Aufs falsche Pferd gesetzt?

Von Susanne von Schenck · 03.09.2008
Untrennbar mit einem Tag auf der Rennbahn verbunden sind die Wettbüros. Denn Pferderennen ohne Wetten wäre wie Angeln ohne Fische. Aber: die deutschen Rennvereine haben massive Geldprobleme, bedingt durch Umsatzeinbrüche beim Wetten.
In Hongkong beispielsweise wird an einem Tag so viel umgesetzt wie in Baden-Baden im ganzen Jahr. Und die Baden-Badener Rennbahn feiert in diesem Jahr ihr 150-jähriges Bestehen. Auch dort, auf der elegantesten und renommiertesten der deutschen Rennbahnen sind die Kassen leer. Der Internationale Club, der die Rennen ausrichtet, ist auf der Suche nach neuen Wegen: mehr Zentralisierung im Rennsport, mehr Events außerhalb der Rennen.

Weites Grün vor malerischer Schwarzwaldkulisse: Baden-Baden – Iffezheim - das ist Deutschlands eleganteste Galopprennbahn. Dreimal im Jahr finden dort Meetings statt – so heißen die Galopprennen im Fachjargon. Familien, elegante Damen und Herren, Einheimische und Angereiste, Zocker und Händler – sie alle strömen dann auf das Renngelände vor den Toren Baden-Badens.

"Wir sind ein wunderbarer Gemischtwarenladen. Wir haben hier die große Haute Volée, jeder versucht sich, irgendwie schön zu machen, und wir haben aber auch die Freude, dass es ein Erlebnis für jedermann ist. Otto Normalverbraucher fühlt sich hier genauso wohl. Natürlich hat man hier Abtrennungen, man hat Tribünenplätze bis 200 Euro, Sie können aber auch für sieben Euro hier sich einen ganzen Tag amüsieren."

Elke Krampe kennt sich aus. Seit 30 Jahren betreut die resolute Frau mit Kurzhaarschnitt Gäste auf der Rennbahn. Die pferdebegeisterte Reiterin ist so etwas wie die gute Seele für Neueinsteiger in Sachen Galoppsport.

Acht bis zwölf Rennen finden an einem Nachmittag statt. Ständig bewegen sich Menschen hin und her: vom Führring, wo die Vollblüter im Schritt herumgeführt werden, zum Wettschalter, wo sie auf ein oder mehrere Pferde Geld setzen und dann zur Rennbahn. Dort lassen sich Pferde und Jockeys noch einmal beim Aufgalopp beobachten, bevor das eigentliche Rennen startet. Jeder Wetter hofft, dass er auf das richtige Pferd gesetzt hat.

"Die Nummer sieben ist ein schöner Schimmel, der gewinnt für mich im ersten Rennen. Gehen hin, sagen, oh, die Nummer sieben, mein Schimmel. So, jetzt passiert, dass Sie genau hingucken. Jetzt geht das Pferd zur Führmaschine. Oh, jetzt zögert er, jetzt will er nicht rein. Jetzt ist der drin. Bluff, die Klappen gehen auf und meine Nummer sieben: oh jetzt liegt sie an der dritten Stelle, jetzt an der fünften, jetzt, hundert Meter vorm Einlauf: jetzt kommt sie wieder, und ich schwöre Ihnen, jeder, ob der einen Euro drauf gesetzt hat oder hundert oder zehn, fängt an zu schreien: nun komm, nun komm. Und dann hier am Ziel entscheidet es sich: er ist nur dritter geworden. Ne, der hat gewonnen. Meinen Euro habe ich vermehrt. Und da die Basis auf jeder deutschen Rennbahn eins zu zehn ist, sagt dann Ansager: der Sieger zahlt 63, das heißt, für einen Einsatz von zehn haben Sie 63 Euro gewonnen. Na ist das nix?"

Überall auf dem Rennbahngelände wird den Menschen das Geld aus der Tasche gezogen: an Würstchenbuden und Champagnerständen oder in der kleinen, eigens für die Meetings aufgebauten Zeltstadt. Tücher und Bücher, Souvenirs und Reitartikel werden dort angeboten. Und natürlich Hüte, denn Galoppsport und Hut gehören zusammen wie Topf und Deckel. Aber das meiste Geld lässt man vermutlich an den Wettschaltern.

Freundliche Mitarbeiter erklären Neuankömmlingen geduldig, wie das Wetten funktioniert. Zweier- oder Dreierwette? Setzt man auf Platz oder Sieg? Und vor allem: auf welches Pferd? Auch da hat Elke Krampe wieder einen Rat.

"Ich bin ein Wetter aus Spaß an der Freude mit meinen zehn Euro und gehe dahin und suche mir immer nur das schönste Pferd aus, was leider dann nicht immer gewinnt. Aber ich habe keine Lust mir vorzuschreiben zu lassen: Ah, der große Favorit ist der und der, ich gehe zum Führring und schaue: Mm, der gefällt mir am besten, für mich gewinnt der."

All das bunte Treiben auf der Rennbahn kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der deutsche Galoppsport in einer Krise befindet. Denn längst lassen die Leute nicht mehr soviel Geld beim Pferderennen wie früher. Nicht das weniger gewettet würde: Der gesamte Glücksspielmarkt in Deutschland mit geschätzten 20 Milliarden Euro Umsatz im Jahr ist riesig. Mehr und mehr Wetter haben ihr Spiel allerdings ins Internet verlagert: es ist bequemer, und sie bleiben anonym. Den Rennbahnbetreibern, im Fall von Baden-Baden dem Internationalen Club, geht dadurch viel Geld verloren. Gerd Dopatka jedenfalls, Totoleiter in Baden-Baden, runzelt sorgenvoll die Stirn.

"Der Rennverein, der Internationale Club stellt hier seine Rennbahn zur Verfügung, wickelt die Rennen ab und hat hier seine riesigen Unkostenapparat zu tragen und draußen gibt’s irgendwo welche, die dann Wetten annehmen für unsere Veranstaltung, aber nicht in unseren Computer hineinschicken, sondern das ganz selber abwickeln draußen, wo der Internationale Club nichts von hat. Wir bleiben auf unseren Unkosten sitzen und die Wettumsätze gehen in den Keller."

Rennvereine stellen fest: Seit dem Jahr 2000 sind die Wettumsätze um über 60 Prozent zurückgegangen. Dabei wird nicht weniger gewettet, aber anders.

"Früher hatten wir einen eigenen Rechner auf der Rennbahn, heute wird das ganze über einen Zentralrechner abgewickelt, der in Essen steht. über den wir online verbunden, und Sie haben darüber hinaus die Möglichkeit ja nicht nur hier auf der Rennbahn zu wetten und zu spielen, Sie können auch in ganz Deutschland und darüber hinaus auch in Europa wetten für die Rennbahn in Iffezheim abgeben. Das heißt, es gibt Wettannahmestellen oder bei den Buchmachern stehen Geräte zur Verfügung, wo Sie Wetten tätigen können, die in unseren Zentralrechner für die heutige Veranstaltung einfließen können."

Genau diese Buchmacher sind das Problem. Sie betreiben ihre Wettbüros außerhalb der Rennbahnen und zahlen nicht genug an die Rennvereine zurück. Stattdessen vermitteln sie in Steueroasen und umgehen so die Wettsteuer.

"Dadurch, dass die Buchmacher übers Internet anbieten und die Wetten nicht mehr in Deutschland halten, im Ausland halten, mit Steuervorteilen, können sie wesentlich bessere Quoten bieten, das heißt, als Beispiel, wenn Sie 10 Euro in den Totalisator wetten, kann es sein, dass Sie bei einer Quote 12 Euro wieder bekommen, der Buchmacher aber durchaus in der Lage ist, Ihnen 15 oder 16 Euro wieder zu geben, und für die Kunden ist es dann häufig keine Frage, wo man wettet."

Engelbert Halm ist Geschäftsführer des Direktoriums für Vollblutzucht. So heißt der Dachverband aller im Rennsport Organisierten: der Züchter und Besitzer, Jockeys, Trainer und Rennvereine. Mit einer Strukturreform will er dem krisengeschüttelten Galoppsport wieder auf die Beine helfen. Die Vermarktung der gut vierzig deutschen Rennbahnen soll beispielsweise zentralisiert werden, um mehr Großsponsoren zu gewinnen.

"Ich denke, dass in den letzten zehn Jahren auch eine Veränderung auch im Freizeitverhalten und Sportverhalten der Menschen stattgefunden hat. Diesem muss der Rennsport Rechnung tragen. Das heißt, wir müssen deutlich professioneller werden im Ablauf unserer Organisation. Wir müssen uns wieder darstellen draußen, wir müssen unsere Leistungsfähigkeit zeigen, einmal im sportlichen Bereich und einmal im Eventbereich. Das Freizeitverhalten der Menschen hat sich geändert, die Ansprüche sind größer geworden, andere Sportarten haben hier immense Arbeit geleitstet, haben sich verändert, haben sich professioneller aufgestellt und das sind natürlich auch Anforderungen, die an den Rennsport zu richten sind."

Weniger Wetteinnahmen bedeuten auch weniger Preisgelder. Weil letztere in den vergangenen zwei Jahren von 17 Millionen Euro auf 15 Millionen zurückgegangen sind, lassen viele Besitzer ihre Pferde lieber im Ausland laufen.
Auch wenn die Baden-Badener Galopprennen führend in Deutschland sind und ein großes Publikum anlocken, so sind sie im internationalen Vergleich jedoch unbedeutend. Die englischen und französischen sind wesentlich bekannter und die Preisgelder höher. Ganz zu schweigen von asiatischen Rennbahnen. In Hongkong beispielsweise wird an einem einzigen Renntag soviel umgesetzt wie in Baden-Baden in einem ganzen Jahr.

Nur bei wenigen Sportarten zeigt sich die Verbindung von Sport und Geld so ungeniert wie beim Pferderennen. Alles dreht sich um Preisgelder und Wetterlöse.

Manche Besucher kommen aber tatsächlich wegen Lucky Strike, Abbadjinn, Shinko’s Best, Princess Taipa und wie die Rennpferde noch so heißen. Die hochgezüchteten Vollblüter sind für viele Pferdekenner die schönsten Geschöpfe überhaupt. Sie sind nicht allzu groß, schmal gebaut, sehr muskulös und außerordentlich schnell. Auf der Zielgeraden können sie eine Geschwindigkeit bis zu 70 Kilometern pro Stunde erreichen.

"Für mich ist das Pferd das eleganteste Wesen überhaupt. Ich kann mir eigentlich nichts Schöneres vorstellen. Die Pferde hier sind trainiert, dünn, und für mich hat das mit Erotik zu tun. Wenn die geduscht werden nach dem Rennen – man sieht nur Muskeln. Man sieht vor dem Rennen, sie sind nur konzentriert, man schaut ihnen in die Augen, man sieht, dass sind keine Ponys, die hinterm Hof stehen, sondern die haben eine Geschichte, sie wollen was erreichen. Ja, Ästhetik ist es für mich zu 100 Prozent, es gibt nichts Ästhetischeres."

Andreas Brenner kommt regelmäßig zu den Meetings nach Baden-Baden. Er ist Photograph, und stellt seine großformatigen schwarz-weiß Aufnahmen von Pferden und Jockeys während der Renntage aus.


Adrie de Vries ist gerade aus dem Sattel gestiegen. Der Jockey aus den Niederlanden gehört zu den Stars seiner Branche und wurde in Baden-Baden als bester Jockey ausgezeichnet.

"Ich bin in Holland angefangen, und da ist es dann immer ein bisschen schwieriger geworden, runtergegangen und bin dann so vor vier, sechs Jahren in Deutschland angefangen. Ein paar Jahre gedauert, bis ich hier reingekommen bin. Hier war der Sport allgemein viel besser. Die letzten Jahre ist es alles ein bisschen den Berg runter gegangen, weniger Rennen, Preisgelder ein bisschen abgenommen, das sieht für die Zukunft nicht schlecht aus, aber wir müssen weiterkämpfen, dass es nicht weiter runtergeht."

Wie seine Kollegen tourt auch Adrie de Vries von einem Rennen zum nächsten. Viele Jockeys arbeiten zwar für einen Stall, können aber auch von anderen gebucht werden. Manchmal lernen sie ihr Pferd erst im Führring kennen, jagen mit ihm über 2000 Meter Rennstrecke, und dann folgt nach kurzer Pause schon der nächste Ritt auf einem anderen Pferd.

"Was macht ein gutes Rennpferd aus? Es muß auf jeden Fall Herz haben, Charakter, er muß gesund sein auf den Beinen, er muss über gut Kondition verfügen, die Lunge. Das ist eine Kombination von allem. Ein Pferd kann eine Riesengaloppade haben, aber wenn es das Herz nicht hat, den Charakter, dann kommt er auch nicht, andersrum auch nicht."

Von der Krise, die den Rennsport ergriffen hat, ist auch Werner Hefter betroffen. Er trainiert Vollblüter und betreibt einen Stall in direkter Nähe zur Baden-Badener Rennbahn. Gerade versucht er, einen Jockey für ein Rennen zu finden.

Werner Hefter war früher selbst Jockey. Der gebürtige Rheinländer, ein kräftiger Mann von Mitte 50, wog allerdings bald zuviel und konnte den Beruf nicht mehr ausüben. Denn mehr als 55 Kilo darf ein Jockey nicht auf die Waage bringen. Dieses Gewicht zu halten, ist für viele ein Problem.

"Es gibt ja Jockeys, die haben überhaupt keine Gewichtsprobleme. Dann gibt’s Jockeys, die sitzen jeden Tag in der Sauna, die müssen eigentlich immer ein oder zwei Kilo machen. Also, das ist schon ein hartes Geschäft, auch für die Reiter. Wir haben vier, fünf Spitzenjockeys, die immer gut beschäftigt sind, die verdienen auch Geld, aber für die anderen ist es schon ein hartes Brot, allein von der Ernährung her, dass sie immer ihr Gewicht halten, die müssen fit sein. Das sind auch Hochleistungssportler. Die sitzen nicht nur nachmittags mal auf dem Pferd, die müssen richtig Sport betreiben, Krafttraining machen, alles, damit sie nachmittags fit sind für die Pferde."

40 Vollblüter stehen in Werner Hefters Stall. Die Boxen sind im Rechteck um einen hübschen Innenhof angelegt, in dessen Mitte zwei große Kastanienbäume wachsen. Sehr früh, mit drei, manchmal schon mit zwei Jahren, werden die Tiere in die Rennen geschickt und theoretisch laufen sie, bis sie 15 Jahre alt sind. Aber viele scheiden früher aus und werden für die Zucht verwendet. Und die ist in Deutschland exzellent. Nur Vollblüter, die gesund und schnell genug sind, werden zur Weiterzucht verwendet – die Rennen sind daher eine systematische Leistungsprüfung.

Zwischen 1000 und 1500 Euro zahlt der Besitzer eines Rennpferdes monatlich für Unterhalt und Training seines Pferdes – und hofft natürlich, dass das Tier die Unkosten wieder "einläuft". Das, so Werner Hefter, wird aber immer schwieriger.

"Bei uns werden die Rennpreise kleiner, die Kosten werden höher. Wenn ich allein denke, was die Futterkosten die letzten Jahre gestiegen sind, die muss ein Trainer ja auch irgendwie weitergeben. Ein Trainer kann das nicht finanzieren. Aber wenn die Rennpreise fallen, dann ist das für die Besitzer natürlich auch schwierig zu sagen, wir kaufen uns ein Pferd. Wir haben speziell in Iffezheim den Vorteil: Wir sind in der Nähe zu Frankreich und wir gehen mit unseren Pferden sehr viel nach Frankreich rüber, weil da die Rennpreise sehr viel höher sind, dass man da die Besitzer noch mit zufrieden stellen kann."

Seit 150 Jahren werden die Pferderennen, die zu den ältesten organisierten Sportarten der Menschheit überhaupt gehören, jetzt in Baden-Baden ausgetragen. Ein Sport, der auch zur Sucht werden kann. Die Jockeys werden süchtig nach Geschwindigkeit, die Besucher nach dem schnellen Geld beim Wetten und die Pferdebesitzer nach dem Besitz des besten Vollbluts.