Aus den Feuilletons

Alle Macht dem Rechtsstaat!

Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt am 15.04.2016 in Berlin eine Erklärung zu der Affäre um den TV-Moderator Jan Böhmermann ab.
Merkel bei ihrer Erklärung am 15. April 2016: Bundeskanzlerin lässt Ermittlungen gegen den Satiriker Böhmermann zu. © dpa / picture alliance / Gregor Fischer
Von Adelheid Wedel · 15.04.2016
Was sagt denn eigentlich die FAZ zur Causa Böhmermann? Ungefähr dieses: Kanzlerin Merkel hat alles richtig gemacht und dabei – außerdem noch – eine "rhetorische Meisterleistung" vollbracht.
Würden Sie das auch gern wissen,
"was Merkels Kritiker in Sachen Böhmermann missverstehen?"
Die Frage beantwortet Michael Hanfeld in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen: Dem türkischen Präsidenten Erdogan sei die Teilung eines demokratischen Rechtsstaats in voneinander unabhängige Gewalten – Legislative, Judikative und Exekutive – ebenso fremd, wie die Freiheit der bei uns auch als vierte Gewalt beschriebenen Presse.
"Erdogan besetzt alle Felder und stellt Strafanzeige. Er begehrt Klagemöglichkeit nach Paragraf 103 Strafgesetzbuch, der die Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten sanktioniert."
Jetzt hat die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegeben, ohne die ein solches Strafverfahren nicht beginnen kann. Die negative Beurteilung der Merkel-Erklärung lässt sich mit dem Vorwurf zusammenfassen, sie habe einen Kotau Richtung Ankara gemacht. Zuvor wurde die Bundesregierung, zum Beispiel von einem Reporter von n-tv, gemahnt, es müsse vermieden werden,
"dass der türkische Präsident seine Vorstellungen von einem Obrigkeitsstaat nach Deutschland exportieren kann."
Michael Hanfeld kommentiert:
"Prägnanter kann man den Trugschluss, der die Debatte über den Fall Erdogan gegen Böhmermann seit Tagen beherrscht, nicht in Worte fassen. All diejenigen nämlich, die fordern, dass Angela Merkel den ZDF-Moderator vor dem Prozess schützen müsse, (…) reden einem Obrigkeitsstaat das Wort, in dem Politiker alle Macht haben, jemanden zu verfolgen oder zu schützen."
Es ist doch aber so, meint Hanfeld,
"die Kanzlerin muss die politische Ebene von der juristischen trennen, das ZDF die inhaltliche von der rechtlichen. So erklärt sich, dass der Sender Böhmermanns Beitrag aus der Mediathek gelöscht hat, weil dieser den Qualitätsansprüchen nicht genüge, den Moderator aber zugleich in einer Stellungnahme vor der Staatsanwaltschaft Mainz juristisch eindeutig verteidigt."
Hanfelds Fazit:
"Einen solchen Grad der Differenzierung wünschte man sich auch bei der Berichterstattung über den Fall Böhmermann."

Merkels Auftritt - "rhetorisch eine Meisterleistung

Ganz in diesem Sinne wartet die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG mit einem zweiten Beitrag auf.
"Die Bundeskanzlerin hat mit ihrem glasklaren Statement das Vertrauen in den Rechtsstaat befestigt – einfach, indem sie selbst auf ihn vertraut",
schreibt Edo Reents. Ihre Entscheidung sei weder ein Kuschen vor der Türkei, noch ein Ende der Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit.
"Seit wann ist der Rechtsstaat schon am Ende, wenn man ihn seinen Gang gehen lässt?" - fragt der Autor. Er nennt Merkels Auftritt "rhetorisch eine Meisterleistung" und begründet das so:
"Indem sie vor aller Augen einem ausländischen Staatsoberhaupt (…) den hiesigen Rechtsweg öffnet, rieb sie ihm gleichzeitig mit rein, was in Deutschland, im Gegensatz zur Türkei, alles gilt: Rechtsstaatlichkeit, Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz, Unschuldsvermutung – lauter Errungenschaften, die man, so fuhr Merkel ungerührt fort, auch weiterhin beim Partner und Alliierten Türkei anmahnen werde."
Den Vorgang noch einmal sezierend, argumentiert Reents:
"Weit davon entfernt, politische Duckmäuserei zu sein, ist die Klageerlaubnis Ausdruck von Souveränität, die Merkel nun unmissverständlich walten ließ – gegenüber der Türkei, der sie bei dieser Gelegenheit schlau den Spiegel vorhielt, und auch gegenüber den deutschen Rechtsorganen."
Hingegen die Aussage: Geklagt wird nicht, wäre eine politische Einmischung gewesen. Die Juristen müssten sich dann fragen, ob die Regierungschefin ihnen eine unabhängige Behandlung und Entscheidung überhaupt zutraue. Deswegen heißt die Schlussfolgerung in der FAZ:
"Nur wer auf den Rechtsstaat baut, kann ihm auch eine so heikle Angelegenheit wie diese überlassen. Nur der ist wahrhaft souverän, der im Zweifel jedermann den Rechtsweg eröffnet."
Und Böhmermann? Der könnte dermaleinst sagen, er habe maßgeblich zur Abschaffung des Paragrafen 103 beigetragen, was jetzt ansteht. Also, so Reents:
"Ein Triumph für Merkel."
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