesen: "Bitte eine Pisa-Pause!"
DIE WELT druckt Auszüge eines offenen Briefes der Gesellschaft für Bildung und Wissen – adressiert an Andreas Schleicher, der bei der OECD den Pisa-Test koordiniert.
Im Brief heißt es:
"Das neue Pisa-Regime mit seinen kontinuierlichen globalen Testzyklen schadet unseren Kindern und macht unsere Klassenzimmer bildungsärmer durch gehäufte Anwendung von Multiple-Choice-Testbatterien, vorgefertigten (und von Privatfirmen konzipierten) Unterrichtsmodulen, während sich die Autonomie unserer Lehrer weiter verringert. Auf diese Weise hat Pisa den ohnehin schon hohen Grad an Stress an unserer Schulen weiter erhöht und gefährdet das Wohlbefinden von Schülern und Lehrern."
So die Gesellschaft für Bildung und Wissen, die in der WELT um "eine Pisa-Pause" bittet.
"Wir haben debattiert, jetzt werden wir handeln",
tönt der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
In einem echt langen Riemen setzt sich Gabriel mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs auseinander, demzufolge Google & Co. auf Verlangen Betroffener bestimmte Daten löschen müssen.
Die Politiker in Europa haben laut Gabriel auf Ganze gesehen "vier fundamentale Aufgaben":
"Erstens: Wir müssen den Bürgern die Verfügungsmacht über den Gebrauch der digitalen Technologie sichern und, wo sie schon entglitten ist, zurückerobern. [ ... ] Zweitens: Die Wirtschaftspolitik steht vor der fundamentalen Herausforderung, die Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft auf die Höhe des digitalen Zeitalters zu bringen."
Kaum nötig zu sagen, dass Gabriel in der FAZ jeden Punkt üppig erläutert ... Wir aber machen ihm mittels drastischer Kürzungen Beine.
"Drittens: Wir brauchen ein Stoppschild für Steuerdumping. [ ... ] Es kann doch nicht sein, dass der Internethandel durch aggressive Verlagerung der Gewinne in Steueroasen [ ... ] radikal der Besteuerung ausweicht, während die normalen Einzelhändler vor Ort, die sich an die Regeln halten, zugrunde gehen. Viertens: Wir müssen eine Ordnung der Arbeit formulieren, in der die 'Clickwörker' nicht zu rechtlosen Tagelöhnern der digitalen Moderne werden."
Nun denn. Verglichen mit der digital verschnarchten Kanzlerin steckt Vizekanzler Gabriel allemal knietief im Big Data-Stoff.
Um den geht es auch im Berliner TAGESSPIEGEL – und zwar unter dem hübschen Titel
"Kollektiver Google-Hupf".
Aber lesen Sie selbst nach, liebe Hörer, unsere Zeit ist um.
Sie und ich, wir praktizieren jetzt genau das, was in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Überschrift wurde – nämlich: "Bewusstes Entpaaren."