Aus dem Leben neurotischer Prominenter

Nach „Kochen mit Fernet Branca“ muss Ghostwriter Gerald Sampler erneut ran: Die Biografie der armamputierten Millie Cleat – in Samplers Augen eine „dumme, arrogante und mediengeile Xanthippe“ – will von ihm geschrieben werden. James Hamilton-Paterson hilft seiner Figur so gut er kann und kreiert literarischen Slapstick auf hohem Niveau, gepaart mit einer ordentlichen Portion Gesellschaftskritik. „Einarmsegeln mit Millie“ ist eine Breitseite gegen die Konsum-, Jet-Set- und Promi-Welt, die der Autor als „eine zänkische und schleimscheißerische Kamarilla“ bezeichnet.
An die 20 Sachbücher und Romane hatte der britische Schriftsteller James Hamilton-Paterson schon geschrieben, und die wurden von Literaturkennern zwar hoch gelobt, blieben aber ein Geheimtipp für Insider. Das änderte sich vor zwei Jahren, als Hamilton-Paterson seinen ersten humoristisch-grotesken Roman „Kochen mit Fernet Branca“ vorlegte; die Frankfurter Rundschau nannte das Buch schlicht: „Das beste Rezept gegen schlechte Laune.“

Nun ist Hamilton-Patersons Nachfolgeroman erschienen: „Einarmsegeln mit Millie“ und wieder, wie schon in dem Roman zuvor, erzählt der etwas verrückte Ghostwriter Gerald Samper aus seinem eigenen Leben und aus dem neurotischer Prominenter. Diesmal muss Gerald Samper die Biographie von Millie Cleat schreiben, der legendärsten Weltumseglerin aller Zeiten. Was Millie Cleat so besonders macht, ist erstens die kürzeste Weltumseglung und zweitens die Tatsache, dass sie einarmig ist; der Arm wurde ihr bei einem Tauchurlaub in Australien von einem Hai abgebissen. Nun interessiert sich Millie Cleat allerdings kaum für das Segeln; sie bekommt von ihrem milliardenschweren Lover ein Segelboot, das computergesteuert praktisch von alleine fährt. Übrigens hat dieser Lover deswegen einen Faible für Millie, weil er eine erotische Vorliebe für amputierte Frauen hat. All das wäre Millies Ghostwriter Gerald Samper egal, wenn sich Millie nicht als dumme, arrogante und allein mediengeile Xanthippe herausstellen würde; und ein Hauptteil dieses Romans besteht dann darin, wie Gerald Samper durch raffinierte Intrigen versucht, um Gottes Willen nur keinen zweiten Teil der Millie-Biographie schreiben zu müssen. Dabei überrascht Hamilton-Paterson den Leser, wie auch im Roman zuvor, mit unsäglichen Kochrezepten, mit Tauben-Wellensittich-Wurst oder mit Kakerlaken-Püree.

„Einarmsegeln mit Millie“ ist eine verwegene Mischung aus „furzenden Teddybären“ und subtiler britischer Upperclass-Sprache zwischen John Cleese und Sherlock Holmes. Bevor Hamilton-Paterson seine beiden letzten Buch-Grotesken geschrieben hat, war er schon seit den 70er Jahren bekannt als hoch renommierter Autor von literarischen, bestens recherchierten Sachbüchern und von ernstzunehmenden politischen Romanen; er begann seine literarische Karriere als preisgekrönter Lyriker. All diese schriftstellerischen Tugenden fließen ein in jene Sprache, die Hamilton-Paterson auch in „Einarmsegeln mit Millie“ benutzt. Und all das verrührt er dann in einem Topf, und was dabei herauskommt, das ist dann eben – wie man’s nimmt – entweder eine Art moderner Schelmenroman oder aber literarisch ungenießbar wie seine Kochrezepte, wenn man denn nicht selbst als Leser über eine gehörige Überdosis britischen Humors verfügt.

Neben dem literarischen Slapstick auf hohem Niveau ist „Einaramsegeln mit Millie“ auch ein gesellschaftskritischer Roman, eine Breitseite gegen die Konsumwelt, gegen den Manierismus der Kochkünstler, der Weinkenner, der Liebhaber klassischer Musik, eine bitterböse Satire der Jet-Set- und Promi-Welt, die er, lassen wir den Autor selber sprechen, „eine zänkische und schleimscheißerische Kamarilla“ nennt, die in „ruckeligen kleinen Privatjets“ um die „Welt tingelt“, wie zum Beispiel jener berühmte Formel-1-Rennfahrer, „ein über Leichen fahrendes kleines Stück Scheiße mit dem Gehirn eines Ohrenkneifers“.

Rezensiert von Lutz Bunk

James Hamilton-Paterson: „Einarmsegeln mit Millie“
Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring
Klett-Cotta Verlag 2007
350 Seiten, 22.50 Euro