Aus dem Nähkästchen geplaudert

14.08.2010
Staatssekretär im englischen Marineamt, Präsident der Royal Society, Abgeordneter im englischen Unterhaus und Lebemann - Samual Peppys hatte ein bewegtes Leben. Und das hat er nicht nur ausführlich, sondern zum Glück auch sehr unterhaltsam in seinen Tagebüchern festgehalten.
Am Vormittag des 22. November 1666 lässt er sich im Amt einen neuen Stich der City zeigen, auf dem der durch den großen Brand von London zerstörte Teil besonders gut zu sehen ist. Beim Mittagessen gerät er mit seiner Ehefrau aneinander, weil ihm ihre Spitzenkragen zu gewagt vorkommen. Am Abend spielt er mit seinem Bekannten Mr. Batelier Karten, trinkt etwas Wein und erfährt, wie der König von Frankreich angeblich den englischen Monarchen als Lakaien verhöhnt.

Vor dem Einschlafen liest er noch ein wenig. Schließlich folgt der Nachtrag zum nachmittäglichen Besuch einer Geliebten: "Ich tat mit ihr, was ich tun wollte." Das ist eine von 366 Tagebucheintragungen, die der Staatssekretär im englischen Marineamt, Unterhausabgeordnete und Präsident der Royal Society für das Jahr 1666 anfertigte. Die englischen Tagebücher des Samuel Pepys (1633-1703), auch hierzulande von Kennern seit langem hochgeschätzt, sind bislang auf Deutsch stets nur auszugsweise veröffentlicht worden. Am 24. August 2010 erscheinen sie in einer neun Bände plus Begleitbuch umfassenden Gesamtausgabe des Haffmans Verlags bei Zweitausendeins.

Es geht um die Jahre 1660 bis 1669, die der kunstsinnige und allem Puritanismus zum Trotz vergnügungsfreudige Staatsbeamte Tag für Tag festgehalten hat. England erlebt den Umbruch von der Republik Cromwells zur Restauration der Monarchie unter Charles II. Man führt Krieg zur See, in London wüten Pest und Feuer. Pepys wirft einen scharfen, weitgehend unbestechlichen Blick auf die Hintergründe der großen Ereignisse. Zugleich beobachtet er unablässig sich selbst, wie er als Flottenbeamter in wechselnden politischen Konstellationen laviert, wie er auch auf riskante Weise bemüht ist, sein Vermögen zu mehren, ohne unter Korruptionsverdacht zu geraten. Mit Sachverstand notiert Pepys wissenschaftliche Neuerungen, verfolgt die großen Theaterereignisse, erzählt von seinen eigenen Gesangsabenden, kulinarischen Genüssen, dem Ehestreit und zahllosen Seitensprüngen. Die rückhaltlose Aufrichtigkeit, mit der er seine kleinen und größeren Schwächen gesteht, Scham und Lebensfreude offenbart, jede Menge freiwilliger und unfreiwilliger Komik zulässt, allein das macht diese Tagebücher eines Bürgers aus der Frühzeit seiner Klasse zu einem herausragenden literarischen Dokument.

Ungeachtet aller scheinbaren Alltagspedanterie verstand es Samuel Pepys, jeden Tagesbericht dramatisch zu inszenieren. Zu Lebzeiten wusste Pepys die Geheimnisse seiner Aufzeichnungen durch allerlei Vorsichtsmaßnahmen und die Verwendung einer Kurzschrift vor der Mitwelt zu verbergen. Erst im frühen 19. Jahrhundert wurden die Tagebücher als Teil seiner umfangreichen Privatbibliothek in London entdeckt, entschlüsselt und veröffentlicht. Die vollständige Publikation von Pepys Tagebüchern in deutscher Übersetzung ist eine beachtliche literaturhistorische Leistung und bietet ein allemal besonderes Lesevergnügen.

Besprochen von Martin Sander.

Samuel Pepys: "Sämtliche Tagebücher 1660-1669",
hrsg. von Gerd Haffmans und Heiko Arntz.
Aus dem Engl. von Georg Deggerich, Michael Haupt, Arnd Kösling, Hans-Christian Oeser, Martin Richter und Marcus Weigelt, 9 Bände mit Begleitbuch,
Haffmans Verlag bei Zweitausendeins, Frankfurt/M. 2010,
4416 Seiten, 169,90 Euro