Augen zu! Und durch ...
Eine präzis-poetische, aber dennoch gnadenlos-konkrete Sprache zeichnet die Autorin Anja Hilling aus. Regisseur Markus Wünsch setzt deswegen in seiner Inszenierung von "Schwarzes Tier Traurigkei" auf die Kraft von Hillings Text und bietet szenisch eher wenig an.
Gewiss, dieser Text vermag zu fesseln. Mit drei Szenen, deren Extremität und Exzess sich ausschließlich in der Sprache ereignen.
In der ersten vergnügen sich sechs noch einigermaßen junge Leute beim Picknick im Wald: der Architekt samt junger Freundin, einem Ex-Model, und dem gemeinsamen Baby, der Chef der Model-Agentur, bei der die junge Frau bis zur Schwangerschaft gearbeitet hat, samt schwulem Freund, der seinerseits Künstler ist und obendrein dem Bruder der Ex-Gattin des Architekten. Die hat wiederum ihren jungen Freund mitgebracht, einen Musiker, der im Verlauf der beginnenden Katastrophe zum neuen Geliebten des Model-Chefs wird.
Beziehungen also und Abstoßungen, Flirts und Frechheiten, vollzogene und absehbare Trennungen sowie neue Verbindungen zuhauf - und so eng das Sextett irgendwie, jeder und jede mit jeder und jedem, verzahnt ist, so unausweichlich werden sie nun zur Schicksalgemeinschaft: im Waldbrand, den sie vermutlich selber mit den glühenden Resten vom Grill ausgelöst haben.
Die zweite Szene ist Horror pur: per Zufall in neue Überlebens- oder Todeskonstellationen geworfen, erleben alle den Waldbrand, hautnah und bis zum Wahnsinn schmerzlich. Einige berichten vom Verbrennen ganzer Körperteile, die junge Mutter vom verbrannten, toten Kind.
Der Text ist pures Grauen, auch wenn - oder vielleicht gerade weil - sich mit der Zeit die fahrlässig-oberflächliche Haltung wieder einzuschleichen beginnt, die auch das mörderische Picknick zuvor geprägt hatte. Mit dieser Attitüde also haben die sechs amüsanten Hedonisten von heute soundsoviel Quadratkilometer Natur vernichtet, auch eine gehörige Menge Tiere, etwa ein verkohltes Reh, das dem Stück den Titel gibt.
Auch das eigene Leben haben fast alle zerstört, auf die eine oder andere Weise. Nur der junge Sänger wird Pop-Star. Der Künstler, der im Feuer den Geliebten an den Sänger, aber eben auch den Arm verloren hat, entwirft ein halbes Jahr später eine Installation, die das flammende Inferno herbeiassoziiert.
Anja Hilling zählt zu den erfolgreicheren Autorinnen der jüngeren Generation. Ihre Stücke werden nach der Uraufführung nicht vergessen, sondern an anderen Theatern nachgespielt.
"Schwarzes Tier Traurigkeit", inspiriert durch einen echten Waldbrand in Spanien, ist in der vorigen Saison als Auftragsarbeit am Schauspiel Hannover uraufgeführt worden. Einmal mehr zeichnet sich die Autorin durch präzis-poetische, und dennoch gnadenlos-konkrete Sprache aus. Fast ließe sich angesichts dieser Sprachkraft sogar vergessen, dass der Text als "Stück" darüber hinaus szenisch praktisch wenig mehr als nichts bietet.
Die "Textfläche" - so heißt das in Neu-Theater-Deutsch - ist zwar anders als etwa bei Elfriede Jelinek immerhin noch auf sechs erkennbare Rollen verteilt, aber all diese Spieler erzählen nur. Sie "spielen" nicht und nichts, auch wirklich miteinander gesprochen wird bis zum vorletzten Augenblick nicht.
Alles ist vermittelt, nichts ist direkt – was angesichts des Horrors, von dem erzählt wird, wie ein Schutzmechanismus wirken könnte. Dank der Zwanghaftigkeit von Hillings Sprache allerdings entwickelt sich als Wirkung eher die Härte einer Dokumentation.
Da liegen dann die ästhetischen Entscheidungen durchaus nahe, die jetzt in Schwerin der Regisseur Markus Wünsch getroffen hat: szenisch nämlich genau so wenig an- und aufzubieten wie der Text selbst. Von Barhockern herab und allesamt den ganzen Abend über unverändert in feines Weiß gekleidet erzählen vier Männer und zwei Frauen heiter und entspannt den Text, einschließlich der Szenen- und Regie-Anweisungen, als wären sie kaum beteiligt und als sei das Ganze ein Party-Plausch.
Noch im Inferno hält sich zuweilen dieser Ton, und auch der Verlust-Schmerz im Finale bleibt gebremst. Hauptsache Distanz! Um die Stuhlfront herum hat Franziska Just ein kleines Portal aus Leuchtstoffröhren drapiert, sonst nichts. Grellgrün ist das Licht in der ersten, tiefrot in der zweiten, der Feuer-Szene, krankenhausweiß in der dritten und am Schluss. Es ginge aber auch ganz ohne.
"Schwarzes Tier Traurigkeit" ist ein Hörtext, da ändern auch die durchweg schlüssigen Bemühungen von Regie und Ensemble um persönliche Profile nichts. Hillings Text ist ein besonders drastisches Beispiel für das latente Desinteresse jüngerer Autorinnen und Autoren an den szenischen Elementen des Theaters. Dieses Desinteresse trifft sich zudem mit den entsprechenden Vorlieben, die derzeit an Regie-Tischen überall im Theaterland Deutschland grassieren: Bloß kein Theater! Lieber ein Film auf der Bühne! Oder ein Roman! Aber um Himmels willen nichts, was schon auf dem Papier nach "Theater" aussieht ...
Diese Mode geht ja vielleicht demnächst mal wieder vorbei. Aber "Schwarzes Tier Traurigkeit" bleibt auch jenseits vom Trend ein starker Text. Und auch mit geschlossenen Augen.
"Schwarzes Tier Traurigkeit"
Von Anja Hilling
Inszenierung: Markus Wünsch
Mecklenburgisches Staatstheater, Schwerin
In der ersten vergnügen sich sechs noch einigermaßen junge Leute beim Picknick im Wald: der Architekt samt junger Freundin, einem Ex-Model, und dem gemeinsamen Baby, der Chef der Model-Agentur, bei der die junge Frau bis zur Schwangerschaft gearbeitet hat, samt schwulem Freund, der seinerseits Künstler ist und obendrein dem Bruder der Ex-Gattin des Architekten. Die hat wiederum ihren jungen Freund mitgebracht, einen Musiker, der im Verlauf der beginnenden Katastrophe zum neuen Geliebten des Model-Chefs wird.
Beziehungen also und Abstoßungen, Flirts und Frechheiten, vollzogene und absehbare Trennungen sowie neue Verbindungen zuhauf - und so eng das Sextett irgendwie, jeder und jede mit jeder und jedem, verzahnt ist, so unausweichlich werden sie nun zur Schicksalgemeinschaft: im Waldbrand, den sie vermutlich selber mit den glühenden Resten vom Grill ausgelöst haben.
Die zweite Szene ist Horror pur: per Zufall in neue Überlebens- oder Todeskonstellationen geworfen, erleben alle den Waldbrand, hautnah und bis zum Wahnsinn schmerzlich. Einige berichten vom Verbrennen ganzer Körperteile, die junge Mutter vom verbrannten, toten Kind.
Der Text ist pures Grauen, auch wenn - oder vielleicht gerade weil - sich mit der Zeit die fahrlässig-oberflächliche Haltung wieder einzuschleichen beginnt, die auch das mörderische Picknick zuvor geprägt hatte. Mit dieser Attitüde also haben die sechs amüsanten Hedonisten von heute soundsoviel Quadratkilometer Natur vernichtet, auch eine gehörige Menge Tiere, etwa ein verkohltes Reh, das dem Stück den Titel gibt.
Auch das eigene Leben haben fast alle zerstört, auf die eine oder andere Weise. Nur der junge Sänger wird Pop-Star. Der Künstler, der im Feuer den Geliebten an den Sänger, aber eben auch den Arm verloren hat, entwirft ein halbes Jahr später eine Installation, die das flammende Inferno herbeiassoziiert.
Anja Hilling zählt zu den erfolgreicheren Autorinnen der jüngeren Generation. Ihre Stücke werden nach der Uraufführung nicht vergessen, sondern an anderen Theatern nachgespielt.
"Schwarzes Tier Traurigkeit", inspiriert durch einen echten Waldbrand in Spanien, ist in der vorigen Saison als Auftragsarbeit am Schauspiel Hannover uraufgeführt worden. Einmal mehr zeichnet sich die Autorin durch präzis-poetische, und dennoch gnadenlos-konkrete Sprache aus. Fast ließe sich angesichts dieser Sprachkraft sogar vergessen, dass der Text als "Stück" darüber hinaus szenisch praktisch wenig mehr als nichts bietet.
Die "Textfläche" - so heißt das in Neu-Theater-Deutsch - ist zwar anders als etwa bei Elfriede Jelinek immerhin noch auf sechs erkennbare Rollen verteilt, aber all diese Spieler erzählen nur. Sie "spielen" nicht und nichts, auch wirklich miteinander gesprochen wird bis zum vorletzten Augenblick nicht.
Alles ist vermittelt, nichts ist direkt – was angesichts des Horrors, von dem erzählt wird, wie ein Schutzmechanismus wirken könnte. Dank der Zwanghaftigkeit von Hillings Sprache allerdings entwickelt sich als Wirkung eher die Härte einer Dokumentation.
Da liegen dann die ästhetischen Entscheidungen durchaus nahe, die jetzt in Schwerin der Regisseur Markus Wünsch getroffen hat: szenisch nämlich genau so wenig an- und aufzubieten wie der Text selbst. Von Barhockern herab und allesamt den ganzen Abend über unverändert in feines Weiß gekleidet erzählen vier Männer und zwei Frauen heiter und entspannt den Text, einschließlich der Szenen- und Regie-Anweisungen, als wären sie kaum beteiligt und als sei das Ganze ein Party-Plausch.
Noch im Inferno hält sich zuweilen dieser Ton, und auch der Verlust-Schmerz im Finale bleibt gebremst. Hauptsache Distanz! Um die Stuhlfront herum hat Franziska Just ein kleines Portal aus Leuchtstoffröhren drapiert, sonst nichts. Grellgrün ist das Licht in der ersten, tiefrot in der zweiten, der Feuer-Szene, krankenhausweiß in der dritten und am Schluss. Es ginge aber auch ganz ohne.
"Schwarzes Tier Traurigkeit" ist ein Hörtext, da ändern auch die durchweg schlüssigen Bemühungen von Regie und Ensemble um persönliche Profile nichts. Hillings Text ist ein besonders drastisches Beispiel für das latente Desinteresse jüngerer Autorinnen und Autoren an den szenischen Elementen des Theaters. Dieses Desinteresse trifft sich zudem mit den entsprechenden Vorlieben, die derzeit an Regie-Tischen überall im Theaterland Deutschland grassieren: Bloß kein Theater! Lieber ein Film auf der Bühne! Oder ein Roman! Aber um Himmels willen nichts, was schon auf dem Papier nach "Theater" aussieht ...
Diese Mode geht ja vielleicht demnächst mal wieder vorbei. Aber "Schwarzes Tier Traurigkeit" bleibt auch jenseits vom Trend ein starker Text. Und auch mit geschlossenen Augen.
"Schwarzes Tier Traurigkeit"
Von Anja Hilling
Inszenierung: Markus Wünsch
Mecklenburgisches Staatstheater, Schwerin