Aus dem Leben gesellschaftlicher Randgruppen
Eine Kritikerin bezeichnete David Foster Wallace einst als „Chronisten der Paranoia“. Diesem Ruf wird Wallace auch mit seinem neuen Band „In alter Vertrautheit“ gerecht. Er erzählt zum Beispiel aus der Welt eines autistischen Sonderschülers oder von einem Patienten, der seinem Psychiater offenbart, sein Leben lang ein Heuchler gewesen zu sein.
Für Harald Schmidt ist der 1962 geborene David Foster Wallace der „Megageheimtipp“ der amerikanischen Literaturszene. So geheim kann Wallace demnach nicht sein, denn als medialer Nachbereiter wendet sich Harald Schmidt bekanntlich nur den Autoren zu, die vorher schon von einer Literaturbeilage zur nächsten weitergereicht worden waren. David Foster Wallace zählt spätestens seit seinem Beststeller „Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich“ – einer tollen literarische Reportage über eine Kreuzfahrt – auch in Deutschland zu den großen amerikanischen Stimmen wie Jonathan Franzen oder Jeffrey Eugenides.
Seine Erzählungsbände tragen so schöne Namen wie „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“, „Der Besen im System“ oder „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ und zeichnen sich nicht nur durch Einfallsreichtum und ein virtuos beherrschtes breites Spektrum an Tonlagen, sondern auch durch ungewöhnliche Erzählperspektiven aus.
Wallace leiht vorwiegend gesellschaftlichen Randfiguren seine Stimme und zeichnet in aller Ausführlichkeit deren redselige Stummheit nach, weshalb ihn eine glückliche Kritikerin als „Chronisten der Paranoia“ bezeichnet hat. Wallace folgt den Assoziationen seiner Figuren vom Hölzchen aufs Stöckchen, badet quasi in ihrem Bewusstseinsschrott und gewinnt ihm durch poetische Bilder, ungewöhnliche Wendungen und Übertreibungen einen absurden Witz ab. Je länger seine Figuren über Nebensächliches reden, über die Vorzüge einer Talkshow oder die Frisur eines unbekannten Mädchens, desto dunkler taucht hinter ihnen der trostlose Raum des Ungesagten auf.
Menschen in falschen Zusammenhängen könnte auch über Wallace neuem Erzählungsband „In alter Vertrautheit“ stehen, der – großartig übersetzt von Ulrich Blumenbach und Marcus Ingenday – gerade auf deutsch erschienen ist. „Ich war mein Leben lang ein Heuchler“ – so ehrlich gibt sich ein Patient seinem Psychiater gegenüber, um dann eine nicht immer ehrliche Beschreibung seines geheuchelten Lebens zu referieren. Genaue Kenntnis des Konsumverhaltens verspricht sich dagegen Schmidt, der eine Testgruppe in ihrer Reaktion auf die Verpackung von Pausensnacks beobachtet und plötzlich Mordphantasien entwickelt.
„Die Seele ist kein Hammerwerk“ nennt sich eine „Story“, in der wir in die kleine, rührende Welt eines autistischen Sonderschülers geführt werden, der auf 50 Seiten versucht, den Tag zu beschreiben, an dem sein Lehrer verrückt spielte und immer wieder „Tötet sie“ an die Tafel schrieb. Aber er schafft es nicht. Das Trauma sitzt so tief, dass der Junge sich an alles erinnert – kopulierende Hunde auf dem Hof, die Nasenlöcher des Schulpsychologen – seine Erzählung aber kaum dem Eigentlichen zuwenden kann. Stattdessen klammert er sich an das Gitter vor dem Schulfenster und versucht vergeblich, die Ereignisse anhand der Gitterkästchen in eine Ordnung zu bringen:
„Ich wünschte, ich könnte im Sinne der visuellen Ausgestaltung der Geschichte an jenem Tag sagen, dass jenes neue Panel, das aus dem Anblick der beiden sich paarenden oder dominanzverzahnten Hunde hervorging, lebendig geblieben wäre, so dass sich am Ende jedes Kästchen des Drahtgitterfensters mit einem Aspekt des Handlungsablaufs gefüllt hätte, so wie auf dem Kirchenfenster der Riverside Methodist Church, wo Sachen aus der Bibel zu sehen sind und in die ich zusammen mit meinem Bruder und meiner Mutter allsonntäglich zum Gottesdienst ging, auch mit meinem Vater, wenn der sich mal bequemte und früh genug aufstand.“
Selbstverständlich geht die Geschichte nicht mit dem durchdrehenden Lehrer, sondern mit dem morgenmuffeligen Vater weiter. Die Gefahr dieser Logik des Verdrängens liegt auf der Hand. Wenn die Einschübe und Umwege nicht brillant sind, macht sich schnell Langeweile breit. Auch wenn die Motivketten und Stimmwechsel in diesen fünf Geschichten den Leser wieder staunen lassen, bleibt die Begeisterung aus: Entweder er hat sich inzwischen an Wallace Feuerwerke gewöhnt oder dessen Kunst der Abschweifung ist schlicht routiniert geworden.
David Foster Wallace: In alter Vertrautheit. Stories
Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach und Marcus Ingendaay
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006
255 Seiten, 18,90 Euro
Seine Erzählungsbände tragen so schöne Namen wie „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“, „Der Besen im System“ oder „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ und zeichnen sich nicht nur durch Einfallsreichtum und ein virtuos beherrschtes breites Spektrum an Tonlagen, sondern auch durch ungewöhnliche Erzählperspektiven aus.
Wallace leiht vorwiegend gesellschaftlichen Randfiguren seine Stimme und zeichnet in aller Ausführlichkeit deren redselige Stummheit nach, weshalb ihn eine glückliche Kritikerin als „Chronisten der Paranoia“ bezeichnet hat. Wallace folgt den Assoziationen seiner Figuren vom Hölzchen aufs Stöckchen, badet quasi in ihrem Bewusstseinsschrott und gewinnt ihm durch poetische Bilder, ungewöhnliche Wendungen und Übertreibungen einen absurden Witz ab. Je länger seine Figuren über Nebensächliches reden, über die Vorzüge einer Talkshow oder die Frisur eines unbekannten Mädchens, desto dunkler taucht hinter ihnen der trostlose Raum des Ungesagten auf.
Menschen in falschen Zusammenhängen könnte auch über Wallace neuem Erzählungsband „In alter Vertrautheit“ stehen, der – großartig übersetzt von Ulrich Blumenbach und Marcus Ingenday – gerade auf deutsch erschienen ist. „Ich war mein Leben lang ein Heuchler“ – so ehrlich gibt sich ein Patient seinem Psychiater gegenüber, um dann eine nicht immer ehrliche Beschreibung seines geheuchelten Lebens zu referieren. Genaue Kenntnis des Konsumverhaltens verspricht sich dagegen Schmidt, der eine Testgruppe in ihrer Reaktion auf die Verpackung von Pausensnacks beobachtet und plötzlich Mordphantasien entwickelt.
„Die Seele ist kein Hammerwerk“ nennt sich eine „Story“, in der wir in die kleine, rührende Welt eines autistischen Sonderschülers geführt werden, der auf 50 Seiten versucht, den Tag zu beschreiben, an dem sein Lehrer verrückt spielte und immer wieder „Tötet sie“ an die Tafel schrieb. Aber er schafft es nicht. Das Trauma sitzt so tief, dass der Junge sich an alles erinnert – kopulierende Hunde auf dem Hof, die Nasenlöcher des Schulpsychologen – seine Erzählung aber kaum dem Eigentlichen zuwenden kann. Stattdessen klammert er sich an das Gitter vor dem Schulfenster und versucht vergeblich, die Ereignisse anhand der Gitterkästchen in eine Ordnung zu bringen:
„Ich wünschte, ich könnte im Sinne der visuellen Ausgestaltung der Geschichte an jenem Tag sagen, dass jenes neue Panel, das aus dem Anblick der beiden sich paarenden oder dominanzverzahnten Hunde hervorging, lebendig geblieben wäre, so dass sich am Ende jedes Kästchen des Drahtgitterfensters mit einem Aspekt des Handlungsablaufs gefüllt hätte, so wie auf dem Kirchenfenster der Riverside Methodist Church, wo Sachen aus der Bibel zu sehen sind und in die ich zusammen mit meinem Bruder und meiner Mutter allsonntäglich zum Gottesdienst ging, auch mit meinem Vater, wenn der sich mal bequemte und früh genug aufstand.“
Selbstverständlich geht die Geschichte nicht mit dem durchdrehenden Lehrer, sondern mit dem morgenmuffeligen Vater weiter. Die Gefahr dieser Logik des Verdrängens liegt auf der Hand. Wenn die Einschübe und Umwege nicht brillant sind, macht sich schnell Langeweile breit. Auch wenn die Motivketten und Stimmwechsel in diesen fünf Geschichten den Leser wieder staunen lassen, bleibt die Begeisterung aus: Entweder er hat sich inzwischen an Wallace Feuerwerke gewöhnt oder dessen Kunst der Abschweifung ist schlicht routiniert geworden.
David Foster Wallace: In alter Vertrautheit. Stories
Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach und Marcus Ingendaay
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006
255 Seiten, 18,90 Euro