Aus den Feuilletons

Aufwärts! Vorwärts!

Der Shanghai Tower erreichte am 3. August 2013 seine Endhöhe von 632 Metern. Damit ist er das höchste Gebäude Chinas und das zweithöchste der Erde nach dem Burj Khalifa in Dubai (828 Meter).
Der Shanghai Tower (rechts) im Ensemble mit dem Jin Mao Tower und dem Shanghai World Financial Center im Shanghaier Finanzdistrikt Pudong. © picture alliance / dpa / He Youbao
Von Hans von Trotha · 23.06.2014
Die "Welt" beschäftigt sich mit den städtebaulichen Visionen Chinas, die anscheinend immer ambitionierter werden. Und die "Berliner Zeitung" hat ein exklusives Interview mit politischer Brisanz.
Die Welt im Spiegel der Architektur. In einer TAZ-"Landeskunde" erklärt die Architektin Ana Beatriz Ambrosio, Oscar Niemeyer sei viel mehr als nur "der bekannteste Architekt" Brasiliens:
"Seine Bauweise symbolisiert unser Land, weil er die Geschichte Brasiliens im 20. Jahrhundert architektonisch ausgestaltet hat."
Wenn Bauten derart wichtig werden, lässt man sie gern zum Weltkulturerbe erklären. Das klappt aber nicht immer, wie Nikolaus Bernau in der BERLINER ZEITUNG berichtet:
"Alle Vorschläge Berlins wurden von der Kultusministerkonferenz zurückgewiesen."
Als Grund wird "Überdruss an der berüchtigten Anspruchshaltung der Hauptstadt" vermutet. "Wenn", warnt Bernau,
"Berlins Politiker weiterhin annehmen, dass hier als bedeutend Geltendes selbstverständlich auch überregional anerkannt wird, droht ein neues Desaster."
Die umweltfreundlichsten Wolkenkratzer weltweit
Womit einigermaßen verlässlich zu rechnen sein wird. Woanders wird derweil am Weltkulturerbe der Zukunft gebaut. Früher oder später werden sie vielleicht auch Projekte aufnehmen, die noch nicht fertig sind – was die Chancen für Berlin deutlich verbessern würde. Im akuten Fall geht es aber um China.
"Die Wolkenkratzer der Zukunft", zitiert die WELT,
"stehen nicht mehr in den USA sondern in Zentralchina. Das meint die britische Architekturfirma Chetwoods und gab jetzt bekannt: Sie werde im chinesischen Auftrag in Wuhan, der Hauptstadt der Provinz Hubei, zwei 'Phönixtürme' bauen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. … Ihre nadelförmig in den Himmel pieksenden Hochhäuser seien mit geplanten 1000 Metern nicht nur die höchsten Wolkenkratzer der Welt, sondern auch die umweltfreundlichsten."
Das Tolle daran: In Wuhan, der Hauptstadt der Provinz Hubei, weiß man nichts von dem Projekt. Was vielleicht auch wieder gut ist, denn die WELT zitiert auch Pekings bekannte Finanzzeitschrift Caijing, die
"warnte schon früh vor dem 'Wolkenkratzer-Index' von Andrew Laurence. Der Banker entdeckte 1999 einen verblüffenden Zusammenhang: Großen Wirtschaftskrisen der letzten 100 Jahre ging eine Welle an Investitionen in Superhochhäuser voran."
Wie visionär kann Städtebau sein?
Aber, wie schriebt die FAZ zu China:
"Das Volk will wohnen". - "Dabei", so erklärt Mark Siemons, "ist in China überhaupt nicht klar, was eine Stadt eigentlich ist."
Er berichtet von einem städtebaulichen "Experiment, das China gerade zusammen mit Singapur anstellt und das die Frage zu beantworten versucht: Kann man Städte auch ganz anders als bisher bauen? Die Frage",
heißt es weiter,
"ist dringlich. Wenn die Weltbank richtig gerechnet hat, steht China eine Bevölkerungsumschichtung bevor, wie sie die Geschichte noch nicht gesehen hat: 350 Millionen Menschen sollen bis 2035 vom Land in die Städte ziehen, also mehr als die gesamte Einwohnerschaft der Vereinigten Staaten."
Lernen von George W. Bush
À propos Vereinigte Staaten. Dolly Parton ist in Deutschland. Zum ersten Mal seit vierzig Jahren. Die BERLINER ZEITUNG hat sie im Interview und bringt es fertig, sie nicht nur nach ihren Brüsten zu fragen, sondern auch nach deren Namen. Also wirklich:
"Haben Ihre Brüste Namen?"
Und die Antwort lautet: Ja. - Da kommen Sie aber nie drauf:
"Ja, ich nenne sie Shock und Awe! Denn als Präsident Bush im Amt war und er im Irak einmarschierte, sagte er ständig, er sei in 'shock and awe'. Also gab ich meinen Brüsten diese Namen."
Diese Information lässt den Umstand in ganz anderem Licht erscheinen, dass auch der amerikanische Journalist George Packer in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG BushsShock-and-Awe-Aktion zitiert. Er sieht in ihr den Anfang vom Ende.
"Seit dem Irakkrieg herrscht der Eindruck, dass Amerika die großen Dinge nicht mehr gelingen", meint Packer. Gefragt nach der Beschwörung der Kleinstadtwelt durch Ronald Reagan sagt er:
"Reagan verkaufte eine Hollywood-Version davon, während er das Fundament zerstörte, das diese Welt zusammenhielt."
Die Kleinstadtwelt ist das Gegenprogramm zum chinesischen Bauboom. Wer wissen will, wie sie sich anfühlt, muss, um Dolly Parton noch einmal zu Wort kommen zu lassen, nur vor die Tür treten:
"Eure Häuser sind so hübsch klein! Ihr habt einen echt schönen Flecken Erde mit vielen Gärten und wundervollen Blumen. Wenn man aus Nashville kommt, dann weiß man das zu schätzen."
Und irgendwann werden die Chinesen beantragen, das, weil es "so hübsch klein" ist, unter irgendeinen Schutz zu stellen. Es muss ja nicht immer Weltkulturerbe sein.