Aus den Feuilletons

"Auf deutsche Empfindsamkeiten ist noch Verlass"

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Der Hinweis auf die geschlechtsneutrale Ansprache von Profx. Lann Hornscheidt. © Screenshot Humboldt-Universität zu Berlin
Von Tobias Wenzel · 23.11.2014
An der Uni gelten ohnehin ganz eigene Gesetze, meint die "Welt" zur Debatte um das Suffix -x, das dx Berliner Wissenschaftlx Lann Hornscheidt fordert. Da könne man auch fordern, die ganze Welt geschlechtsneutral zu x-en.
"Wollen Sie mit Lann Hornscheidt Kontakt aufnehmen?", heißt es in roter Schrift auf jener Internet-Seite der Berliner Humboldt Universität, die die Professur für Gender Studies und Sprachanalyse vorstellt. "Achten Sie bitte darauf, Anreden wie 'Sehr geehrtx Profx. Lann Hornscheidt' zu verwenden. Bitte vermeiden Sie alle zwei-gendernden Ansprachen wie 'Herr ___', 'Frau ___', 'Lieber ___', oder 'Liebe ___'."
Lann Hornscheidt, die als Antje Hornscheidt geboren wurde, sich aber weder als Frau noch als Mann fühlt, möchte also geschlechtsneutral mit dem Suffix –x angeredet werden. Geistig Verwirrte und/oder Gemeingefährliche fühlten sich von der Bitte herausgefordert und schickten der Wissenschaftlerin, äh: Wissenschaftlx, Hassnachrichten und sogar Morddrohungen.
"Auf deutsche Empfindsamkeiten ist noch Verlass!", macht sich Mara Delius in der WELT über diese Debatte lustig. Wer an einer Uni studiert habe, der wisse, dass dort nun einmal ganz eigene Gesetze gälten: "ein Dozent, der das Seminar bittet, ihn Nina zu nennen, während sich unter seinem engen Wollkleid stattlich ein Penis wölbt; eine Dozentin, die eine Umformulierung des Kant’schen Schönheitsbegriffs fordert, damit auch ihre teigigen Oberarme hineinpassen." Da wird mal ja wohl noch im kuriosen Kosmos Universität fordern dürfen, die Anrede und die ganze Welt geschlechtsneutral zu x-en.
"Großartig und radikal plausibel"
Nur wie macht man eigentlich ein Wort wie "Laufbursche" geschlechtsneutral? 1943, als "Laufbursche" noch keinen abwertenden Beigeschmack hat, erhält der in Norddeutschland lebende Maler Nansen Berufsverbot und wird von seinem Freund, dem Dorfpolizisten Jepsen, kontrolliert – im Roman "Deutschstunde" von Sigfried Lenz. Das Buch hat Johan Simons nun am Hamburger Thalia Theater inszeniert. "Großartig und radikal plausibel", findet Irene Bazinger in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Sie lobt den "Reduktionismus" des niederländischen Regisseurs und das entsprechend karge Bühnenbild, eine "umgekippte Raumecke" aus Holzplanken: "Es sind die geknickten, gekrümmten, angestrengt aufrechten Körper, die von Unterordnung und Widerstand, vom Vergessenwollen und Erinnernmüssen erzählen, egal, was die Buchstaben verkünden oder verschweigen." Matthias Heine erinnert in der WELT daran, dass Lenz den Maler Nansen nach dem "real existierenden, als entartet verfemten Expressionisten Emil Nolde gezeichnet hat".
Gesetz zur Regelung enteigneter Kunst gefordert
Mehr als 400 grafische Blätter von Emil Nolde, heute im Besitz des Sprengel-Museums Hannover, gehörten ursprünglich, bis die Nazis sie beschlagnahmten, überwiegend dem Folkwang-Museum Essen, berichtet Kia Vahland in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Ein Gesetz müsse her, das dafür sorge, dass die enteigneten Museen ihre Kunst zurückerhielten, schlug Jutta Limbach vor, die Vorsitzende der Raubkunst-Kommission der Bundesregierung. Kia Vahland hat über diese Idee mit einigen Museumsdirektoren gesprochen. Das Ergebnis: Die meisten wollen gar nicht die Kunst zurückfordern. Das erklärt sich die SZ-Autorin so: "Zu groß ist die Angst, mehr zu verlieren als zu bekommen. […] In all den Jahrzehnten wagte es niemand, am unausgesprochenen Stillhalteabkommen unter deutschen Museen zu rütteln."
"Kollegiale Geste" wäre schön gewesen
Samuel Herzog von der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG hätte sich eine "kollegiale Geste" gewünscht: dass das Kunstmuseum Bern, das wohl nun das Erbe der Sammlung Gurlitt annimmt, jene einst als "entartet" beschlagnahmten Werke an die Museen zurückgibt. Es gehe hier vor allem um Gouachen und Holzschnitte. Ein Zuschauermagnet, der neue Besucher nach Bern locke, befinde sich ohnehin nicht darunter:
"Wäre dasselbe Konvolut als Schenkung etwa eines Millionärs, der in der Westschweiz mit Schokolade sein Vermögen gemacht hat, an das Kunstmuseum gelangt, es hätte wohl einfach eine Medienmitteilung gegeben, eine kleine Ausstellung, vielleicht sogar mit Katalog – und schon wären die Blätter in der großen Kollektion des Hauses verdaut und vergessen gewesen."
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