Aufruhr in Pakistan wegen Freispruch für Christin

"Mit Religion hat das absolut nichts zu tun"

Radikale Islamisten bei einer Demonstration, sie strecken die Hände nach oben.
Radikale Islamisten bei einer Demonstration Mitte Oktober, auf der sie das Oberste Gericht aufforderten, das Todesurteil gegen Asia Bibi aufrecht zu erhalten. © AP
Ulrich Delius im Gespräch mit Dieter Kassel · 02.11.2018
Nach neun Jahren in der Todeszelle kommt die pakistanische Christin Asia Bibi frei. Doch Islamisten weigern sich, das Urteil anzuerkennen und legen mit ihren Protesten das Land lahm. Um religiöse Gefühle gehe es dabei aber nicht, meint Ulrich Delius.
Nach dem Freispruch für die wegen Blasphemie inhaftierte Christin Asia Bibi laufen pakistanische Islamisten Sturm. Ein Land im Ausnahmezustand: "Was wir jetzt erleben, den dritten Tag schon, ist ein Stillstand der wichtigsten Industriezentren des Landes", sagt Ulrich Delius, Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker. "Um Karatschi herum geht nicht mehr viel momentan. Viele Industrieunternehmen haben ihren Betrieb eingestellt, Schulen sind geschlossen, Universitäten geschlossen, zum Teil, im Punjab, ist jetzt das Internet abgeschaltet worden."
Imran Khan von der PTI erklärte bereits am 26. Juli, dass er die Parlamentswahl in Pakistan gewonnen habe.
Imran Khan, seit August 2018 pakistanischer Premierminister. © Tehreek-e-Insaf via AP
Zwar habe man seitens der Regierung gewusst, dass es massive Proteste geben würde. Dennoch: "Es ist ein Sturm, ein Wirbelsturm, der da auf die Regierung zukommt."
Viele Christen hätten sich gefreut, dass die Regierung plötzlich so entschieden für Religionsfreiheit eintrete. Er allerdings könne in dem Freispruch Asia Bibis kein großes Hoffnungszeichen sehen, meint Delius. Denn es gebe ständig neue Verfahren und Anzeigen wegen Blasphemie. Und alle Bemühungen von Menschenrechtsorganisationen, diese Gesetze abzuschaffen, seien ins Leere gelaufen. "Dafür gibt es keine politische Unterstützung in Pakistan. Im Gegenteil: Es wurde jetzt kürzlich eine Partei neu gegründet, die sich einzig und allein darauf verständigt, dass sie vor allen Dingen Blasphemie viel mehr in die Öffentlichkeit bringen will."

Das Bildungssystem schürt religiösen Hass

Vom Hass gegenüber religiösen Minderheiten seien in Pakistan nicht nur Christen betroffen, sondern auch Hindus oder Ahmaddiyya-Muslime: "Es ist einfach ganz tief in der Kultur verankert und wird leider auch über das Bildungssystem stetig weiter tradiert. In den Schulbüchern wird darauf hingewiesen, wie schlimm letztlich diese religiösen Minderheiten sind."
Diesen Hass versuche die islamistische Bewegung auszunutzen. Denen gehe es nicht um Asia Bibi, betont Delius. Vielmehr sähen die Islamisten die Angelegenheit als "Kraftprobe", um sich gegen die Regierung zu profilieren und in den Medien Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu bekommen. "Die haben eine ganz andere Agenda."
Mit religiösen Gefühlen haben offenbar auch nur die wenigsten Anzeigen wegen Blasphemie zu tun: Man gehe davon aus, dass in 98 Prozent der Fälle einfach Nachbarschaftsstreitigkeiten dahintersteckten. "Der Nachbar, der seinen Baum nicht beschneidet oder der irgendwie den Müll vor die Haustür kehrt. Also, was macht man? In Pakistan geht man dann den Weg, den Nachbarn anzuzeigen wegen Blasphemie. Und das ist leider ein tödlicher Weg, der fast immer zum Ziel führt", sagt Delius. "Das ist alles kein gutes Zeichen und hat natürlich auch absolut nichts mit Religion zu tun."
(uko)
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