Aufreger auf der Bühne

Wenn es um öffentliche Aufregung in der Kultur geht, um den "Skandal" gar, war auf das Theater noch immer Verlass. Anders als in den Bildenden Künsten, ganz anders auch als im Kino, gelingt es im und um das Theater herum immer wieder, erstaunlich viel Wirbel vom Zaun zu brechen. Bernd Noack geht in seinem Buch "Theater-Skandale" der Frage nach, was zusammenkommen muss, damit ein handfester Skandal entsteht.
In der Tat hat Bernd Noack eine Fleißarbeit vorgelegt; und das Sortiment der "Theater-Skandale", die auf 270 Seiten Erwähnung finden, ist noch nicht einmal sonderlich vollständig – zumal er gerade die Aufreger jüngerer Zeit erstaunlich knapp verhandelt: die sogenannte "Spiralblockaffäre" um den Frankfurter Kritiker-Papst Gerhard Stadelmaier (dem in einer Premiere von einem leicht durchgeknallten Akteur bekanntlich der Notizblock kurzzeitig entwendet wurde, weswegen er die Vorstellung verließ und die Pressefreiheit in höchster Gefahr sah) und die von chronisch theaterunkundigen Gelegenheits-SPIEGEL-Autor Joachim Lottmann erfundene Debatte über das "Ekeltheater", die im Zusammenhang mit den abendfüllend nackten und mächtig sudelnden "Macbeth"-Akteuren in Jürgen Goschs Düsseldorfer Inszenierung stand. Ein Foto aus dieser Aufführung übrigens ziert den Titel des Skandale-Buches.

Dankenswert ausführlich hingegen erzählt Noack (oder besser: lässt Noack die Fundstellen erzählen, denn er hat vor allem Berichte über Skandale gesammelt) von den "Rachegöttinen" des Aischylos (die in der Ur-"Orestie" derart grässlich ausgesehen haben sollen, dass empfindsameren Seelen – siehe "Macbeth" und die Nackten- nachgerade schlecht geworden sei) und von randalierenden Jung-Offizieren in einem Berliner Theater des Jahres 1810 (es ging um Rivalitäten in Bezug auf eine Schauspielerin; Polizeibericht liegt bei!); er hat den Krach um die Wiener Kaiser-Freundin Katharina Schratt ausgegraben (die als Schauspielerin unziemlich besetzt war, worüber sich sogar Karl Kraus erregte), das Ende des Burgtheater-Direktors Paul Schlenther dokumentiert (der 1909 über eine Klamotte namens "Hargudl am Bach" stolperte) und die "Schlacht" um Arthur Schnitzlers "Reigen" detailliert beschreiben lassen (in der es den Protestierern sowohl um nicht gezeigten Sex auf der Bühne als auch um den jüdischen Autor zu tun war). Rolf Hochhuths "Stellvertreter" von 1963 kommt natürlich vor, Rainer Werner Fassbinders angeblich antisemitisches Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" 1985, "Heldenplatz" von Thomas Bernhard 1989 (mitten im Zusammenbruch des Ostblocks regte sich Wien, halb Österreich und die ganze Theater-Welt um ein Stück Vergangenheits-Beschwörung auf, unfassbar!) und jenes Stück desselben Autors, bei dem der Regisseur Claus Peymann 1972 bei den Salzburger Festspielen einen Skandal provozierte, indem er am Schluss die Notbeleuchtung löschen lassen wollte. Und da spielte, natürlich, die Feuerpolizei nicht mit; worauf Peymann und Bernhard mit Aplomb zu Skandal-Opfern mutierten. "Skandal" – das kann zuweilen auch ziemlich kleine Münze sein.

Schon diese Auswahl von Noacks Skandalen verweist auf eines der Probleme des Buches – es ist stark Österreich-lastig; was womöglich mit dem Verlag zu tun hat, der in Salzburg zu Hause ist. Vielleicht aber ist ja auch die Alpenrepublik, und ist speziell Wien mitsamt dem schauspielervernarrten Theaterpublikum vor Ort, skandalisierbarer als das coole Preußen …
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Mit Histörchen gerät Noack aber zunehmend auf eine sonderbare, um nicht zu sagen: falsche Spur – er scheint immer öfter anzunehmen, dass "Skandale" von den Theatermachern gewollt und gemacht seien; vor allem von den bösen Regietheater-Propagandisten heutzutage
Vieles fehlt naturgemäß – die Saalschlacht um Arnolt Bronnens "Exzesse" ebenso wie Peter Steins Münchner Rausschmiss, nachdem sein Ensemble nach einer Premiere für den Vietcong sammelte.
So konnte nur ein Tableau unterschiedlichster Splitter der Skandal-Geschichte des Theaters entstehen – aber eben leider kein Bild. Vor allem aber lässt der Autor den in diesem Fall dringend benötigten Theoretikern nicht genügend Raum, die nämlich erklären könnten, was denn nun wirklich ein Theaterskandal ist und wie er entstehen kan, ja vielleicht entstehen muss in bestimmten Momenten und unter bestimmten Voraussetzungen. Das wäre nützlich gewesen, damit sich der kundige Leser künftig nicht mehr irreführen lässt.

Rezensiert von Michael Laages

Bernd Noack: Theater-Skandale. Von Aischylos bis Thomas Bernhard
Residenz Verlag/ Wien, Salzburg 2008
270 Seiten, 22 Euro