Aus den Feuilletons

Amerika geht es schlecht

Ein verlassener Trailer in Kalifornien
Ein verlassener Trailer in Kalifornien © dpa picture alliance / EPA/Jim Lo Scalzo
Von Arno Orzessek · 29.11.2014
US-Amerikaner halten ihre Nation für unvergleichlich und vorbildlich - ein grundlegender Fehler, meint die "FAZ" und benennt 44 weitere Gründe, warum es Amerika schlecht geht. "The Globalist" hatte diese 45 Gründe aufgelistet. Was alle Feuilletonisten bejubelten: Dass die Gurlitt-Sammlung abzüglich etwaiger Raubkunst nach Bern geht.
Für Freunde der Welt- und Zeitgeschichte boten die Feuilletons in der vergangenen Woche jede Menge reizenden Stoff.
"Amerika, du hast es schlechter", behauptete die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Und notierte in Person von Stephan Richter, dem Herausgeber des Online-Magazins The Globalist, 45 akkurat durchnummerierte Gründe, warum es Amerika schlechter hat.
Grund Nr. 2 in der leise anti-amerikanischen Liste:
"Viele Amerikaner halten ihr Land für unvergleichlich, ja einzigartig. Das ist ein tragisches Handicap [...]. In der Welt von heute kommt es darauf an, so offen wie möglich zu sein und praktikable Ideen anderer Nationen schnell in die eigene Praxis einzuführen."
Indessen gingen FAZ-Autor Richter schon bei Grund Nr. 16 die Thesen aus und er verlegte sich mehr aufs Grübeln:
"Warum jammern gutverdienende Amerikaner so sehr, wenn die Steuersätze für Spitzenverdiener (in der Kategorie oberhalb von 250.000 Dollar) [...] auf das vorherige Maß zurückgeführt werden sollen? Wie sollen sich da Europäer fühlen, wenn etwa in Deutschland der Spitzensteuersatz für Alleinverdiener bereits bei 52.000 Euro greift? Nach amerikanischen Maßstäben müssten alle gutverdienenden Europäer massiv suizidgefährdet sein, jedenfalls aber vollkommen demotiviert."
Keine Sorge, liebe Hörer: Wir überspringen die 43 anderen Gründe für Amerikas Schlechter-Stellung und kommen ungesäumt zu Deutschlands Besser-Stellung.
Unter dem Titel "Zufrieden, aber verdammt allein" erklärten Adam Sobocynski und Bernd Ulrich in der Wochenzeitung DIE ZEIT:
"Vielleicht ist den Deutschen ein Kunststück gelungen, auf das sie nur bedingt stolz sein können: Sie dominieren Europa, allerdings auf eine so sachliche, unaufgeregte, symbolfreie Weise, dass die Misserfolge der anderen ändern den jeweiligen nationalen Eliten viel eher angelastet werden als dem Hegemon. Er ist mächtig wegen seiner Wirtschaft. Er ist isoliert, weil ihm [finanzpolitische] Irrwege attestiert werden. Und er ist beliebt, weil er nicht auftrumpft, sondern sich verneint."
Weil das in der Tat eine schrullige Mixtur von Eigenschaften ist, warnten die ZEIT-Autoren Sobocynski und Ulrich: "Dieses Land ist zu groß, um schrullig zu sein."
Und Russland?
Folgt man der Neuen Zürcher Zeitung, ist Vladimir Putins großrussische Ideologie weit mehr als eine Schrulle.
"Präsident Putin handelt zwar außenpolitisch nach der Staatsräson der Sowjetunion im Kalten Krieg, doch seine Ideen von der imperialen Größe und dem eurasischen Sonderweg Russlands wurzeln im reaktionär-konservativen Denken des antibolschewistischen Exils",
erläuterte Sonja Margolina.
Die NZZ-Autorin stellte die Emigranten-Gruppe "Eurasiertum" vor, die ihre Phantasien in den zwanziger Jahren zu Papier gebracht hatte.
Sie behauptete etwa,
"die russische Bevölkerung sei aus der Vermischung slawischer Stämme und mongolischer Nomanden hervorgegangen. Das romanisch-germanische Europa tauge deshalb keinesfalls als Vorbild, vielmehr stelle es eine Gefahr für die russische Kultur dar. Demokratische und sozialistische Ideen seien künstlich nach Russland verpflanzt worden. Liberalismus und Parlamentarismus seien dem Volk fremd. Die geeignete Staatsform sei daher eine Ideokratie, in der die vom Volk gewählte Führungsschicht durch eine Weltanschauung fundiert sei. Im künftigen Russland müsse der orthodoxe Glaube den Platz des Marxismus einnehmen."
Es waren die alten Schriften der Gruppe "Eurasiertum", die Margolina paraphrasierte – aber es klang, als paraphrasiere sie Putins aktuelles Programm.
"Ein Jahrhundert nach der Oktoberrevolution haben die Weißen gewonnen", – also die Anhänger des Zaren – lautete Margolinas Pointe.
Kommunistenfresser und ein letztes Wort
Um Spätfolgen der Oktoberrevolution kümmerte sich auch die Süddeutsche Zeitung, in der Franziska Augstein von einer Jenaer Tagung über den Antikommunismus in der alten Bundesrepublik berichtete:
"Die Hatz galt auch den Sozialdemokraten [so Augstein]. Als die sich dann 1959 mit dem Godesberger Programm zu einer Reformpartei machten, soll in Kanzler Adenauers Umgebung [...] Panik ausgebrochen sein: Der Feind war kein Feind mehr. Gleichwohl verfolgten die westdeutschen Behörden auch weiterhin Linke eifriger als Rechtsextremisten. Hinter dem Versagen der Behörden bei der Aufklärung der NSU-Morde steht eine jahrzehntelange deutsche Tradition."
Laut SZ tat sich in Jena der polnische Historiker Włodzimierz Borodzej übrigens mit folgender Einsicht hervor:
"Der Antikommunismus muss sich nicht gegen Kommunisten richten, er kann auch einfach dazu dienen, andere zum Schweigen zu bringen."
Allemal als einwandfreier Antikommunist darf Richard Herzinger gelten.
Der Autor der Tageszeitung Die Welt beschrieb, "wie die Linkspartei ihr Geschichtsbild in die deutsche Gegenwart einpflanzt" und kam – vollkommen erwartungsgemäß – auf den Kommunismus als solchen zu sprechen.
"Das totalitäre kommunistische System [...] zielte darauf, die Maßstäbe für das Erkennen von Recht und Unrecht selbst auszulöschen. Recht war nach Vorgabe der marxistisch-leninistischen Geschichtsideologie alles, was dem historische vorbestimmten Fortschreiten zum Sozialismus diente. Unrecht begingen hingen alle, die sich diesem vorgezeichneten Weg der Menschheit ins Heil widersetzten. [...] Gysi und Genossen zerreden diese Erkenntnis, um einen vermeintlich ehrbaren moralischen Kern aus der Konkursmasse der DDR zu retten."
So der Kommunisten-Fresser Richard Herzinger.
Und was war sonst noch los in den Feuilletons? Hier nur das eine:
Alle bejubelten die Regelung, nach der die Kunstsammlung Cornelius Gurlitts abzüglich etwaiger Raubkunst ans Kunstmuseum Bern geht. Allein Gurlitts ehemaliger Anwalt Hannes Hartung war unzufrieden.
"Im Jubelgeschrei der Medien vernimmt man, dass die Vereinbarung beispielhaft sei. Hierbei wird aber der entscheidende Punkt übersehen, dass das Kunstmuseum Bern nicht einen Cent für die Aufarbeitung [der Eigentumsfragen] bezahlen möchte und insbesondere keine Werke aus dem eigenen Bestand zurückgibt",
kritisierte Hartung in der Tageszeitung Die Welt.
Liebe Hörer, ein allerletztes Wort noch: Tschüss!
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