Auge auf, Auge zu
Die Schau "Small is beautiful" in der renommierten Ursula-Blickle-Stiftung zeigt Arbeiten, deren Thema die Kategorie des Kleinen, kaum Wahrnehmbaren und Reduzierten ist. Die erzählerische Skulptur dominiert in dieser umfangreichen Schau, die aber auch Text, Video, Malerei, Zeichnung und Fotografie von 31 internationalen Künstlern präsentiert.
Ist ein Muttermal Kunst? Oder ein Melanom, ein Leberfleck, eine Sommersprosse? Wir wollen mal nicht kleinlich sein und lassen dem steirischen Künstler Werner Reiterer die dermatologischen Dekors durchgehen, die er da und dort an die Wände des auch nicht gerade großen Ausstellungshauses im badischen Kraichtal getupft hat. Er muss sowieso in Kauf nehmen, dass der eine oder andere Besucher seine Bagatellen übersieht.
Doch was ist groß? Und was ist wirklich klein? Kurator Peter Weiermair hat jedenfalls eine Menge Kosten gespart: 31 Künstler, und die ganze Schau passt bequem in einen Kleintransporter.
"Es sind lauter Künstler, die in einer kleinen Dimension arbeiten oder überhaupt über die Kategorie des Winzigen nachdenken. Es sind Videokünstler, es sind Künstler, die mit Sprache arbeiten, es sind Künstler, vornehmlich natürlich, die figurativ arbeiten, die im Bereich der Skulptur tätig sind."
Eine Kunst der Kammerspiele also, die sich nicht als kurioser Wettstreit wunderlicher Winzigkeiten versteht, sondern das Auge ganz unaufdringlich auf die Nähe konzentriert.
"Ich beginne die Ausstellung mit einem Aperçus, und zwar mit einem historischen Bildschnitzer, ein gewisser Ottmar Zeiller, der 1910 ganz winzige Skulpturen gemacht hat. Zum Beispiel eine Mutter züchtigt ein Kind, ein Mensch ist beim Zahnarzt, ein Minotaur, also er war ein highly sophisticated Typ, der früh verstarb, der ein Exzentriker war."
Doch kleine Kunst muss nicht ein Fall für Sonderlinge sein. Sie hat es nur oft schwer, ernst genommen zu werden, denn das Kleinformat ist auf weiten Strecken nicht nur eine Domäne der peniblen Virtuosen, sondern auch der Scherzbolde.
Ernst Caramelle hat ein klitzekleines Aquarellchen gemalt - mit integrierter Griffecke zum Anfassen. Sein Wiener Landsmann Erwin Wurm hat zwei als Wurstsemmeln getarnte Flugobjekte auf dem Sockel landen lassen - ein plastischer Kalauer.
Und was Heinz Gappmayr, österreichischer Altmeister der Konzeptkunst, auf einer großen Aluminiumtafel in Schriftform plakatiert, nämlich eine Zahl mit ziemlich vielen Nullen, entzieht sich nicht nur der Anschauung, sondern jeglicher Vorstellung: ein milliardster Millimeter. So weit, so winzig, so weit, so witzig.
Wer's gerne etwas handfester mag, bitteschön: Die Holzbildhauerin Karin Frank träumte einst von einer Ausstellung, die in einem Rucksack Platz haben sollte. Das hat sie nicht geschafft, aber sie hat eine kleine Bildhauerin aus dem Holz geschlagen, die dabei ist, sich mit Klöpfel und Stechbeitel selbst zu erschaffen, und wie sie das Eisen am Knie ansetzt, fließt Blut.
Hubert Kostner kommt aus Tirol, er macht sich über die Touristen lustig. Seine auf kleine Baumstümpfe montierten Miniaturlandschaften lassen sich mit Hilfe der angesetzten Rucksackgurte tatsächlich huckepack mit auf die Wanderung nehmen.
Es wird überhaupt viel geschnitzt im kleinen Format. Ernst Stark schneidet aus weichem Pappelholz plastische Postkarten mit Motiven aus dem Worpsweder Teufelsmoor, und sein Kollege Sebastian Stöhrer setzt gegen das feuchte Idyll das flammende Inferno: seine aus schwarzem Ebenholz geschnitzten putzigen Atompilze erinnern daran, dass Augenzeugen immer wieder beeindruckt sind von der maßstabslosen Schönheit nuklearer Explosionswolken.
Fast jeder Schritt in der Schau ist eine Entdeckung, und es liegt in der Natur der Sache, dass sich solche Kleinigkeiten oftmals erst im Kopf so recht entfalten, im Gedankenspiel.
Museen mögen's meistens nicht so klein, und auch private Sammler protzen lieber mit der großen Dimension. Und so muss die Mehrzahl der Künstler in Kauf nehmen, dass ihre Werke auf dem Kunstmarkt derzeit nicht allzu viel zu melden haben.
Eine Ausnahme ist Karin Sander. Sie nutzt ein computergesteuertes Bodyscan-Verfahren, um Menschen als naturgetreue Kopie im Maßstab 1:10 maschinell aus Kunststoff nachzubilden, und Sammler sind ganz wild darauf, sich selbst als Zwerg in die Vitrine stellen zu können. Erfolgreich lassen sich auch Manga-Puppen vermarkten, sagt Kurator Weiermair:
"Was mir wichtig war, ist auch, dass es hier durchaus auch nationale Traditionen gibt. Es gibt einen Japaner, Murakami, der auf dieser Puppenkultur, die eine hohe Sammlungskultur in Japan bedeutet, aufbaut, aber sozusagen eine Gegenwelt entwirft. Zum Teil obszön, zum Teil polemisch gegen diese Puppenwelt gerichtet."
Da stehen wir auch staunend vor dem Werk des Italieners Carlo de Meo, der einen kompletten Hausrat im Puppenstubenformat zu einem mannshohen Turm gestapelt hat und obendrauf als feixende Figur posiert, als Meister der Schrumpfkunst. Und dabei fällt uns auf, dass gut ein Viertel der Künstler aus Italien kommt - kein Wunder: auch der Kurator hat dort seinen Wohnsitz.
"Ganz raffiniert zum Beispiel finde ich Andrea Facco, der sozusagen eine Art von Kreislauf unternimmt: Er nimmt ein Foto von der Bucht von Neapel, malt das groß, fotografiert es wieder, und auf dieses Foto klebt er eine Marke, die er selbst gemalt hat. Und die italienische Post stempelt die ab und befördert die weiter."
Richten wir den Blick noch auf ein minimalistisches Video von Paolo Scerri. Zu sehen gibt's nicht viel: Auge auf, Auge zu, mal das linke, mal das rechte. Wir schauen hin, und das Auge schaut zurück. Und so, nämlich mit einem Augenzwinkern, sollte man die reizvolle Schau auch nehmen. Sie zwingt einen, genau hinzusehen und ist gerade deshalb von großem Unterhaltungswert.
Service:
Die Ausstellung "Small is beautiful" ist bis zum 14. Oktober 2007 in der Ursula Blickle Stiftung in Kraichtal bei Karlsruhe zu sehen.
Doch was ist groß? Und was ist wirklich klein? Kurator Peter Weiermair hat jedenfalls eine Menge Kosten gespart: 31 Künstler, und die ganze Schau passt bequem in einen Kleintransporter.
"Es sind lauter Künstler, die in einer kleinen Dimension arbeiten oder überhaupt über die Kategorie des Winzigen nachdenken. Es sind Videokünstler, es sind Künstler, die mit Sprache arbeiten, es sind Künstler, vornehmlich natürlich, die figurativ arbeiten, die im Bereich der Skulptur tätig sind."
Eine Kunst der Kammerspiele also, die sich nicht als kurioser Wettstreit wunderlicher Winzigkeiten versteht, sondern das Auge ganz unaufdringlich auf die Nähe konzentriert.
"Ich beginne die Ausstellung mit einem Aperçus, und zwar mit einem historischen Bildschnitzer, ein gewisser Ottmar Zeiller, der 1910 ganz winzige Skulpturen gemacht hat. Zum Beispiel eine Mutter züchtigt ein Kind, ein Mensch ist beim Zahnarzt, ein Minotaur, also er war ein highly sophisticated Typ, der früh verstarb, der ein Exzentriker war."
Doch kleine Kunst muss nicht ein Fall für Sonderlinge sein. Sie hat es nur oft schwer, ernst genommen zu werden, denn das Kleinformat ist auf weiten Strecken nicht nur eine Domäne der peniblen Virtuosen, sondern auch der Scherzbolde.
Ernst Caramelle hat ein klitzekleines Aquarellchen gemalt - mit integrierter Griffecke zum Anfassen. Sein Wiener Landsmann Erwin Wurm hat zwei als Wurstsemmeln getarnte Flugobjekte auf dem Sockel landen lassen - ein plastischer Kalauer.
Und was Heinz Gappmayr, österreichischer Altmeister der Konzeptkunst, auf einer großen Aluminiumtafel in Schriftform plakatiert, nämlich eine Zahl mit ziemlich vielen Nullen, entzieht sich nicht nur der Anschauung, sondern jeglicher Vorstellung: ein milliardster Millimeter. So weit, so winzig, so weit, so witzig.
Wer's gerne etwas handfester mag, bitteschön: Die Holzbildhauerin Karin Frank träumte einst von einer Ausstellung, die in einem Rucksack Platz haben sollte. Das hat sie nicht geschafft, aber sie hat eine kleine Bildhauerin aus dem Holz geschlagen, die dabei ist, sich mit Klöpfel und Stechbeitel selbst zu erschaffen, und wie sie das Eisen am Knie ansetzt, fließt Blut.
Hubert Kostner kommt aus Tirol, er macht sich über die Touristen lustig. Seine auf kleine Baumstümpfe montierten Miniaturlandschaften lassen sich mit Hilfe der angesetzten Rucksackgurte tatsächlich huckepack mit auf die Wanderung nehmen.
Es wird überhaupt viel geschnitzt im kleinen Format. Ernst Stark schneidet aus weichem Pappelholz plastische Postkarten mit Motiven aus dem Worpsweder Teufelsmoor, und sein Kollege Sebastian Stöhrer setzt gegen das feuchte Idyll das flammende Inferno: seine aus schwarzem Ebenholz geschnitzten putzigen Atompilze erinnern daran, dass Augenzeugen immer wieder beeindruckt sind von der maßstabslosen Schönheit nuklearer Explosionswolken.
Fast jeder Schritt in der Schau ist eine Entdeckung, und es liegt in der Natur der Sache, dass sich solche Kleinigkeiten oftmals erst im Kopf so recht entfalten, im Gedankenspiel.
Museen mögen's meistens nicht so klein, und auch private Sammler protzen lieber mit der großen Dimension. Und so muss die Mehrzahl der Künstler in Kauf nehmen, dass ihre Werke auf dem Kunstmarkt derzeit nicht allzu viel zu melden haben.
Eine Ausnahme ist Karin Sander. Sie nutzt ein computergesteuertes Bodyscan-Verfahren, um Menschen als naturgetreue Kopie im Maßstab 1:10 maschinell aus Kunststoff nachzubilden, und Sammler sind ganz wild darauf, sich selbst als Zwerg in die Vitrine stellen zu können. Erfolgreich lassen sich auch Manga-Puppen vermarkten, sagt Kurator Weiermair:
"Was mir wichtig war, ist auch, dass es hier durchaus auch nationale Traditionen gibt. Es gibt einen Japaner, Murakami, der auf dieser Puppenkultur, die eine hohe Sammlungskultur in Japan bedeutet, aufbaut, aber sozusagen eine Gegenwelt entwirft. Zum Teil obszön, zum Teil polemisch gegen diese Puppenwelt gerichtet."
Da stehen wir auch staunend vor dem Werk des Italieners Carlo de Meo, der einen kompletten Hausrat im Puppenstubenformat zu einem mannshohen Turm gestapelt hat und obendrauf als feixende Figur posiert, als Meister der Schrumpfkunst. Und dabei fällt uns auf, dass gut ein Viertel der Künstler aus Italien kommt - kein Wunder: auch der Kurator hat dort seinen Wohnsitz.
"Ganz raffiniert zum Beispiel finde ich Andrea Facco, der sozusagen eine Art von Kreislauf unternimmt: Er nimmt ein Foto von der Bucht von Neapel, malt das groß, fotografiert es wieder, und auf dieses Foto klebt er eine Marke, die er selbst gemalt hat. Und die italienische Post stempelt die ab und befördert die weiter."
Richten wir den Blick noch auf ein minimalistisches Video von Paolo Scerri. Zu sehen gibt's nicht viel: Auge auf, Auge zu, mal das linke, mal das rechte. Wir schauen hin, und das Auge schaut zurück. Und so, nämlich mit einem Augenzwinkern, sollte man die reizvolle Schau auch nehmen. Sie zwingt einen, genau hinzusehen und ist gerade deshalb von großem Unterhaltungswert.
Service:
Die Ausstellung "Small is beautiful" ist bis zum 14. Oktober 2007 in der Ursula Blickle Stiftung in Kraichtal bei Karlsruhe zu sehen.