Aus den Feuilletons

Angefangen bei Spaemann und aufgehört in Marrakesch

Der Philosoph Robert Spaemann im März 2009 in Stuttgart-Botnang.
Robert Spaemann (1927-2018) © dpa / Markus C. Hurek
Von Burkhard Müller-Ullrich · 11.12.2018
Fast alle größeren deutschen Feuilletons blicken zurück auf die Arbeit des verstorbenen Philosophen Robert Spaemann. Und sie suchen dabei nicht nur nach den schweren Stoffen. Ein Blatt allerdings würdigt Spaemann ganz besonders. Mit Missachtung.
Ausgerechnet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, die dem katholisch-konservativen und gelegentlich sogar als rechts-reaktionär geschmähten Philosophen Robert Spaemann eher fern stand, bringt die liebevollsten und kundigsten Nachrufe auf ihn – und zwar gleich zwei auf einer Seite. Der erste stammt von dem ebenfalls wegen seines knallharten Katholizismus’ viel gescholtenen Schriftsteller Martin Mosebach, der irritierenderweise mit genau derselben Indianer-Unterholz-Geschichte aus Spaemanns Jugend beginnt, die auch Patrick Bahners in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zum Besten gibt und die schon in dem 2012 erschienenen Spaemann-Gesprächs-Buch des einstigen FOCUS-Feuilletonchefs Stephan Sattler stand, so dass man sich fragt: Hat der große Spaemann wirklich allen seinen Besuchern dauernd dieselben Anekdoten erzählt oder schreibt hier einer vom anderen ab?

Höchst interessiert am Papst und an seinem Neffen

Der zweite Nachruf in der SZ zeigt, dass es generell nicht verkehrt ist, von Spaemann abzuschreiben, denn Matthias Drobinski bringt so wunderbare Zitate des Philosophen wie: "Wenn wir Gott wegnehmen, dann bricht das Denken zusammen", oder aus Spaemanns Hauptwerk "Glück und Wohlwollen" von 1989: "Dieser Versuch über Ethik enthält hoffentlich nichts grundsätzlich Neues. Wo es um Fragen des richtigen Lebens geht, könnte nur Falsches richtig neu sein."

Von ähnlichem Kaliber ist das Spaemann-Bonmot, das der Psychiater und christliche Bestsellerautor Manfred Lütz in der WELT beisteuert: "Die Wahrheit ist nicht originell, der Irrtum ist originell." Lütz erzählt über den Verstorbenen: "Er redete mit der gleichen höchst interessierten Aufmerksamkeit mit dem Papst und mit meinem 16-jährigen Neffen. Und ob das Argument vom Papst kam oder von einem 16-jährigen Jugendlichen, das war ihm ganz gleichgültig, entscheidend war, ob es gut war."
Alle Feuilletons bis auf die TAZ, die Spaemann mit keinem Wort würdigt, verehren ihn als großen Denker, der sich – nach seinen eigenen Worten – bemühte, einen "nietzscheresistenten Gottesbeweis" vorzulegen. Sie achten ihn auch als homo politicus, der sich gegen Abtreibung und Sterbehilfe engagierte, und die SÜDDEUTSCHE setzt mit hörbarem Zähneknirschen hinzu: "Sein Eintreten für die rechtskonservative Zeitung JUNGE FREIHEIT verstörte auch viele Konservative, die seine Bücher und Essays schätzten. Spaemann lehnte Bündnisse und Aktionen gegen Rechtspopulismus ab. Der demokratische Staat sei eine Rechtsgemeinschaft, in der nicht alle die gleichen Werte teilen müssten (…) – verstehe er sich als Wertegemeinschaft, drohe die Gefahr des "liberalen Totalitarismus".

Die politische Rede und ganz verschiedene Wirksamkeiten

Festhalten möchte der Presseschauer an dieser Stelle, dass die SZ der JUNGEN FREIHEIT hier wohl zum ersten Mal das Prädikat rechtskonservativ zubilligt, statt des sonst üblichen "rechtsradikal" oder "rechtsextrem", wenn nicht gleich irgend etwas mit "Nazi" zur Hand ist.
Und damit zur politischen Rede im allgemeinen und zu zwei Artikeln in der WELT, die das tun, was ein Feuilleton stets schmückt: Sie analysieren nach Sprache, Gestus und kulturellem Hintergrund zwei kürzlich stattgefundene Auftritte von Staats- beziehungsweise Regierungschefs am Rednerpult: Theresa May und Emmanuel Macron. "In der Sache kämpft Theresa May einen wohl aussichtslosen Kampf, in der Form jedoch ging sie im Moment der dräuenden Niederlage als Siegerin vom Platz", erklärt Wieland Freund, und ähnlich begeistert zeigt sich Tilman Krause von Macrons "rhetorisch(em) Sex mit den eigenen Landsleuten":

"Denn dieses nationale Wir, das da beschworen wurde, ein nationales Wir, zu dem es in Deutschland einfach kein Pendant gibt (Viele werden sagen: geben kann), dieses nationale Wir hat einen so ungeheuren Schwung, eine so ungeheure Wucht, dass man auch als konstitutiver Skeptiker sagen wird: Die Botschaft hör ich wohl, und mir fehlt nun auch der Glaube nicht mehr. "

Unnötig zu sagen, dass sich kein Feuilleton mit der Rhetorik der Kanzlerin bei ihrem Auftritt in Marrakesch beschäftigt. Dabei wäre das eine wichtige Aufgabe.
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