Aufruhr statt Kreuzchenmachen

Von Philip Banse |
Das deutsche Volkszählungsgesetz sah für das Jahr 1983 eine Volkszählung vor. Gesandte des Staates sollten von Tür zu Tür gehen und weit mehr notieren als die Anzahl der Bürger. Erfasst werden sollten neben Alter, Geschlecht und Beruf zum Beispiel Anzahl der Familienmitglieder, wer das Geld verdient und ob noch eine Nebentätigkeit in der Landwirtschaft ausgeübt wird.
Ohne gute Statistiken keine gute Politik, so lautete die Begründung. Doch gegen die Volkszählung formierter sich ein breiter Widerstand. Mit der sich entwickelnden elektronischen Datenverarbeitung wurde es möglich, Informationen wesentlich effektiver zu ordnen und zu verknüpfen. Mit der Volkszählung sahen soziale Bewegungen wie die damals gerade gegründeten Grünen den Überwachungsstaat Gestalt annehmen, das Orwell’sche Jahr 1984 stand ja kurz bevor.

Eine effektive und vollständige Erfassung der Bevölkerung werde zum gläsernen Bürger führen, so die Kritiker. Sie befürchten einen vollständigen Verlust der Privatsphäre. Dieser Argumentation folgte im Prinzip auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil von 1983:

Bürger müssten wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher sei, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert oder weitergegeben werden, so die Richter, werde versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil ein freiheitlich demokratisches Gemeinwesen auf die Mitwirkung seiner Bürger angewiesen sei. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung war formuliert.

Die Volkszählung musste verschoben werden. Fragen wurden modifiziert, um die Anonymität der Befragten besser zu schützen. Das konnte die Kritiker nicht besänftigen. Sie riefen zum Boykott der Volkszählung 1987 auf. Fragen sollten falsch beantwortet, die Zählung am besten komplett boykottiert werden. Es gab Bombendrohngen, Menschen mauerten ihre Haustür zu, Volkszähler wurden bedroht, verweigerten aus Angst den Dienst mit Fragebogen, die Polizei durchsuchte Wohnungen von Boykotteuren.

Heute geben die Bürger ihre Daten freiwillig preis: Online-Shopping, Kundenkarten, Weblogs - gigantische Berge persönlicher Daten, die keine Volkszählung je zusammentragen könnte.