"Aus Dummheit und Gier"

In der Kulturpresseschau geht es unter anderem um den künftigen EU-Kommissionspräsidenten und um die Plünderungen des syrischen Kulturerbes im Bürgerkrieg.
"Ein radikaler Politiker hat es irgendwie mit den Wurzeln zu tun", lesen wir in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, die sich mit den Wurzeln des Wortes "Radikal" beschäftigt - wozu natürlich "das Substantiv radix, 'Wurzel'" gehört, wie uns Klaus Bartels aufklärt. Das passt zu den radikalen Politikern, die ja im Europawahlkampf heftig zugelegt haben und nun die Einheit entwurzeln wollen.
Doch: "Zum ersten Mal erfährt das Europäische Parlament eine tatsächliche Legitimation", heißt es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Gerade dadurch, dass die Europagegner nach scharfem Meinungskampf Sitz und Stimme erlangt haben, um so die schlappen Europafreunde wachzurütteln – und die Böcke von den Schafen trennen." So bewertet die radikalen Populisten der Philosoph Jürgen Habermas im Interview. "Ich finde es gut, dass die Europagegner ein Forum gefunden haben, auf dem sie den politischen Eliten die Notwendigkeit vor Augen führen, die Bevölkerungen selbst endlich in den Einigungsprozess einzubeziehen. Der Rechtspopulismus erzwingt die Umstellung vom bisherigen Elitemodus auf die Beteiligung der Bürger."
Uns Wählern ist ja recht radikal vorgegaukelt worden, dass entweder der Sozialdemokrat Martin Schulz oder der Kandidat der Konservativen Jean-Claude Juncker Präsident der EU-Kommission werden - je nachdem, welche Fraktion im Europäischen Parlament die meisten Stimmen bekommt. Das sind jetzt die Konservativen. "Zum ersten Mal hat eine Europawahl stattgefunden, die den Namen einer politischen Wahl halbwegs verdient", lobt Jürgen Habermas – doch nun wird gerungen und gerangelt, gerade im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs, wo es auch bei den Konservativen an Unterstützung für den Gesinnungsfreund Jean-Claude Juncker mangelt. "Ich hoffe allerdings, dass sich im Europäischen Rat noch ein Meinungswandel vollzieht", sagt Jürgen Habermas im Interview. "Wenn diese Runde wirklich eine andere Person als einen der beiden Spitzenkandidaten vorschlagen sollte, würde sie das europäische Projekt ins Herz treffen. Denn fortan wäre keinem Bürger die Beteiligung an einer Europawahl mehr zuzumuten." Radikale Worte.
"In seinem Leitfaden der Landwirtschaft schreibt der alte Cato dem Gutspächter ins Pflichtenheft, er solle zu Anfang des Frühjahrs die Wiesen düngen und alles Unkraut radicitus, 'samt der Wurzel', ausgraben", erfahren wir noch in der Sprachkolumne der NEUEN ZÜRCHER zum radikalen Worte. "Würden unterste Erdschichten achtlos zuoberst gekehrt, gingen die wichtigsten Informationen unwiederbringlich verloren." Das steht auch in der NEUEN ZÜRCHER - aber zu dem traurigen Thema, wie im syrischen Bürgerkrieg mit den Hinterlassenschaften uralter Zivilisationen umgegangen wird. "Die Plünderungen des syrischen Kulturerbes nehmen verheerende Ausmaße an", meint Mona Sarkis und berichtet von Banden, die nach den Zeugnissen der sumerischen, akkadischen und altbabylonischen Hochkulturen graben und die verhökern – nach London, München oder New York. "Aus Dummheit und Gier zerstören wir das Verständnis für unsere eigenen kulturellen Wurzeln", wird der Archäologe Michael Müller-Karpe vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz zitiert. Ein "Milliardengeschäft" sei der Handel mit solchen Kulturgütern, so die NEUE ZÜRCHER.
"Unwillkürlich steigt die Erinnerung hoch an ähnliche Zerstörungen im Irak", mahnt Mona Sarkis, "und an die beiden Worte, mit denen der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld diese Verluste kommentierte: 'Stuff happens'." Dummes Zeug passiert eben, könnten wir das übersetzen. "Offenkundig war solch grenzenloser Zynismus kein Einzelfall. Unterdessen stirbt Syrien jeden Tag mehr. In jeder Hinsicht."