Aus den Feuilletons

Auf den Spuren von Rosa Luxemburg

06:23 Minuten
Rosa Luxemburg bei einer Kundgebung.
Rosa Luxemburg war bis zu ihrem gewaltsamen Tod eine unermüdliche Kämpferin für eine gerechtere Welt. © picture alliance / Photo12 / Ann Ronan Picture Library
Von Arno Orzessek · 27.02.2021
Audio herunterladen
Rosa Luxemburg steht für Feminismus und Sozialismus. In den USA erscheint mit „Lux“ ein neues Magazin, das genau das verbinden möchte. Dessen Gründerin schwärmt in der „taz“ von wirklichem Luxus und meint damit ein Leben im Sozialismus.
"'Wir wollen viel mehr, wir wollen wirklichen Luxus'", lautete das verheißungsvolle Zitat, das die TAGESZEITUNG als Überschrift wählte, um ihr Publikum für ein Interview mit Sarah Leonhard zu interessieren. Leonhard ist die Gründerin des Magazins "Lux", das in New York erscheint. Und falls Sie jetzt denken: "Moment mal! Seit wann promotet die TAZ Luxus-Magazine?" Gemach, gemach! "Lux" ist in diesem Fall eine Anspielung auf die linke Ikone Rosa Luxemburg. Das Magazin will nämlich, so die TAZ, "Feminismus und Sozialismus verbinden".
"Ich denke", erklärte Leonhard, "dass der Sozialismus aufgrund des Kalten Kriegs lange mit dem Makel behaftet war, grau und deprimierend zu sein. Aber wir, meine Generation, kennen den Kapitalismus nur so, dass er das Leben grau und deprimierend macht. Ich glaube, dass es schwieriger ist, Leute anzuziehen, wenn man keine Vision hat. Und der Sozialismus hat eine leuchtende, herrliche Vision. Wir wollen viel mehr, wir wollen die Dreitagewoche, wir wollen Familien, die genug Geld haben, um ein komfortables Leben zu führen, mit Ressourcen, viel Freizeit. Wir wollen das rote Wiener Modell mit schönen Sozialwohnungen und wunderbare öffentliche Parks."
Was Sarah Leonhard in der TAZ verlautbarte, hat uns an Sahra Wagenknecht erinnert, die einst, angesprochen auf ein opulentes Hummeressen, erklärt hatte: "Ich bin für eine Gesellschaft, in der alle Hummer essen können."

Wolfgang Thierse entdeckt die Identitätspolitik

"Wir brauchen eine neue Solidarität", forderte Bundestagspräsident a. D. Wolfgang Thierse in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, dachte dabei aber nicht an Hummer für alle. Unter der Fragestellung "Wie viel Identität verträgt die Gesellschaft?" kritisierte Thierse "das Gefährliche und Illusionäre rechter Identitätspolitik" und wandte dann den Blick nach links:
"Linke Identitätspolitik ist in der Gefahr, die notwendigen Durchsetzungs- und Verständigungsprozesse zu verkürzen und zu verengen. Aber es wird nicht ohne die Mühsal von Diskussionen gehen. Diese zu verweigern, das ist genau das, was als Cancel Culture sich zu verbreiten beginnt. Menschen, die andere, abweichende Ansichten haben und die eine andere als die verordnete Sprache benutzen, aus dem offenen Diskurs auszuschließen, das kann ich weder für links noch für demokratische politische Kultur halten. Für die gilt seit der Aufklärung: Es sind Vernunftgründe, die entscheiden sollen, und nicht Herkunft und soziale Stellung. Die eigene Betroffenheit, das subjektive Erleben sollen und dürfen nicht das begründende Argument ersetzen."

Gesine Schwan warnt vor dem Gift kollektiver Identität

Für seine Ausführungen erntete Wolfang Thierse im Netz Beschimpfungen. Das wiederum rief die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan auf den Plan, die auch Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission ist. Unter dem Titel "Wider das Gift kollektiver Identität" bemerkte Schwan in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:
"Mir scheint, in Zukunft geht es weniger um Mehrheit und Minderheit. Sondern, es geht um die Frage, ob wir in eine Gesellschaft von unterschiedlich großen und mächtigen 'Communitys' zerfallen, die jede für sich eine 'kollektive Identität' beanspruchen und damit immer schon auf dem Weg der Exklusion Anderer sind. Können wir unter der Bedingung dieser 'kollektiven Identitäten' noch unsere Freiheit und unsere Würde als Individuen leben?"
Schwan bemühte sich erkennbar um Mäßigung an der Krawallfront. Ihre Botschaft lautete: "Es ist an der Zeit, an unseren Gemeinsamkeiten zu arbeiten."

Ist das Outing von 185 queeren Schauspieler*innen mutig?

Das war schön gesagt, in der Realität aber regiert weiterhin der Zoff, etwa rund um "Act Out". Zur Erinnerung: Anfang Februar hatten sich im SZ-Magazin unter dem Hashtag #ActOut 185 "Schauspieler*innen" als lesbisch, schwul, transgender, intersexuell oder nicht binär geoutet. Die meisten Medien zollten der Aktion Beifall.
Sandra Kegel jedoch, die Feuilletonchefin der FAZ, hatte die Selbstsichtbarmachung für übertrieben gehalten und gönnerhaft geschrieben: "Bei einer Rolle übergangen zu werden, mag ärgerlich sein und sicherlich auch kränkend, aber lebensgefährlich ist das nicht."
Daraufhin folgten gleich "mehrere Shitstorms", wie nun die WELT hervorhob. Unter dem resignativen Titel "Das Ende der Solidarität" ergriff Swantje Karich letztlich Partei für Act Out:
"Die Frage der Stunde ist: Wie definieren wir das Gemeinwohl? Und wer bestimmt, wer und was dazugehört, wenn das Grundprinzip der Solidarität gegenüber Minderheiten nicht mehr greift, wenn die Notwendigkeit zur Veränderung nicht gesehen wird? Die Belange von queeren Menschen stehen jedenfalls den Bedürfnissen aller anderen nicht entgegen."
Die SZ berichtete über ein Jour Fixe der Grundwertekommission der SPD in Anwesenheit von Sandra Kegel, bei dem der Lesben- und Schwulenverband behauptete, die FAZ-Feuilletonchefin hätte gar nicht eingeladen werden dürfen. Andrian Kreye widersprach:
"Sich auf eine respektierte Kulturjournalistin einzuschießen, zahlt genau auf die falsche Seite ein. Ein Forum ist ein Ort zur Erörterung von Problemen und Fragen. Und exakt hier findet die Offene Gesellschaft ihr Ende?" Der SZ-Titel lautete übrigens: "Mob-Reflex '21"

Das Feuilleton entdeckt den Klassismus

Tja, und als gäbe es nicht genug Diskriminierungsfallen, in die man tappen, Identitäten, deren Ansprüche man übersehen, Opfer, die man verletzten könnte, macht nun auch noch der Klassismus von sich reden. Was es damit auf sich hat, erklärte Martin Eimermacher in der Wochenzeitung DIE ZEIT:
"So wie Sexismus Herrenwitz, Gender-Pay-Gap und Femizide subsumiert, soll Klassismus jegliche Schattenseite im Aktionsradius der Armut erfassen: Gelächter über das Kind, das mit Aldi-Tüte statt mit Ranzen zur Schule kommen muss. Die Bezahlung für Berufe, die krumme Rücken und Altersarmut garantieren. Abschätzige Kommentare im Germanistikseminar, kennt man den Kanon nicht, weil die Arbeitereltern statt ihren Goethe nur Mahnungen gelesen haben."
Umso erfreulicher, dass der neue SPIEGEL eine große Personengruppe von jedem Opferverdacht befreit und unter dem Titel "Das neue Fünfzig" hervorhebt: "Es ist falsch, in die ewigen Klagen über das Altern einzustimmen, Frauen in der Lebensmitte sind glücklicher denn je."
Okay, das war's. Und was machen Sie an diesem Sonntag? Unser Vorschlag: Fordern Sie jemandem, den Sie mögen, mit einer Überschrift der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG auf: "Führe mich in Versuchung!"
Mehr zum Thema