Auftakt der Bachwochen

Laienmusik in Thüringer Wohnzimmern

Johann Sebastian Bach als Puzzle bei den Thüringer Bachwochen
Johann Sebastian Bach als Puzzle bei den Thüringer Bachwochen © dpa / picture alliance / Michael Reichel
Von Henry Bernhard |
Seit zehn Jahren steht am Vorabend der Thüringer Bachwochen Laienmusik in privaten Wohnzimmern auf dem Programm. Bach zu spielen, ist nicht die Bedingung, aber als Inspirator ist der Komponist immer dabei.
Der Klang des Cellos empfängt den Besucher schon an der Haustür. Laut tönt es durch den modernen Bau in einer alten Erfurter Gasse. Im ersten Stock mischt sich das Cello mit dem Klavier von ganz oben.
Stimmen …
"Hallo!"
"Hallo Amelie!"
"Hab dich gar nicht erkannt!"
Eine enger Flur, der gleich in Küche und Wohnzimmer übergeht. Ein kurzer Steinway-Flügel dominiert den Raum. Zwei Dutzend Menschen drängen sich, begrüßen sich, stellen sich vor. Manche kennen sich schon lange, viele aus der Musikschule, andere stehen unsicher in der Ecke. Noch wird geprobt, Karin Eger steht in der Küche und arrangiert ein paar Naschereien und den Wein. In einer Viertelstunde soll die Hausmusik beginnen.
"Ich bin selbst Musikerin, also Sängerin in dem Fall, werde aber nicht singen heute. Und finde einfach die Bachwochen toll, jedes Jahr aufs Neue, und freue mich über dieses Ereignis am Anfang, also diese Lange Nacht der Hausmusik. Und wir freuen uns, haben seit einem Jahr ein Instrument, und haben gedacht, da können wir auch das Haus öffnen. Und meine Mutter unterrichtet, also sie ist Pianistin und Klavierlehrerin, und hat ihre Klavierschüler mitgebracht. Und wir werden auch noch Streicher dahaben, also ein Streichtrio, und auch eine Oboistin und einen Sänger – den werde ich begleiten. Ja!"
Christoph Drescher ist der Leiter der Thüringer Bachwochen, einem Festival, das sich einen Namen gemacht hat und mit großen Namen aufwarten kann. Dennoch steht für ihn seit zehn Jahren am Beginn: Laienmusik.
"Weil ich das eigentlich am typischsten für das Bachland Thüringen halte! Natürlich wird es morgen ein Eröffnungskonzert geben, aber es ist eine schöne Tradition, am Vorabend das ganze Land zum Klingen zu bringen. Thüringen als Land von vielen kleinen Städten und Dörfern zeigt einfach, wie lebendig das Musikmachen hier ist und besser kann man eigentlich ein Festival nicht eröffnen, als mit der Bevölkerung zu zeigen, wie wichtig Bach ist und wie lebendig Bach ist und das einfach zum Klingen zu bringen, das ganze Land."
"Bach ist immer!"
Bach ist nicht die Bedingung, jeder kann spielen, was er will und kann. Dennoch wird Bach in jedem der 100 Wohnzimmer in Thüringen dabei sein, als Komponist, als Zeitgenosse, als Inspirator.
"Bach, das ist so wie eine gültige Welterklärung auf Musikalisch sozusagen. Wenn man das hört, dann denkt man: Ja, so ist es!"
Silvius von Kessel ist Domorganist in Erfurt und künstlerischer Leiter der Bachwochen.
"Ja, Bach ist natürlich der Grundwasserspiegel von allem! Das A und O. Also, ohne Bach geht es gar nicht. Und Bach hat vielleicht das nicht, was man diese Riesen-Ausschläge nennt, wenn man mal seine Wagner-Phase hat oder so. Bach ist immer!"
Silvius von Kessel ist außerdem der Erfinder der Langen Nacht der Hausmusik und der einzige, der seit zehn Jahren immer als Gastgeber dabei ist – mit seiner Familie.
"Also meine Frau spielt Querflöte. Die Kinder, die Älteste, Felicitas, spielt Cello, Anastasia spielt Horn, die Veronica spielt wieder Cello, Johannes spielt Cello, und die kleine Theresa Geige. Und die Kleine ist noch unklar, ob sie will oder nicht."
Die großbürgerliche Wohnung kann die über 50 Gäste locker aufnehmen. Etwa die Hälfte von ihnen kennt er, alle anderen sieht er zum ersten Mal. Aber alle können sich frei bewegen, während ein junges Streichtrio noch probt.
"Als wir angefangen haben, mussten wir natürlich auch erst mal Gastgeber finden, die die Angst vor dem Voyeurismus ablegen, weil, man denkt dann immer: Oh, wenn die Leute so angucken … Aber das erübrigt sich! Also, wenn man das erlebt hat, erübrigt sich das vollkommen."
Wohnzimmerkonzerte haben Werkstattcharakter
"Ja, also herzlich willkommen, liebe Hausmusikabendbesucher! Wir freuen uns, dass sie wieder so zahlreich da sind! Ich finde es schade, dass sie nicht alle sitzen können, aber sie können sich setzen, stellen, legen … Es sind vielleicht auch noch so Decken oder Kissen da. Also, es ist wieder ein sehr vielfältiges Programm, vor allem mit vielen Kindern. Und es ist auch ein Werkstattkonzert. Das heißt, es ist nicht immer alles bis ins Letzte perfekt; und darauf lege ich auch Wert, dass die Hausmusik so ist, auch gerade bei den Kindern. Und jetzt kommt die Felicitas, unsere älteste Tochter, und spielt Cello und ich begleite sie, und zwar der 1. Satz von … Wie heißt er?"
"Samartini!"
"Samartini."
Besucher:
"Ich finde diese Idee der Hausmusik eigentlich ganz toll. Also wir sind, mein Mann und mich, schon viele Jahre dabei, und sind eigentlich sehr oft von Wohnung zu Wohnung gewandert, weil doch eine große Bandbreite geboten wird; und ganz besonders schön finde ich, dass man die Kinder mit einbezieht."
"Ich bin zum ersten Mal dabei und bin einfach neugierig und gespannt und freue mich drauf."
"Das war mir ein Bedürfnis, heute mal hierher zu kommen. Ich komme geradewegs aus der Klinik! (lacht) Ja."
Silvius von Kessel gibt noch einen Tipp mit: Im Penthouse, ganz oben auf einem Neubaublock mitten in der Stadt, soll es eine coole Orgelmusik geben und einen tollen Blick über die Stadt. Seit Jahren will er mal dorthin gehen, doch er hat selbst immer das Haus voll. Ganz und gar unbürgerlich geht es dort im Penthouse im 12. Stock zu, wo Stephan Janson improvisiert. Wieviel Bach ist in seinem Spiel?
"Bei der rockigeren Improvisation habe ich versucht, so ähnliche Wendungen immer zu benutzen, dass es darauf ein bisschen aufbaut. Aber das fällt auch nicht so schwer, weil: Mein Vorbild ist John Lord, der Keyboarder von Deep Purple, und der hat sowieso die Wendung häufig verwendet. Ich bin daran so gewöhnt, die zu benutzen – da muss ich nichts verstellen."
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