Aufruhr wegen falschen Singens

Maarten 't Hart zeichnet in "Der Psalmenstreit" ein ironisches Bild von den Folgen religiösen Wahns. 1775 kam es in seiner Geburtsstadt zu einem Aufstand der Fischer und Netzflickerinnen wegen einer neu eingeführten Singweise der Psalmen, die ihnen gotteslästerlich erschien. An der Figur eines Reeders zeigt er die Auswirkungen des Aufstands.
Die Romane des 1944 in der kleinen Gemeinde Maassluis geborenen Schriftstellers scheinen einem wie Nachrufe auf die untergegangene Welt des ländlichen Kleinbürgertums mit all seinem religiösen Wahn, seiner verbiesterten Besserwisserei. Das Holland Maarten `t Harts ist ein strenggläubiges Bibelland. Bei ihm zuhause wurde zum Beispiel vor dem Essen stets ein Kapitel aus der Bibel vorgelesen, morgens, mittags, abends.

In all seinen Bücher spielt denn auch die Kirche eine wichtige Rolle. So auch in Maarten 't Harts "Der Psalmenstreit", einer kuriosen, absonderlichen, dennoch urkundlich belegten Geschichte aus dem 18. Jahrhundert. 1775 kam es in seiner Geburtsstadt zu einem Aufstand der Fischer, Seeleute und Netzflickerinnen gegen die Obrigkeit. Anlass der Unruhen: eine in der Kirche eingeführte neue Singweise der Psalmen. Dehnte man bis dahin die Lieder mit Trillern und allerlei Verzierungen so aus, dass jeder Gottesdienst zu einem stundenlangen Kirchenaufenthalt geriet, so verkürzten die neuen, flotter gereimten und gesungenen Verse die Andacht um einiges. Die Armen in Maassluis aber empfanden dies als gotteslästerlich, als Abkehr vom wahren Glauben und wehrten sich heftig gegen die neue Singweise. Es kam erst zu Handgreiflichkeiten, dann zu heftigen Gewalttätigkeiten.

Erschreckend der religiöse Fanatismus einer ungebildeten Unterschicht - ein Schelm, wer da nicht an heute denkt, an wütende Menschenmassen, die aus nichtigem Anlass ihre Religion beleidigt sehen und zuschlagen. Der Aufstand in Maassluis wurde damals niedergeschlagen, die Rädelsführer in die Verbannung geschickt.

Der absurde, fast unbegreifliche Religionsstreit hatte allerdings handfeste soziale Ursachen. Unsichere Herrschaftsverhältnisse und Krieg mit England hatten zu wachsender Armut, wirtschaftlicher Not gerade in der Unterschicht geführt. Die Wut, so lässt Maarten`t Hart anklingen, richtete sich gegen die aufgeklärte Mittelschicht, die wohlhabenden Bürger, die in den Krisenjahren weit weniger litten als die Fischer und Handwerker.

Einer der Betroffenen ist der Reeder Roemer Stroombreker, der vier Fischfangschiffe besitzt und damit zu den Reichen in Maassluis gehört. Er ist dennoch kein glücklicher Mensch, da ihn seine Mutter zwang, die Reederstochter Diderica Crookewerff zu heiraten, denn die brachte zwei Schiffe mit in die Ehe. Doch er liebt das riesenhafte Weib nicht. Allein schon ihr Geruch ist ihm zuwider. Die Ehe wird nie vollzogen. Beide leben nebeneinander her - ohne Leidenschaft, aber auch ohne Streit.

Roemers wahre Liebe gilt seit seiner Jugend der bitterarmen Netzflickerin Anna. Die heiratet einen Seemann von einem seiner Schiffe. Als der auf großer Fahrt ist, zeugt der Reeder ehebrecherisch mit ihr einen Sohn. Das darf natürlich niemand erfahren. Umso schmerzlicher ist es für den feinsinnigen, nachdenklichen und aller Glaubenseiferei abholden Reeder mitzuerleben, wie sich der Sohn den Aufständischen anschließt und ihn verachtet. Zwar geht sein sehnlichster Wunsch in Erfüllung, nach dem Tod seiner Frau und der Trennung Annas von ihrem Mann holt er seine heimliche Geliebte als Haushälterin zu sich, ehelicht sie später sogar, aber den Sohn gewinnt er nie für sich.

In der Figur des Reeders spiegelt sich der Autor wieder, dem die Religion fremd geworden ist, der aber in seiner Heimatgemeinde gerne die Register der Kirchenorgel zieht, Bach über alles liebt. Eben diese Liebe zur Musik zeichnet auch seinen Reeder Stroombreker aus, der in ihr Erlösung und Erleichterung findet. Sie macht ihm sein schweres Los erträglicher. Zudem erheitert und beruhigt den Reeder auch die Vogelwelt. Wie sein Schöpfer, der früher einmal Verhaltensforscher war, kennt er sich gut aus, weiß genau, was da im Schilf ruft und durch die Lüfte segelt.

So wird die Geschichte unter der Hand auch zu einem Loblied auf die Musik und auf die Natur.

Maarten`t Harts Meisterschaft verbirgt sich im Entwurf seiner Menschen. Sie kommen einem nahe trotz der mehr als befremdlichen Umstände. Man folgt ihrem Leben verblüfft-neugierig, genießt die spöttischen Bemerkungen über Staat, Religion und Obrigkeit, mit denen der Schriftsteller gerne alle seine Romane schmückt, so auch diesen. "Der Psalmenstreit" gehört eindeutig zu seinen besten. Davon kann man gar nicht genug bekommen.

Rezensiert von Johannes Kaiser

Maarten 't Hart: Der Psalmenstreit
Übersetzt von Gregor Seferens
Piper Verlag, München 2007
432 Seiten, Euro 19,90