Aus den Feuilletons

Backpfeifen für Ex-SPD-Wähler

04:23 Minuten
Drei Rednerpulte stehen in der Parteizentrale vor einem roten Hintergrund.
Die SPD soll nach Nahles Rücktritt von einem kommissarischen Trio geführt werden © alliance/Wolfgang Kumm/dpa
Von Arno Orzessek · 03.06.2019
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Der Niedergang der SPD wird auch in den Feuilletons diskutiert. Während der "Tagesspiegel" die Gründe in der Partei selbst verortet, knüpft sich die "Tageszeitung" die abgewanderten Wähler der Sozialdemokraten vor. Deren Verhalten sei "eklig".
Mitleidig, abfällig, teils verächtlich: So wird derzeit oft über die SPD gesprochen.
Die TAGESZEITUNG aber macht da an diesem Dienstag nicht mit.
Sie titelt: "Schämt euch, Wähler!" – und knöpft sich diejenigen vor, die sich von den Sozialdemokraten abgewandt haben.
"Keine Partei ist mit einem so hohen Anspruchsdenken konfrontiert wie die SPD", behauptet Barbara Dribbusch.
"Und wenn Mama und Papa dann nicht mehr liefern, dann gibt’s eben kein Kreuzchen mehr, sondern nur noch ein Ätsch, nur noch 15 Prozent, wie zum Beispiel bei der Europawahl. Dann strafst du ab, abgewanderter Wähler, abgewanderte Wählerin. Dann ergötzt du dich am darauf folgenden Spektakel, wenn eine Partei sich selbst zerlegt. Wie eklig ist das und wie regressiv. Genau die Partei, die sich den Kampf gegen Ungerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, wird von dir am ungerechtesten behandelt."
Backpfeifen für Ex-SPD-Wähler, beherzt ausgeteilt von Barbara Dribbusch in der TAZ.
Der Berliner TAGESSPIEGEL bevorzugt die konventionelle Perspektive: Er macht die Sozen für ihre Misere komplett selbst verantwortlich.
"Die SPD ist mit 156 Jahren die älteste deutsche Partei. Sie hat vor 100 Jahren für die Weimarer Demokratie gekämpft, viele ihrer Mitglieder wurden von den Nazis verfolgt und ermordet. Anstand, Respekt, Zusammenhalt: Müssten das nicht ursozialdemokratische Tugenden sein? Stattdessen liegen Heckenschützen auf der Lauer. Verachtung, Missgunst und Selbstüberhöhung dominieren", hält Malte Lehming fest.
Das unbarmherzige Resümee des TAGESSPIEGEL-Autors: "Die Nachkriegsgeschichte der SPD lässt sich als Selbstentleibung der Partei erzählen."

Netflix denkt über Rückzug aus Georgia nach

Aus geschmacklichen Gründen verzichten wir darauf, von der "Selbstentleibung" der SPD über die "Frucht des Leibes" zur US-amerikanischen Abtreibungsdebatte überzuleiten…
Und schlagen stattdessen in der Tageszeitung DIE WELT ungesäumt den Artikel "Hollywoods Herzschlag" auf. Der Titel spielt auf die Gesetzes-Verschärfung an, die in einigen US-Bundesstaaten jegliche Abtreibung verbieten soll, sobald das Herz des Embryos zu schlagen beginnt.
Laut WELT-Autor Hans-Georg Rodek erwägt Netflix, seine Investitionen in Georgia zu überdenken, falls das Gesetz dort in Kraft tritt – und Georgia ist nach Los Angeles und New York immerhin das drittgrößte Filmzentrum der USA. Allerdings gibt Rodek zu bedenken:
"Hollywood ist, seit Spielberg, Redford & Streisand in den Siebzigern die Macht übernahmen, ein liberaler Ort, obwohl seine eigene Geschichte in Sachen Abtreibung kein Ruhmesblatt ist. Generell galt das Axiom, dass sich die Rolle eines Glamour-Stars und einer Mutter mit Kindern nicht vereinbaren ließen; Leinwandgöttinnen werden nicht schwanger, nicht einmal im Zuge einer unbefleckten Empfängnis; Kinder waren deshalb unerwünscht, und so gibt es Legionen von Geschichten von Stars, die in einer vom Studio gemieteten Krankenhaussuite abtreiben ließen, von Jean Harlow über Lana Turner und Bette Davis bis zu Joan Crawford."
Hans-Georg Rodek über Hollywoods Abtreibungspraxis.

Vier deutsche Kunst-Weltmeister

Falls Sie auf bildende Kunst stehen, sollten Sie die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aufschlagen. Philipp Meier rezensiert das Buch "Wozu braucht man Kunst?" von Carolin Meister und Jean-Luc Nancy – und gewinnt die tiefe Erkenntnis:
"Wir brauchen Kunst als Nicht-zu-Gebrauchendes. Denn Kunst ist nutzlos. Darin aber besteht für uns ihr Wert."
Andererseits: Man kann mit Kunst zum "Weltmeister" werden! Das suggeriert jedenfalls ein Titel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, in der Gottfried Knapp die Ausstellung "Die jungen Jahre der Alten Meister: Baselitz – Richter – Polke – Kiefer" in der Stuttgarter Nationalgalerie bespricht.
"Seit Albrecht Dürer, dem Großmeister der Druckgrafik, hat kein deutscher Bildkünstler zu seinen Lebzeiten außerhalb seines Heimatlands eine solche Anerkennung erfahren wie diese vier Maler", freut sich Gottfried Knapp.
Weltmeister, Alte Meister, Großmeister – alles schön und gut! Trotzdem verabschieden wir uns mit der Parole, die im TAGESSPIEGEL Überschrift wurde:
"Verachtet mir die Kleinmeister nicht!"
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