Aus den Feuilletons

Anständige Kapitalisten als Wohltäter der Gesellschaft

Der Großkapitalist Dagobert Duck badet ein seinem Reichtum
Der Großkapitalist Dagobert Duck badet ein seinem Reichtum © 2017 Disney und Egmont Ehapa Media
Von Arno Orzessek · 02.05.2018
In der "Zeit" geht es um das Konzept der "potenten Frau" und der "positiven Weiblichkeit", in der "Neuen Zürcher Zeitung" um die Idee des "anständigen Kapitalisten", während die "Taz" und die "Welt" auf die Eröffnung der re:publica und den dortigen Auftritt Chelsea Mannings blicken.
"Die potente Frau" heißt ein Büchlein von Svenja Flaßpöhler, der Chefredakteurin des "Philosophie Magazin", die durch skeptische Kommentare zum feministischerseits unterstellten Nutzen von #MeToo auffällt.
Im Gespräch mit der Wochenzeitung DIE ZEIT nennt Flaßpöhler die digitale Bekenntnis-Bewegung mehr oder weniger spöttisch "Hashtag-Feminismus" und erläutert, wie sie sich "positive Weiblichkeit" vorstellt:

Den Willen der Frau aus seiner Latenz befreien

"Mindestens so wichtig, wie das Nein der Frau zu stärken, wäre es, sie in die Potenz, eine aktive, offensive Sexualität zu bringen. Eine potente Frau begreift sich nicht als Spiegel des Mannes, sondern verfügt über ein eigensinniges Begehren. Sie erschöpft sich nicht darin, dem Mann zu gefallen und sie schiebt ihm auch nicht die Schuld für ihre eigene Passivität zu. Eine potente Frau wertet die Sexualität des Mannes nicht ab, sondern die eigene auf. Sie hasst den Mann nicht für seinen Willen, sondern befreit den ihren aus der jahrhundertelangen Latenz."
Svenja Flaßpöhler im Gespräch mit der ZEIT.
"Der gesellschaftliche Fortschritt lässt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts (die Hässlichen eingeschlossen)"… Das hat Karl Marx gesagt, dessen 200. Geburtstag am kommenden Samstag die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zu einer Marx-kritischen Doppelseite animiert.
Unter der Überschrift "Meister der Widersprüche" versucht die Ökonomin Karen Horn, Marx' elementare "Erzählung" kurz zusammenzufassen – und zwar so:
"Die Geschichte der Menschheit folgt einem langen Entwicklungspfad des Fortschritts zur Freiheit, und die kapitalistische Wirtschaftsform mit Privateigentum und arbeitsteiliger gegenseitiger Abhängigkeit stellt bloss eine – allerdings notwendige – Stufe auf diesem Weg nach oben dar. Diese Stufe gilt es so schnell wie möglich hinter sich zu lassen, denn auf ihr kommt es zwar zu materiellem Wohlstand, aber der Mensch wie auch die Gesellschaft insgesamt drohen am Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital zu zerbrechen."

Das Engagement des Kapitalisten als Ursache des Wohlstands

Tja, und auf der Stufe des materiellen Wohlstands befinden wir uns – als die Bevorzugten dieser Erde – nach wie vor. Unter der Überschrift "Im Kopf sind wir alle Marxisten" erklärt der politische Philosoph Martin Rhonheimer auf der Marx-Sonderseite der NZZ:
"Selbst Verfechter des freien Marktes erkennen oft nicht, welch grundlegendes Faktum Marx aus unserem Alltagsbewusstsein zu verdrängen vermocht hat: die 'Arbeit des Kapitals', die Leistung des kapitalistischen Unternehmers. Da gibt es – wie überall – Versager, Betrüger und Schlitzohren. Beispiele dafür wird man immer finden, und der skandalhungrige Wohlstandsbürger stürzt sich genüsslich auf sie. Damit macht er es sich jedoch zu leicht. Die meisten Kapitalisten sind anständige, einfallsreiche, jedenfalls wirksame Wohltäter der Gesellschaft. Ihr Engagement, bei dem sie selbst am meisten zu verlieren haben, ist die Ursache des Wohlstands der breiten Massen."
Nicht ganz auf der Höhe der Marxschen Theorie, der Anti-Marxist und NZZ-Autor Martin Rhonheimer.

Bewunderung für Chelsea Manning trotz einfacher Botschaften

Besuchen wir nun mit der TAGESZEITUNG die re:publica. Zum Auftakt der Internet-Konferenz hat Chelsea Manning gesprochen, die US-amerikanische Whistleblowerin, die vier Jahre im Gefängnis saß, bevor Barack Obama ihre 35jährige Haftstrafe drastisch verkürzte.
"Manning verdient Bewunderung – und die bekommt sie in Berlin", freut sich die TAZ-Autorin Carolina Schwarz. "Immer wieder appelliert sie ans Publikum: 'Jeder kann etwas tun. Wir Menschen sind wie Algorithmen. Wir können jeden Tag dazulernen.' Und damit meint sie, mit Menschen sprechen, die weniger Privilegien haben, und ihnen zuhören. Skeptisch sein im Umgang mit sozialen Medien. Und die Werte der Demokratie wie Redefreiheit hochhalten."
"Einfache Botschaften", fasst Christian Maier sehr zurecht in der Tageszeitung DIE WELT zusammen, "aber", fügt er gnädig hinzu, "kein Grund, sich über diese Infusion von amerikanisch geprägtem Humanismus lustig zu machen."
Okay, machen wir nicht - sondern: Schluss für heute! Und zwar mit einer Quiz-Frage von Karl Marx, die der Berliner TAGESSPIEGEL überliefert:
"Wären Schlösser zu ihrer jetzigen Vollkommenheit gediehn, wenn es keine Diebe gäbe?"
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