Aufnahme von Flüchtlingen

Ein zynischer Appell zu Weihnachten

03:44 Minuten
Die Grenze Türkei-Griechenland.
Nur wenige der Flüchtlinge weltweit landen überhaupt an den europäischen Grenzen, sagt Elke Schmitter. Sie kritisiert, dass Europa damit politisch nicht fertig werde. © Getty Images / NurPhoto
Elke Schmitter im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 18.12.2020
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Bundestagsabgeordnete fordern in einem "Weihnachtsappell" die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus griechischen Lagern. Die Journalistin Elke Schmitter findet das zynisch: Man wisse seit Jahren, dass Flüchtlinge an den Grenzen Europas "verrecken".
Die Grüne Annalena Baerbock hat unterschrieben, genauso wie Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) oder der CDU-Politiker Volker Kauder: In einem "Weihnachtsappell" fordern fast 250 Bundestagsabgeordnete die Bundesregierung auf, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Auch nach den Worten von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sind die Zustände auf der griechischen Insel Lesbos noch immer "katastrophal" - drei Monate nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria.
Der Aufruf der Abgeordneten löst bei der Journalistin und Buchautorin Elke Schmitter, die unter anderem für den "Spiegel" schreibt, dennoch Unbehagen aus. Ihr komme es so vor, "als wäre es das fünfte Weihnachten in Folge, wo man kurz bevor der Heilige Abend kommt, sich noch einmal in Deutschland daran erinnert, dass die Flüchtlingspolitik ein ungelöstes Problem ist und dass an den Grenzen Europas Leute nicht nur sterben, sondern verrecken".
Elke Schmitter im Porträt
Die Journalistin und Autorin Elke Schmitter© picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini

Akteure geben Verantwortung ab

Diese Verquickung von Politik und Humanität in dem Appell sei "in sich zynisch, auch wenn es die Akteure selber nicht so empfinden mögen", so Schmitter. Deutschland habe es über zwanzig Jahre verschleppt zu sagen, was Einwanderung, politisches Asyl und humanes Handeln seien. Wenn aber jetzt "dieselben Akteure, die in den Parteien verantwortlich sind, welche Flüchtlingspolitik gemacht wird", einen Weihnachtsappell machten, sei das "verdreht" und "falsch", meint die Journalistin: "Man gibt Verantwortung ab."
"Die Alternative wäre, an den 364 Tagen, die nicht Weihnachten sind, die Dinge wirklich auf den Weg zu bringen", so Schmitter weiter. Sie gibt auch zu bedenken:
"Die ursprüngliche in Europa als Flüchtlingskrise bezeichnete Krise entstand dadurch, dass Flüchtlinge in internationalen Lagern zu wenig Versorgung hatten, zu wenig Nahrungsmittel, keine medizinische Versorgung. Die haben sich auf den Weg gemacht. Das war das ursprüngliche Versagen. Wir reden in Europa über ein paar Prozent der weltweiten Flüchtlinge, die überhaupt hier an diesen Grenzen landen. Und wir werden überhaupt nicht politisch damit fertig."
(bth)
Die gesamte Sendung mit Elke Schmitter hören Sie hier:

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Elke Schmitter, geboren 1961 in Krefeld, studierte Philosophie in München. Sie ging nach dem Studium zum Lektorat des S. Fischer Verlages nach Frankfurt am Main. 1989 wechselte sie zur "taz" in Berlin, wo sie erst als Kulturredakteurin, dann in der Chefredaktion (mit Michael Sontheimer) arbeitete. Zwischen 1994 und 2001 war sie als Autorin vor allem für die "Süddeutsche Zeitung" und "Die Zeit" tätig, gelegentlich für die "FAZ". Seit 2001 ist sie Mitglied der Kulturredaktion des "Spiegel". Elke Schmitter hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter den Roman "Frau Satoris".

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