Aufruhr im Hinterhof der USA

Vorgestellt von Reinhard Kreissl · 11.03.2007
Der Pakistaner Tariq Ali widmet sich in seinem Buch "Piraten der Karibik" den politischen und sozialen Entwicklungen in Süd- und Mittelamerika. Der Linksruck auf dem Kontinent ist für ihn ein Grund zur Hoffnung darauf, dass sich mehr Länder gegen die durch die USA diktierte Weltordnung auflehnen.
Tariq Ali gehört zur immer kleiner werdenden Gruppe jener aufrechten Linken, die sich nicht scheuen, gegen den herrschenden Konsens anzuschreiben. Ali stammt aus Pakistan und hat am eigenen Leibe erlebt, was Imperialismus heißt. Als reisender und rasender Derwisch ist er mit seinen Essays immer dort, wo es gilt, den Finger in die ideologische Wunde des WC zu legen. WC – diese Abkürzung verwendet Ali für das hegemoniale Konstrukt des Washington Consensus, der für die herrschende Weltordnung die Partitur abgibt. Ali möchte mit seinem neuen Buch, das sich den politischen und sozialen Entwicklungen in Süd- und Mittelamerika widmet, die vom WC dominierten Verhältnisse zum Tanzen bringen auch auf die Gefahr hin, dabei so manchen Misston zu produzieren.

Von den 300 Seiten seines Buches entfällt knapp die Hälfte auf einen Anhang, der neben diversen Interviews mit Politikern aus Venezuela und Reden von Hugo Chavez und Evo Morales eine wütende Abrechnung mit der französischen Zeitung Le Monde und eine kurze biographische Skizze eines offensichtlich bei ihm in Ungnade gefallenen Aktivisten aus der Opposition gegen Chavez enthält. Der Hauptteil des Buches ist den drei Ländern Bolivien, Venezuela und Kuba gewidmet, in denen die Piraten der Karibik sich gegen die Politik der Vereinigten Staaten auflehnen.

Ali sieht in Figuren wie Chavez und Morales leuchtende Vorbilder für all jene Länder, die von der imperialen Weltordnung benachteiligt werden und stellt sie in eine Reihe mit politischen Führern, die im Westen eher als Bedrohung denn als Vorbild wahrgenommen werden.

"Muktada al-Sadr, Haniyam Nasrallah, Achmadinedschad: Alle sind sie aufgestiegen, weil sie die städtischen Armen in ihrem jeweiligen Bereich organisieren konnten, in Gaza, Dschenin, Beirut und Sidon, Bagdad und Basra, Teheran und Schiras. Hamas, Hisbollah, die Sadr-Brigaden und die Basidschi haben ihre Wurzeln in den Slums. Der Gegensatz zu den Hariris, Chalabis, Karsais und Allawis, diesen in Übersee lebenden Millionären, korrupten Bankern und CIA-Repräsentanten, auf die der Westen setzt, könnte nicht größer sein. Aus den Vorstadtgassen und Bretterbuden der Verelendeten der Erde, die vom ungeheuerlichen Reichtum des Rohöls umgeben sind, bläst plötzlich ein radikaler Wind."

Ob es sich dabei um einen beginnenden Sturm oder nur eine etwas auffrischende kurze Brise handelt, ist eine offene Frage. Auch Ali verweist in seinen Schilderungen der drei amerikanischen Gesellschaften auf die Gefahren und Probleme, denen sich die radikalen Reformer ausgesetzt sehen. Nichtsdestotrotz, es ist notwendig, diese Ansätze publik zu machen, sie kritisch zu diskutieren und nicht gleich in den derzeit herrschenden Tonfall zu verfallen, der überheblich vom Endpunkt der Geschichte meint, auf die antiquierten sozialrevolutionären Ideen zurückblicken zu müssen.

Ali liest seinen ehemaligen Genossen immer wieder die Leviten, geißelt ihre Anpassungsbereitschaft und hält gegen die herrschende Lehre an seinen Prinzipien fest.

"Seit 1991 gilt jedes Gespräch über Widerstand, selbst auf der Ebene der Ideen, vielen als verrückt, störend, pervers und rückwärtsgewandt. Große Teile der ehemaligen Linken wollen jetzt dazugehören. Dieser Wunsch wurde zu einem solch machtvollen Antrieb, dass viele intelligente Männer und Frauen, die früher nach Moskau oder Peking ... geschaut haben, mittlerweile zu glühenden Anhängern der Neuen Ordnung geworden sind."

Es ist Alis Verdienst, dass er diesen Gesinnungswandel nicht vollzogen hat und seine Leser zu kritischer Solidarität mit den neuen Regimes aufruft. Die oft subjektiv gefärbte Darstellung der jüngsten Ereignisse im Hinterhof der letzten verbleibenden Weltmacht verdichtet sich nicht immer zu einem analytisch klaren Bild – aber sie vermittelt etwas von der Aufbruchstimmung und dem Optimismus, die sich hier verbreiten. Dank eines ausführlichen Anmerkungsapparats kann man bei Interesse an näheren Informationen in dem Buch auch Hinweise auf umfangreichere Studien über die politischen Verhältnisse in Südamerika finden. Die Stärke des Buchs ist die manchmal etwas rücksichtslose Zuspitzung. Mit unverblümter Radikalität und gelegentlich beißender Ironie zeigt Ali, dass es sich bei seinen Piraten um Repräsentanten eines Politikertypus handelt, die entgegen dem Zynismus der Realpolitik westlicher Prägung ein soziales Anliegen haben. Es geht um Armut, Gerechtigkeit, um Solidarität und Anerkennung – so zumindest Alis Einschätzung. Man kann ihm auf jeder zweiten Seite Blauäugigkeit vorwerfen, aber ob der in der allgemeinen Abgeklärtheit manchmal naiv wirkende Optimismus sich am Ende nicht doch als eine prophetische Zukunftsprognose erweist, ist eine offene Frage. Zudem sollte man vermutlich nicht unterschätzen, und auch darauf weist Ali hin, wie schnell sich einzelne für sich genommen schwache Widerstandsherde, zu einem Netzwerk verbinden können, in dem sich die Gegner verfangen. Möglicherweise ist das Imperium, unter dessen Herrschaft wir im Moment stehen, wirklich ein Koloss auf tönernen Füßen, der im Angesicht solcher Herausforderungen unter seinem eigenen Gewicht zusammenbricht.

Man möchte einem solchen Buch jenen irrealen Überschwang zugestehen, der jede revolutionäre Bewegung auszeichnet. Denn gelehrte Abhandlungen, die uns zeigen, wie aussichtslos jeder Widerstand geworden ist, gibt es schließlich zuhauf.

Tariq Ali: Piraten der Karibik - Die Achse der Hoffnung
Aus dem Englischen von Michael Bayer, Ursula Pesch und Karin Schuler
Diederichs Verlag, München 2007