Aus den Feuilletons

Abgesänge und eine tonlose Sängerin

Von Gregor Sander · 27.08.2014
Die "SZ" kommentiert den Abgang Klaus Wowereit und lässt wenig Sympathie erkennen. Die "FAZ" sinniert über den Wert eines Preises für kleine engagierte Buchhandlungen und die "ZEIT" erfreut sich an neuen Soldatenliedern.
"Was zum Teufel hat es zu bedeuten, dass der Internethändler Amazon fast eine Milliarde Dollar für das Videoportal Twitch bezahlt?", fragt Mara Delius in der WELT und nennt ihren Artikel "Eine Sinnsuche im Silicon Valley".
Viel Sinn scheint sie allerdings erstmal nicht zu entdecken. Denn Twitch ist laut Mara Delius ein Digitalvideokanal, "auf dem blasse Typen beim Computerspielen zu sehen sind, amateurhaft gefilmt und kommentiert von 'Mausschamanenchecker' oder 'Dicksterdingdongüberhaupt'."
Mit Twitch positioniert sich Amazon geschickt gegenüber Google
Eine Milliarde Dollar dafür, dass man anderen Leuten online beim Videospielen zugucken kann? Glaubt man der WELT, ist das Geld gut angelegt:
"Twitch hat im Schnitt mehr als 55 Millionen Besucher im Monat, zu den Hauptzeiten ist die Einschaltquote mit der von etablierten Kabelsendern wie MTV oder Comedy Central vergleichbar. Zudem positioniert sich Amazon damit geschickt gegenüber Google. Der andere Internetriese hat auch um Twitch geworben."
In der TAZ fragt Ingo Arzt dann auch rhetorisch: "Worin liegt der Unterschied, ob ich mir Sonntagabend einen schlechten Tatort, einen lausigen Bundesligakick oder eine Partie League of Legends reinziehe?"
Vermutlich gibt es keinen, aber etwas befremdlich bleibt es trotzdem.
"Freundlicher als erwartet sind viele Kommentare zum Rücktritt Klaus Wowereits ausgefallen", stellt Jens Bisky in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG fest und zählt dann gnadenlos die Versäumnisse auf, die der Regierende Bürgermeister von Berlin, der nebenbei noch Kultursenator seien wollte, hinterlässt. Die nie gebaute Kunsthalle oder der gescheiterte Plan einer neuen Zentral- und Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld. "Auf das versprochene kostenlose WLAN für alle warten die Berliner bis heute",schimpft Bisky weiter.
Wenn Pathos in Hoffnungslosigkeit zerbröselt
"Die freie Szene fand nie die Unterstützung, die ihrer Bedeutung für den Ruf und die Lebendigkeit Berlins entsprochen hätte. Gerade jene, die sich mit dem Slogan 'arm, aber auch sexy' verstanden gefühlt hatten, wandten sich enttäuscht ab. Ihre Probleme, so der verbreitete Eindruck, wurden im Roten Rathaus gar nicht mehr wahrgenommen."
In den"Sog des Krieges"gerät, ebenfalls in der SZ, Michael Stallknecht. Er bespricht das Album "Behind the Lines" der 31-jährigen Anna Prohaska. Darauf interpretiert die Sopranistin 25 Soldatenlieder aus vier Jahrhunderten.
"Prohaska gibt gar nicht erst vor, man könne mit Anfang dreißig und in Friedenszeiten aufgewachsen einfach so vom Krieg erzählen. Dass Hanns Eisler mit mehreren Liedern (oft auf Gedichte von Bertolt Brecht) vertreten ist, bedeutet auch ein Bekenntnis zur rationalen Distanz des epischen Theaters. Und der Pianist Eric Schneider bekräftigt diese Haltung, indem er mit kristalliner Klarheit und analytischer Durchdringung spielt."
Auch Carolin Pirich von der Wochenzeitung DIE ZEIT ist von der femininen Interpretation der Kriegslieder angetan:
"Ein Lied wie 'In Flanders Fields' zum Beispiel, 1919 geschrieben von Charles Ives auf einen Text von John McCrae, das zwischen dem Sinn und der Sinnlosigkeit des Krieges changiert, wie das ganze Album. Prohaska lässt hier Pathos in Hoffnungslosigkeit zerbröseln, die Sängerin als Soldatin, die in Tonlosigkeiten abrutscht, hymnisch wird, verzweifelt, trauert. Auch das sind nur Nuancen, aber auch sie erzeugen Lichtwechsel, Schatten."
Wichtige Symbolpolitik
Viel Schatten und wenig Licht sieht Hubert Spiegel von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG auf dem Buchmarkt:
"Auch mit einer Million aus der Staatskasse wird der unabhängige Buchhandel nicht zu retten sein, wenn ihm die Kunden dauerhaft verloren gehen",
stellt er nüchtern fest. Trotzdem begrüßt er den Preis in dieser Höhe, den Monika Grütters für kleine engagierte Buchhandlungen ausloben will. Spiegel stellt fest,"dass die Kulturstaatsministerin mit diesem Preis wichtige Symbolpolitik betreibt und eine Million Euro in eine gewachsene Struktur investiert, die ihr ebenso bewahrenswert erscheint wie die Programmkinos, die ihr Haus seit Jahren fördert."