Auftakt zu einer Enzyklopädie der schönen Künste

Rezensiert von Jens Brüning |
Ein Band über Klassik und Romantik bildet den Beginn eines äußerst ambitioniertes Projekts: eine Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Nach dem Grundsatzartikel werden Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung und Druckgrafik sowie Kunsthandwerk mit Essay und Katalogteil vertieft. Das ist handwerklich gut gelungen, und wird schließlich gekrönt vom Rezensionsteil, in dem die wesentlichen zeitgenössischen Bücher zum Thema pointiert und meinungsfreudig vorgestellt werden.
Gut ausgestattete Bücher haben es in Zeiten von Internet und Online-Lesen schwer, Käufer zu finden. Verleger Jürgen Tesch ist trotzdem optimistisch:

"Es hat eine Halbwertzeit von 25 Jahren, bevor der nächste Verlag auf die Idee kommt, das zu machen."

So umfassend hat es bisher wohl noch kein Verlag versucht. Die acht Bände der Ausgabe zeigen und erläutern nicht nur Gemälde und Grafik, sondern auch Architektur, Buchkunst, Gebrauchskunst und schließlich Medienkunst. Den Anfang macht der Verlag mit einer Epoche, die bisher in zwei scheinbar unversöhnliche Teile geschieden wurde: Klassik und Romantik. In der Zusammenschau aber wird für den Herausgeber Andreas Beyer das Besondere dieser Epoche kenntlich.

"So wie Goethe Weimar und Jena - er meinte Hof und Universität damit - als 'zwei Enden einer Stadt' beschrieben hat, so haben wir hier Klassik und Romantik als zwei Enden einer Epoche bezeichnet."

Das Bild, das Johann Heinrich Wilhelm Tischbein 1787 von Goethe malte, ist als Schlüsselbild zu lesen: Der Dichter lagert - in Italien reisend - vor sämtlichen Epochen und Kunstlandschaften des Altertums, und auf alledem wird die "Weimarer Klassik" aufbauen. Die Antike wurde wiederentdeckt. Leitfigur der Epoche war Johann Joachim Winckelmann mit seiner Verherrlichung der vollkommenen Harmonie und Schönheit, einer Utopie des antiken Griechenlands. Aber schon zur Jahrhundertwende rief Philipp Otto Runge: "Wir sind keine Griechen mehr." Die romantische Gegenbewegung nahm damit ihren Anfang. Was daran ist "Deutsch"? Andreas Beyer:

"Vom Wesen der deutschen Kunst wird man in diesem Band an keiner Stelle lesen, sehr wohl aber versammelt er alles Wesentliche zu ihr."

Schon Goethes Bevorzugung der griechischen Antike lässt dem deutschen Wesen wenig Raum. Und ohnehin sind die Einflüsse auf die Künste mannigfaltig. Niemand lebt abgeschottet vom Einfluss des Nachbarn.

"Die nachweislich folgenreiche europäische Beeinflussung der deutschen Literatur- und Kunsttheorie des 18. Jahrhunderts durch Frankreich und England hat die deutsche Klassik als ein Fiktionsgebäude einer ideologischen, von nationalpolitischen Identifikationsbedürfnissen geleiteten Geschichtsschreibung erkennen lassen, das heute nicht mehr taugt, die vielschichtige und widersprüchliche Konstellation um 1800 historisch zu beschreiben. In der Kunstgeschichte hat das glücklicherweise weniger Platz genommen. Zu offensichtlich und ganz unübersehbar sind die formalen Anleihen, als dass sich von einer spezifisch deutschen Malerei sprechen ließe. Wie deutsch ist ein Jakob Philipp Hackert, der schon mit seinem Erstlingswerk in Rügen bereits die internationale, antikisch inspirierte Klassik einführt?"

Der Band ist in Abteilungen gestaltet. Nach dem Grundsatzartikel folgen Bildtafeln: Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung und Druckgrafik sowie Kunsthandwerk sind die Kapitel, die anschließend mit einleitendem Essay und Katalogteil zu jedem Gebiet vertieft werden. Das ist handwerklich gut gelungen, und wird schließlich gekrönt vom Rezensionsteil, in dem die wesentlichen zeitgenössischen Bücher zum Thema pointiert und meinungsfreudig vorgestellt werden. Herausgeber Andreas Beyer sieht das Ergebnis trotzdem nicht als der Weisheit letzten Schluss an.

"Keine Summe also ist hier gezogen worden, sondern eine Standortbestimmung ist unternommen worden, die die Kunst von Klassik und Romantik neu zur Verhandlung stellt. Als Gründungsmomente und Fermente einer Moderne, die auf sie aufbaut und zugleich als kapitale Epoche, die unausgesetzt vor Augen führt, welchen Stellenwert die Kunst in der Verständigung und Selbstverständigung in der Lage war und sein sollte."

Verleger Jürgen Tesch ist - trotz des in der Sache berufsbedingten Optimismus - skeptisch:

"Man weiß eben einfach nicht mehr, ob Bücher dieser Art von einem jetzt nachwachsenden Publikum noch so ernst genommen, so gewollt werden, wie das früher einmal war, ohne die Konkurrenz der elektronischen Medien."

Darum ist es mutig und lobenswert, dass dieses Unternehmen überhaupt begonnen wurde. Im Gewirr der Einzeldarstellungen ist ein Kompendium mit dem Ziel der Gesamtschau Halt gebend. Und ein halber laufender Meter wird sich im Regal des Kunstliebhabers schon finden, um diese vererbbare Enzyklopädie der schönen Künste zum immer wiederkehrenden Gebrauch aufzunehmen.


Andreas Beyer (Hrsg.):Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland, Band 6 - Klassik und Romantik
dtv/Prestel Verlag, München 2006, 640 Seiten