Auktion

Die Faszination seltener Bücher in der digitalen Welt

Antiquarische Bücher mit dem Titel "Die Kunst" stehen im Regal eines Antiquariats.
Antiquarische Bücher: Der Buchmarkt befindet sich derzeit in einem radikalen Wandel. © picture alliance / Stephan Goerlich
Von Andreas Schäfer · 25.02.2014
Das alte Buch hat es zwischen digitalen Lesegeräten und E-Books schwer – trotzdem hat das sehr alte Buch weiterhin Konjunktur: Harald Damaschke bewertet Bücher für das Berliner Auktionshaus Gerda Bassange.
Harald Damaschke: "Hier sitzen die Kollegen aus der Kunstabteilung. Hier sind noch weitere Räumlichkeiten der Alten Kunst und hier werden ... die Gemälde bearbeitet, Grafik und Handzeichnungen. Das ist hier links, hier sind wir zu dritt und bearbeiten die Bücher, die dann auf der Buchauktion versteigert werden und auch die Autographen und Handschriften ..."
Eine efeuumrankte, verwunschene Villa in Berlin Grunewald mit sympathisch ergrauten Tapeten und Dielen, die bei jedem Schritt knarzen. Hier steht in einem kleinen Erdgeschossraum Harald Damaschke, Mitte Dreißig, blonde Locken, ruhige, hanseatische Art. Umgeben von Regalen, die sich im Laufe eines halben Jahres mit Büchern füllen, um sich dann wieder schlagartig leeren:
"Ich arbeite in dem Berliner Auktionshaus Galerie Gerda Bassange in der Buchabteilung und bin dort zuständig für die Katalogisierung und die Bewertung der Bücher. Mein thematischer Schwerpunkt ist die Literatur des 16. bis 19. Jahrhunderts."
Gebrauchte Bücher. Die kauft man entweder beim Flohmarkt und dem Antiquariat um die Ecke, meist günstiger als zum Neupreis. Etwas anderes ist es mit seltenen Büchern, die mehrere hundert Jahre alt sind oder als Frühdrucke gar aus dem 15. Jahrhundert stammen. Sie werden meist auf Auktionen versteigert. Eine der ersten Adresse dafür ist in Berlin die Galerie Bassange. Seit 1963 versteigert sie nicht nur Kunst oder, wie jetzt gerade, Fotografien, sondern zwei Mal im Jahr auch wertvolle Bücher.
Auf der Buchhändlerleiter von Hermann Hesse
"Der Erstdruck von Goethes Werther erzielt auf einer Auktion ungefähr 12.000 bis 15.000 Euro, wenn man wirklich den wertvollen Erstdruck vorliegen hat. Ich denke, dass der Zweit- oder Drittdruck dann unter 1000 Euro liegt. In den Jahren danach gibt es dann ein Dutzend Nachdrucke, weil der Werther ja ein sehr beliebtes Werk gewesen ist und mit das erfolgreichste Buch im 18. Jahrhundert."
Harald Damaschke hat sich schon früh für alte Bücher interessiert und nach dem Abitur Mitte der 90er-Jahre in Hamburg in einem Antiquariat gejobbt. Die Liebe für Erstausgaben und Autographen wurde in Tübingen geweckt, wo er sein Grundstudium in Philosophie und Germanistik absolvierte - und das Glück hatte, bei dem legendären Antiquariat Heckenhauer zu arbeiten, einem der ältestes Antiquariate Deutschlands.
"... das war besonders schön, auch aufgrund der Historie dieses Hauses, weil das damals die Buchhandlung war, in der Hermann Hesse seine Buchhändlerlehre absolviert hat... ich hatte dann wirklich auch das Vergnügen, auf der selben Buchhändlerleiter stehen zu dürfen, auf der Hermann Hesse damals schon stand."
Während seine Kommilitonen nach dem Studium in E-Book-Verlage angefangen haben oder in die App-Entwicklung gingen, beschäftigt er sich mit Details aus einer vergangenen Welt, mit der Qualität von Rückenschildern, Illustrationen oder Besitzeinträgen. Aber ist es heutzutage nicht anachronistisch, manchmal Tausende Euro für einen Text zu bezahlen, der im Internet kostenlos zur Verfügung steht? Hat sich der Markt für alte Bücher wie der normale Buchhandel durch die Digitalisierung nicht einschneidend verändert?
Zahl der Sammler konstant geblieben
"Viele Bücher, die man vor zwanzig oder dreißig Jahren sehr gut verkaufen konnte, das kauft heute kein Mensch mehr auf einer Auktion, das muss man leider so sagen, weil man viele dieser Bücher im Internet über ein paar Mausklicks zu einem günstigen Preis häufig haben kann. Wir konzentrieren uns immer mehr auf seltene, wertvolle und guterhaltene Bücher, die man nicht so ohne weiteres im Internet erhalten kann."
Erstaunlicherweise hat sich abgesehen davon aber kaum etwas verändert. Auch bei alten Büchern greift offenbar der Manufaktum-Effekt. Je digitalisierter die Lebenswelt, desto größer das Interesse am guten Alten. Die Zahl der Sammler ist konstant geblieben. Seit die Kataloge übers Internet eingesehen werden können, bieten immer mehr Interessenten aus dem Ausland mit.
"Wir haben internationale Bieter aus Amerika, aus Skandinavien, aus Frankreich, aus England aus dem südostasiatischen Bereich, und wir schalten dann die Bieter live ins Auktionsgeschehen ein und bieten dann in ihrem Auftrag."
Das Faszinierende an alten Büchern ist ihre Aura, sagt man. Aber was ist damit eigentlich gemeint?
"Manchmal kommt es vor, dass ein Buch, das Jahrhunderte alt ist und das man dann in der Hand hält, und die Seiten kleben noch ganz leicht zusammen von der Druckerschwärze."
Wohl eine nie ganz zu fassende Mischung aus verschiedenen Komponenten. Die Kostbarkeit eines seltenen Drucks spielt dabei genauso eine Rolle wie der Mythos vom alten Wissen, das seltene Bücher enthalten. Aber auch die Beschaffenheit des Papiers, die Spuren des Gebrauchs, tragen zu ihr bei. Die Zeit ist wie angehalten, und gleichzeitig scheint man ihr Verstreichen stärker zu spüren.
"Der erste nach so langer Zeit"
"Da hat man das Gefühl, das Buch stand drei, vierhundert Jahre im Regal und wurde vielleicht ein, zwei Mal durchgeblättert, und man ist der erste nach so langer Zeit, der das wieder in der Hand hat."
Und während im benachbarten Auktionssaal Fotos der klassischen Moderne an ungefähr 30 Anwesende und eine Handvoll Telefonbieter versteigert werden, zieht Harald Damaschke in seiner Bücherstube ein kleines Büchlein aus dem Regal.
"Das ist ein kleines Bändchen, das ich vor kurzem bearbeitet habe. Der Titel lautet 'Vermischte unphysiognomische Regeln zur Selbst- und Menschenkenntnis'."
Es ist eine Art Lebensratgeber vom Ende des 18. Jahrhunderts. Doch es ist kein Verfasser auf dem Umschlag verzeichnet. Der Autor steht nur auf dem Vorsatzblatt.
"Das ist von Johann Kaspar Lavater und er hat hier auch tatsächlich eigenhändig seinen Namen unter diesen Titel gesetzt, und er hat auch hier auf dem Vorsatzpapier eine Widmung, er hat dieses Bändchen einer Jungfrau Magdalena Litt geschenkt, am 11. Januar 1788."
Um Geld geht es in diesem Moment nicht
Das Besondere an dem Bändchen ist, dass es noch fünf weitere Besitzeinträge enthält, alle handschriftlich, so dass man die Besitzer von 1788 bis ins Mitte des 20. Jahrhunderts nachvollziehen kann. Harald Damaschke blättert und liest:
"Weder die sehr kalten noch sehr heißen, sondern gleichförmig warme Charaktere taugen zur Freundschaft."
Der Buchblock ist schön, es ist auf bläulichem Büttenpapier gedruckt, der Einband ist zeitgenössisch, aber der Deckel beschabt und die Kapitale sind bestoßen. Bei der nächsten Auktion wird man es mit vier- bis fünfhundert Euro ansetzen. Aber um Geld geht es in diesem Moment ganz und gar nicht.
"Wer schreibt, was er mündlich sagen sollte und nicht sagen darf, was er schreibt, gleicht einem Wolf im Schafspelze oder einem Schaf in der Wolfshaut."
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