Mehr als der "Quotenmigrant"
Der Frankfurter SPD-Politiker Mike Josef sieht in migrantischen Aufsteigerbiografien ein Zeichen für den gesellschaftlichen Wandel. Er zog Parallelen zwischen den Erfolgen von Sadiq Khan in London und seiner politischen Arbeit in Frankfurt am Main.
Angesichts der Favoritenrolle des pakistanisch-stämmigen Labour-Kandidaten Sadiq Khan bei der Londoner Bürgermeisterwahl wies der Vorsitzende der Frankfurter SPD am Freitag im Deutschlandradio Kultur auf Parallelen zwischen den Finanzmetropolen hin. Beim Wahlkampf in London hätten vergleichbare Themen wie der Mangel an bezahlbarem Wohnraum eine Rolle gespielt. Die sozialen Probleme würden immer stärker in den Großstädten dieser Welt sichtbar und Aufsteigerbiografien kämen oft aus Elternhäusern, in denen soziale Probleme zum Alltag gehörten. Da sei auch der Bildungsaufstieg keine Selbstverständlichkeit.
Die Vielfalt wächst
"Das macht es dann interessant für die Menschen, wenn dann so einer es tatsächlich nach "Oben" schafft", sagte Josef, der selbst als Kind aus Syrien nach Deutschland flüchtete. "Positiv ist, dass durch solche Menschen auch ein Bewusstsein für gesellschaftlichen Wandel gibt." Die Vielfalt nehme zu. Andererseits zeige sich im Londoner Wahlkampf, dass Menschen immer noch zu stark nach ihrer Herkunft beurteilt würden. "Dann entstehen auch Wahrnehmungen wie beispielsweise, das ist der "Quotenmigrant", sagte Josef.
Nicht nur Integrationsthemen
Der SPD-Politiker warnte davor, dass Politikern mit Migrationshintergrund vor allem Integrations- und Migrationsthemen zugeschoben würden. Gerade das Beispiel von Khan zeige, dass er als in London geborener Jurist nicht nur auf diese Themen reduziert werden könne. "Aber in diese Falle fällt man letztendlich auch sehr oft, wenn es dann um Menschen mit Migrationshintergrund geht, die dann auch Politik machen", sagte Josef. Dabei zeige Frankfurt am Main wie viele Migranten in den Universitäten, Fachhochschulen und in der Wissenschaft arbeiteten. "Dann ist das zu kurz gedacht, aber das sind immer noch so klassische Denkmuster, aus denen wir noch nicht ganz draußen sind."
Nachfolger für Boris Johnson
In London wurde ein Nachfolger für den populären Bürgermeister Boris Johnson gesucht, dem Ambitionen auf das Amt des Premierministers nachgesagt werden. Khan, 45-jähriger Sohn eines Busfahrers aus Pakistan, könnte gewinnen. Die Wahlergebnisse wurden am Freitag Abend erwartet.
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: London hat gewählt, einen neuen Bürgermeister. Wir kennen das Ergebnis noch nicht, aber es ist wohl ziemlich sicher, wer gewinnt. Sadiq Khan heißt der Mann, politische Heimat Labour, also links, geografische Heimat die Stadt, die er künftig regieren wird, Heimat seiner Eltern Pakistan – Sadiq Khan ist Einwandererkind, so beschreibt er selbst seinen Werdegang:
Sadiq Khan: Ich bin stolz darauf, dass ich eines von acht Kindern eines Einwanderers bin. Ich bin in einer kommunalen Wohnsiedlung aufgewachsen. Dann wurde ich Anwalt und Staatssekretär. Ich möchte, dass mehr Londoner heute dieselbe Chance erhalten wie ich und meine Geschwister damals.
Frenzel: Sadiq Khan, der wahrscheinlich künftige Bürgermeister von London, der sich, man mag es kaum glauben, in dieser weltoffenen Stadt im Wahlkampf Ressentiments stellen musste, unter anderem wurden ihm Kontakte zu Islamisten unterstellt. Einwanderer in der Politik, sei es die zweite Generation, wie ist das eigentlich in Deutschland? Fragen wir jemanden mit eigenen Erfahrungen, Mike Josef ist 1987 als Vierjähriger aus Syrien nach Deutschland gekommen, seit 2013 Vorsitzender der Frankfurter SPD. 2016 war er Spitzenkandidat seiner Partei dort. Heute wird er noch Koalitionsgespräche zu führen haben zur Frankfurter Stadtregierung. Herr Josef, guten Morgen!
Mike Josef: Guten Morgen aus Frankfurt, hallo!
Frenzel: Spielt Ihre Herkunft eine Rolle, werden Sie damit als Politiker konfrontiert?
Josef: Selbstverständlich spielt das auch mit eine Rolle. Nicht ausschließlich, aber durchaus. Solche Biografien, ähnlich wie Herr Khan in London, sind ja klassische Aufsteigerbiografien, die durchaus bei der Bewältigung von Problemen, und ich glaube, das ist ja auch letztendlich etwas, was in Frankfurt und London ähnlich ist. Wenn man sich anschaut, welche Themen beim Wahlkampf in London eine Rolle gespielt haben, dann merkt man, dass es da Parallelen zu Frankfurt gibt. Das ist die Frage von bezahlbarem Wohnraum.
Herr Khan will beispielsweise die Preise beim ÖPNV einfrieren, das heißt, die sozialen Probleme werden immer stärker in den großen Städten dieser Welt sichtbar. Und Aufsteigerbiografien kommen oftmals aus Elternhäusern, bei denen das alltäglich war, dass man soziale Probleme hatte, dass der Aufstieg, der Bildungsaufstieg, ein hoher Bildungsstandard keine Selbstverständlichkeit war. Und das macht es natürlich interessant für die Menschen, wenn dann so einer tatsächlich es nach oben in Anführungsstrichen "schafft", weil ja letztendlich nicht nur das Wissen eine Rolle spielt, sondern auch so was wie Habitus, das heißt, wie selbstsicher ist man eigentlich, wie tritt man auf, wie redet man, wie sind die Umgangsformen. Und das beobachtet man bei solchen Menschen natürlich dann noch mal ganz genau.
Herkunft ist nicht ganz egal
Frenzel: Das klingt jetzt nach der positiven Beschreibung, aber haben Sie auch die andere Seite erlebt, die Seite der Ressentiments?
Josef: Ja klar. Positiv ist, wenn man das unterm Strich festhalten will, dass es quasi durch solche Menschen auch ein Bewusstsein für gesellschaftlichen Wandel gibt, also die Vielfalt steigt. Andererseits zeigt sich ja auch in London, dass es ja auch ein Symptom dafür ist, dass man sozusagen die Leute immer noch nach der Herkunft beurteilt, also die Herkunft ist nicht ganz egal. Und dann entstehen auch Wahrnehmungen wie beispielsweise, das ist der "Quotenmigrant". Oder man reduziert dann die Menschen, das ging teilweise auch bei uns in der Politik so oder ist bis heute noch so, dass man dann so ganz klassisch sagt, na ja, das sind ja Menschen mit Migrationshintergrund, die sollen mal Integrationspolitik machen. Aber die Chancen, die solche Aufsteiger, Menschen mit Migrationshintergrund aus klassischen Arbeitermilieus mitbringen, sind viel weiter zu greifen.
Gerade Menschen wie Herr Khan, der ja in London auch zur Welt gekommen ist, also ich sage mal, ein Brite, ein Londoner ist, der die Stadt aus dem ff kennt, der Jurist ist. Der kann nicht nur auf die Frage Integration und Migration reduziert werden. Aber in diese Falle fällt man letztendlich auch sehr oft, wenn es beispielsweise um Menschen mit Migrationshintergrund geht, die dann auch Politik machen. Und das ist ganz klassisch der "Quotenmigrant", der dann letztendlich Integrationspolitik macht. Und wenn man sich Frankfurt beispielsweise anschaut, wie viele Migranten in den Banken arbeiten, an den Universitäten, Fachhochschulen, in der Wissenschaft, dann ist das zu kurz gedacht. Aber das sind immer noch so klassische Denkmuster, aus denen wir noch nicht ganz draußen sind. Und das finde ich sehr schade.
Frenzel: Haben Sie auch, ich sage mal so, im Bereich der politischen Auseinandersetzung erlebt, dass da Dinge manchmal auch instrumentalisiert werden? Ich muss an ein Wahlplakat denken, liegt schon ein bisschen zurück, da stand: "Ypsilanti, al-Wazir und die Kommunisten stoppen" – 2008, die CDU in Hessen. Nicht wenige haben damals der CDU unterstellt, dass sie da versucht, die eben nicht besonders deutsch klingenden Namen der SPD- und grünen Spitzenkandidaten bewusst herauszustellen, nach dem Motto, die sind anders. Sind diese Zeiten vorbei in der deutschen Politik?
Josef: Ich glaube, definitiv nicht. Ich meine, wenn man sich anschaut, wie stark mittlerweile die AfD ist, was insbesondere im deutschen Osten los ist, aber auch das Wahlergebnis bei unseren Kommunalwahlen in Hessen der AfD, zeigt ja durchaus, dass solche Ressentiments gesellschaftlich noch stark verankert sind und dass sie immer wieder aufbrechen können, wenn man damit spielt. Wir hatten das Glück in Frankfurt, dass das keine große Rolle gespielt hat von allen etablierten Parteien.
Verbreitete Klischees
Frenzel: Erleben Sie das aber mitunter manchmal vielleicht im Umgang, wenn Sie das gerade erwähnen, die Wahlergebnisse der AfD, mit Wählern?
Josef: Das kommt durchaus vor. Ich weiß von, habe es jetzt nicht unmittelbar erfahren, aber von meinem Schwager beispielsweise, der hier auf einem Fußballspiel war in einer Bezirkssportanlage, der dann mitgehört hat, wie beispielsweise sich Menschen darüber unterhalten haben, dass hier der Spitzenkandidat der SPD aus Syrien kommt, und es kann doch nicht sein, dass dann beispielsweise ein Syrer in dieser Stadt dann das Sagen hat.
Daraufhin hat er die Leute angesprochen, es wurde dann schnell relativiert, und das sei ja nicht alles so gemeint. Aber da zeigt sich schon, dass solche Ressentiments selbstverständlich noch eine Rolle spielen. Die einen sprechen es ganz offen aus, die anderen nicht. Aber das zeigt sich ja auch beim Wahlkampf in London, Herr Khan wurde ja dann in diese islamistische Ecke gestellt. Und man kommt dann aufgrund der eigenen Biografie manchmal auch sehr schwer raus, weil es dann quasi ein Klischee ist. Man kennt den Menschen nicht, die Debatte um den Islam ist sehr stark, die Frage Flüchtlinge, Syrien.
Und da schließt sich dieser Kreis, und dann entstehen auf einmal Bilder, gegen die man nur schwer ankämpfen kann. Und das gibt es schon an der einen oder anderen Stelle. Oder wenn man mal irgendwie per E-Mail oder auf Facebook oder Briefe bekommt von wegen, dass jetzt die Migranten oder die Syrer an meiner Stelle jetzt auf einmal Deutschland reagieren wollen. Also Gute Nacht, Deutschland, wie soll das denn enden. Solche E-Mails oder Online-Einträge gab es schon, aber davon darf man sich, glaube ich, auch nicht verrückt machen lassen.
Frenzel: Das sagt der SPD-Vorsitzende in Frankfurt, Mike Josef. Herr Josef, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.