Aus dem Geist der Plastiktüte
Der Sage nach war Eos, die griechische Göttin der Morgenröte, auch den Sterblichen zugetan. Für ihren Geliebten Tithonos erreichte sie bei Zeus ewiges Leben, vergaß aber, auch ewige Jugend für ihn zu erbitten – ein schwerer Fehler. Soeren Voima, Pseudonym eines Dramatikers (oder gleich eines ganzen Dramatiker-Kollektivs?), schickt Eos jetzt erneut zur Erde; im Stuttgarter Staatstheater untersucht Eos die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland.
Tragikomisch hätte es wohl werden sollen – wenn man diesen Ansatz im Sinne von Jacques Offenbach begreift, als Travestie des Mythos. Obwohl auch in der Inszenierung von Christian Weise die Musik in Gestalt einer schrägen, Schlager spielenden Blaskapelle über die Bühne marschiert, ist aber eher ein postmodernes Chaos entstanden: Die Schreibweise des Stücks changiert (unter anderem) zwischen klassischem Drama und alternativem Kabarett, und auch der Regisseur kann sich nicht für eine durchgehende Erzählweise entscheiden.
Vom Ansatz her ist das eine schöne Idee: aus der Außenperspektive der Göttin Eos, die quasi von einem anderen Stern auf die Erde kommt, die irdischen Verhältnisse neu zu beleuchten. Soeren Voima hat die Methode, Gegenwartsprobleme in der Verkleidung mythischer oder literarischer Stoffe zu behandeln, bereits mehrfach angewandt – zuletzt bei Ben Jonsons vom Gelde besessenen „Volpone“ und dem „Ritter von der traurigen Gestalt“ nach dem „Don Quichote“. Eos hat die Nase voll von den Kriegen der Götter und findet im Erdental zunächst alles ganz toll: so sauber, so gut organisiert, so voller Alltagszauber scheint ihr die Welt, dass ihr die miese Laune der Sterblichen nicht ganz einleuchtet. Sie verliebt sich, wird schwanger – und tauscht, als ihr Lover von einem Sattelschlepper totgefahren wird, ihre Gabe der Morgenröte gegen dessen Leben: der Videokünstler Tim darf als Krüppel weitervegetieren.
Gerade mit dieser Szene aber zeigt der Regisseur, dass er weder für das Komische noch für das Ernste ein Konzept hat, sondern im Bedarfsfall gern ins Provokant-Geschmacklose ausweicht: auf einem Seziertisch liegen die Überbleibsel des Getöteten, wässrige Fleischberge in Körperform, und werden von Eos in eine Einkaufs-Plastiktüte abgeräumt. Aus diesem Müll entsteht dann der neue Mensch: Tim, ein zur Arbeit unfähiger Krüppel, der Rotwein säuft und zynische Sprüche klopft. Statt seiner wird nun Eos aktiv, als Managerin bei IKEA und Menschheitsretterin, die im ausbeuterischen China Arbeitszeit-Regelungen und humanitäre Mindeststandards durchsetzt. Das ist wirklich rührend von ihr.
Das Stück ist mit Witz und Lust an derben Pointen geschrieben, es wechselt ständig die Sprachebenen, aber es will eben auch – didaktisch – viel zu viel auf einmal erzählen; es bewegt 16 Schauspieler und drei Musiker über die Bühne und verstrickt sich in etwa 27 Nebenhandlungen. Und im Zentrum hat der Text eine große Leerstelle: Eos ist keine Figur mit Widersprüchen und Kanten, sondern ein Demonstrationsobjekt, das durch einen Potpourri gesellschaftlicher Konfliktfelder geschickt wird. Ursina Lardi spielt die Rolle zwar voller Energie, aber auch ein bisschen kühl; das wirkt alles schauspieltechnisch hergestellt. Für das Ensemble ist das Stück allerdings ein gefundenes Fressen: alle Schauspieler dürfen in drei Theaterstunden ein ganzes Menschenleben durchmessen, vom Jugend- bis ins Rentenalter – mimisch nur als schnelle Karikatur zu bewältigen, ansonsten eine Aufgabe für die Kostüm- und Schminkabteilung.
Christian Weise findet leider keinen Rhythmus für die Aufführung; es werden auf ermüdende Weise immer nur Einzelteile montiert, die nicht zueinander passen. Der Beginn, eine Art Prolog der Götter im Himmel, ist klassisches Drama der Heiner-Müller-Schule, Metren, große Worte, Gossensprache; gespielt wird das allerdings mit gespenstischem Ernst – so muss das Stadttheater der fünfziger Jahre gewesen sein. Dann wechselt man in den Alternativ-Jargon einer Studenten-WG, die mit pornographischen Fotos Geld verdient. Es treten weiter auf: ein Obdachloser, der Kapitalismus-Kritik übt (eigentlich eine komische Nummer, aber von Boris Koneczny leider verschenkt), ein Muslim und ein Deutscher als Straßenkehrer (die beiden werden sich dann als späte Väter wiedersehen), der Götterbote Hermes, der Rationales spricht und „Nothing compares to you“ singt, die Göttin Selene als aufblasbares Plastikweib, das vom Schnürboden herabsegelt.
Ständig braucht man solch große, groteske Effekte, um die innere Leere der Vorlage zu übertünchen. Nacheinander bemüht der Regisseur: das Jugendstück (bei IKEA probiert man Betten aus), den Familienkrieg frei nach Yasmina Rezas „Gott des Gemetzels“ (die ehemalige Porno-WG, inzwischen saturierte Gutverdiener, veranstaltet einen Abend des ideologischen Gezänks), das soziale Milieustück: Eos endet als Nutte in der Gosse, pflegt aber weiter aufopferungsvoll ihren Tim, der inzwischen im Rollstuhl sitzt. Am Ende sehen sie aus wie Nagg und Nell in Becketts „Endspiel“. Aber Soeren Voima setzt noch einen drauf, alles muss rein in dieses Stück: es erscheint eine Sterbehelferin von Dignitas, und Eos‘ kriegerischer Sohn kehrt von einem Auslandseinsatz der Bundeswehr zurück.
Nach diesem kleinen Rundflug durch die Probleme der Gegenwart bleibt man erschöpft zurück und hofft auf weniger göttliche, dafür dramaturgisch besser durchgearbeitete Aufführungen des Stuttgarter Staatstheaters. „Eos“ hieß bei den Römern übrigens „Aurora“, und „Aurora mit dem Sonnenstern“, der Werbeslogan eines Weizenmehlproduzenten, wäre, im Sinne der Trivialisierung, auch ein schöner Titel für das ganze Unternehmen gewesen. Die Stuttgarter Backmischung geht allerdings nicht auf…
Vom Ansatz her ist das eine schöne Idee: aus der Außenperspektive der Göttin Eos, die quasi von einem anderen Stern auf die Erde kommt, die irdischen Verhältnisse neu zu beleuchten. Soeren Voima hat die Methode, Gegenwartsprobleme in der Verkleidung mythischer oder literarischer Stoffe zu behandeln, bereits mehrfach angewandt – zuletzt bei Ben Jonsons vom Gelde besessenen „Volpone“ und dem „Ritter von der traurigen Gestalt“ nach dem „Don Quichote“. Eos hat die Nase voll von den Kriegen der Götter und findet im Erdental zunächst alles ganz toll: so sauber, so gut organisiert, so voller Alltagszauber scheint ihr die Welt, dass ihr die miese Laune der Sterblichen nicht ganz einleuchtet. Sie verliebt sich, wird schwanger – und tauscht, als ihr Lover von einem Sattelschlepper totgefahren wird, ihre Gabe der Morgenröte gegen dessen Leben: der Videokünstler Tim darf als Krüppel weitervegetieren.
Gerade mit dieser Szene aber zeigt der Regisseur, dass er weder für das Komische noch für das Ernste ein Konzept hat, sondern im Bedarfsfall gern ins Provokant-Geschmacklose ausweicht: auf einem Seziertisch liegen die Überbleibsel des Getöteten, wässrige Fleischberge in Körperform, und werden von Eos in eine Einkaufs-Plastiktüte abgeräumt. Aus diesem Müll entsteht dann der neue Mensch: Tim, ein zur Arbeit unfähiger Krüppel, der Rotwein säuft und zynische Sprüche klopft. Statt seiner wird nun Eos aktiv, als Managerin bei IKEA und Menschheitsretterin, die im ausbeuterischen China Arbeitszeit-Regelungen und humanitäre Mindeststandards durchsetzt. Das ist wirklich rührend von ihr.
Das Stück ist mit Witz und Lust an derben Pointen geschrieben, es wechselt ständig die Sprachebenen, aber es will eben auch – didaktisch – viel zu viel auf einmal erzählen; es bewegt 16 Schauspieler und drei Musiker über die Bühne und verstrickt sich in etwa 27 Nebenhandlungen. Und im Zentrum hat der Text eine große Leerstelle: Eos ist keine Figur mit Widersprüchen und Kanten, sondern ein Demonstrationsobjekt, das durch einen Potpourri gesellschaftlicher Konfliktfelder geschickt wird. Ursina Lardi spielt die Rolle zwar voller Energie, aber auch ein bisschen kühl; das wirkt alles schauspieltechnisch hergestellt. Für das Ensemble ist das Stück allerdings ein gefundenes Fressen: alle Schauspieler dürfen in drei Theaterstunden ein ganzes Menschenleben durchmessen, vom Jugend- bis ins Rentenalter – mimisch nur als schnelle Karikatur zu bewältigen, ansonsten eine Aufgabe für die Kostüm- und Schminkabteilung.
Christian Weise findet leider keinen Rhythmus für die Aufführung; es werden auf ermüdende Weise immer nur Einzelteile montiert, die nicht zueinander passen. Der Beginn, eine Art Prolog der Götter im Himmel, ist klassisches Drama der Heiner-Müller-Schule, Metren, große Worte, Gossensprache; gespielt wird das allerdings mit gespenstischem Ernst – so muss das Stadttheater der fünfziger Jahre gewesen sein. Dann wechselt man in den Alternativ-Jargon einer Studenten-WG, die mit pornographischen Fotos Geld verdient. Es treten weiter auf: ein Obdachloser, der Kapitalismus-Kritik übt (eigentlich eine komische Nummer, aber von Boris Koneczny leider verschenkt), ein Muslim und ein Deutscher als Straßenkehrer (die beiden werden sich dann als späte Väter wiedersehen), der Götterbote Hermes, der Rationales spricht und „Nothing compares to you“ singt, die Göttin Selene als aufblasbares Plastikweib, das vom Schnürboden herabsegelt.
Ständig braucht man solch große, groteske Effekte, um die innere Leere der Vorlage zu übertünchen. Nacheinander bemüht der Regisseur: das Jugendstück (bei IKEA probiert man Betten aus), den Familienkrieg frei nach Yasmina Rezas „Gott des Gemetzels“ (die ehemalige Porno-WG, inzwischen saturierte Gutverdiener, veranstaltet einen Abend des ideologischen Gezänks), das soziale Milieustück: Eos endet als Nutte in der Gosse, pflegt aber weiter aufopferungsvoll ihren Tim, der inzwischen im Rollstuhl sitzt. Am Ende sehen sie aus wie Nagg und Nell in Becketts „Endspiel“. Aber Soeren Voima setzt noch einen drauf, alles muss rein in dieses Stück: es erscheint eine Sterbehelferin von Dignitas, und Eos‘ kriegerischer Sohn kehrt von einem Auslandseinsatz der Bundeswehr zurück.
Nach diesem kleinen Rundflug durch die Probleme der Gegenwart bleibt man erschöpft zurück und hofft auf weniger göttliche, dafür dramaturgisch besser durchgearbeitete Aufführungen des Stuttgarter Staatstheaters. „Eos“ hieß bei den Römern übrigens „Aurora“, und „Aurora mit dem Sonnenstern“, der Werbeslogan eines Weizenmehlproduzenten, wäre, im Sinne der Trivialisierung, auch ein schöner Titel für das ganze Unternehmen gewesen. Die Stuttgarter Backmischung geht allerdings nicht auf…