Aufsteiger ohne Intrigen

Von Mandy Schielke |
Beim Hellenic Festival im antiken Theater von Epidaurus spielte Stefan Stern den Intriganten Jago in Thomas Ostermeiers Othello-Inszenierung. Am 9. Oktober feiert das Shakespeare-Drama an der Schaubühne Berlin Premiere.
"Man denkt der Jago, der ist so jemand, der unglaublich viel redet, so schlau ist, so wortgewitzt und alles im Griff hat. Das ist solch ein Stereotyp von dieser Rolle, was eigentlich ziemlich langweilig ist. Und eigentlich stimmt das auch nicht. "

"Die Hauptsuche war die Suche danach, diesen Jago wirklich in Nöte zu bringen, ihn in jeder Situation wirklich am Limit kämpfen zu sehen, der eben nicht alles im Griff hat und nicht wie ein Master of Desaster, wie ein Puppenspieler drüber sitzt und lachend ins Publikum zwinkert. Die Kernaufgabe war es herauszuschälen, wie man diesen Typen als Getriebenen seiner eigenen Intrige, die er entfesselt, darstellt."

"Und das ist ein irrsinniger Spaß zu spielen."

Ein Sonntagabend in Berlin. Draußen regnet es in Strömen, die Straßen sind dunkel und nahezu menschenleer. Stefan Stern hat immer noch nasse Haare. Schmächtig jungenhaft, mit unglaublich klaren Augen erzählt er vom Fähnrich Jago, der Figur, die sich karrieretechnisch übergangen fühlt und sich dafür bitter rächt. Er braucht ein paar Minuten, um die Schüchternheit zu überwinden, dann redet er und hört nicht mehr auf. Mit den Worten kommt die Entspannung. Bodenständig wirkt dieser 28-Jährige Stefan Stern aus Frankfurt Oder. Er dreht sich eine Zigarette nach der anderen und vergisst den heißen Tee, der vor ihm steht.

"Meine Mutter hat mich schon als Kind ins Theater geschleift. Ein einschneidendes Erlebnis war, da war ich fünf oder sechs Jahre alt, da war ich in Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel, in Leipzig haben wir das gesehen. Und ich war total fasziniert. Es war immer Teil unseres Weihnachtsrituals, sich diese Platte anzuhören und ich wusste nicht, dass das ein Mann ist, der die Hexe da spielt und singt, dass das ein Tenor ist. Ist halt ne Hexe dachte ich, eine Frau. Und dann habe ich das gesehen und war total perplex. Da hat meine Mutter erklärt, dass das eine Rolle ist und wie das so funktioniert mit dem Theater. "

In der Othello Inszenierung von Thomas Ostermeier spielt sich auf der Bühne alles in einem quadratischen Wasserbecken ab, es wird geliebt, gekämpft und eben intrigiert.

"Lieber Herr ... ich wünschte ich könnte sie ersuchen, diese Sache nicht ... Achten sie darauf, dass ihre Frau ... ich flehe Sie an!"

"Der hat die unglaubliche Fähigkeit der Sprache, wahre echte Gefühle in sich zu erzeugen und damit bei den anderen Figuren als ein lauterer, ein ganz ehrlicher Mensch wahrgenommen wird. Und das ist das Interessante an der Figur, dass er zur Verstellung fähig ist."

"... wenn ich jemandem diene, dann diene ich nur mir selbst."

Die Aufsteigertypen, die alles für das eigene Fortkommen tun und nicht davor scheuen zu finsteren Mitteln zu greifen, die gibt es sicherlich auch heute zur Genüge, meint Stefan Stern. Die Frage, inwiefern der Stoff in die heutige Zeit passt, interessiert ihn aber nicht besonders, damit hält er sich nicht lange auf. Der Schauspieler bleibt mit seinen Gedanken ganz bei der Figur.

Stefan Stern ist in Frankfurt Oder geboren und bei seiner Mutter aufgewachsen. Sie arbeitet immer noch als Bibliothekarin in der Stadt ganz im Osten der Republik und sammelt alle Zeitungsartikel über die Stücke, in denen ihr Sohn mitspielte. Als Kind hat er alles Mögliche ausprobiert: Leichtathletik, Violinenspiel, Chormusik.

In der siebten Klasse sorgt eine Lehrerin dafür, dass er in die Jugendgruppe des Theaters aufgenommen wird. Pantomime, Clownerie und Handstand-Überschlag - so fasst er diese Zeit zusammen. Ob das auch ein Beruf für ihn sein kann, wusste er lange nicht so genau.

"Und dann habe ich einfach erzählt, ich werde jetzt Schauspieler, hab es selbst noch nicht so richtig geglaubt, habe es aber überall rumerzählt. Und ich dachte, umso mehr ich es herumerzähle, muss ich auch meinen Arsch hochreißen, mich bewerben und es auch irgendwie schaffen."

Er schafft den Aufstieg: schnell, beharrlich und ohne größere Rückschläge. Mit 22 beginnt er seine Ausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Drei Jahre später wird er festes Mitglied im Ensemble der Schaubühne.

"Ich find's an sich total paradox, wie ich aus dieser Stadt Frankfurt Oder, wo ich mir das alles gar nicht vorstellen konnte, wo wir uns das alles selbst aufgebaut haben, wir selbst mit Freunden eine Disco betrieben haben, selbst Kultur gemacht haben, Lesungen organisiert haben, wo das alles selber gemacht werden muss, weil die Kultur es ansonsten gar nicht mehr gibt. Und Berlin ist so luxuriös ausgestattet und in einem so großen, berühmten Theater spielen zu dürfen, das ist ein absolutes Geschenk für mich, das ich noch gar nicht kapiere."

Nicht weit von der Bar in Berlin Mitte, vor deren Fenstern es immer noch in Strömen regnet, wohnt Stefan Stern seit einem Jahr. Er lernt Texte, probt oder schaut den anderen im Theater beim Spielen zu. Hobbys hat er nicht, sagt der junge Mann lächelnd. Warum auch? Wenn man das tun kann, von dem man glaubt, dass es genau das Richtige ist, dann braucht man keinen Ausgleich mehr.

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