Aufgewärmte Thesen

Rezensiert von Winfried Sträter |
Vor 20 Jahren erregte der Historiker Ernst Nolte bundesweites Aufsehen, als er den Nationalsozialismus damit erklärte, dass er eine Reaktion auf die Schrecken und die Herausforderung des Bolschewismus darstellte. Nolte wolle die Einzigartigkeit des Holocaust in Frage stellen und die nationalsozialistischen Verbrechen relativieren: das wurde ihm damals vorgeworfen.
Noltes Gedanken provozierten seine Zunft so sehr, dass sich daran der erbitterte Historikerstreit entzündete, der jahrelang die Intellektuellen der Bonner Republik in Atem hielt. Inzwischen ist viel Wasser den Rhein hinunter geflossen, und manche Dinge sieht man heute, nach dem Ende des Kalten Krieges, ganz anders als damals. In dieser Situation tritt Ernst Nolte noch einmal mit einem Buch an die Öffentlichkeit und die Frage ist: Bietet es neuen Zündstoff? Oder hat auch Ernst Nolte seine Ansichten geändert?

Im Grunde nicht. Er analysiert die Entwicklung der Weimarer Republik, aber ihn bewegt nur die eine Frage: Warum ist sie untergegangen? Warum konnte Hitler / der Nationalsozialismus die Republik beiseite fegen? Insofern bleibt er sich treu.

Als Faschismustheoretiker hat er sich in den 60er Jahren einen Namen gemacht, damals mit dem scharfsinnigen Buch "Der Faschismus in seiner Epoche", und die Frage, wie so etwas wie der Nationalsozialismus passieren konnte, hat ihn ein Leben lang nicht, bis heute nicht, losgelassen. Das Ereignis, das er ja als junger Mann selbst miterlebt hat, war so erschütternd, das man seinen lebenslangen Versuch, eine Erklärung dafür zu finden, nur als angemessene Reaktion eines Historikers bezeichnen kann.

In der Tat stellt sich die Frage: Warum jetzt dieses Buch? Denn das Grundmuster, wie er das Phänomen Hitler erklärt, hat sich nicht geändert. Aber die Situation. Nolte ist ein Geschichtsphilosoph mit politischem Spürsinn. Offenbar ist es aus seiner Sicht den Versuch wert, in dieser Situation, in der viele Linke ehemalige Überzeugungen revidieren, noch einmal seine Gedanken zum Besten zu geben. Denn genau genommen ist es ein etwas merkwürdiges Buch: Es heißt "Weimarer Republik", geht aber nur im Hinblick auf Hitler um die Geschichte dieser Zeit.

Nolte gibt in dem Buch ganz offen zu, dass die Republikgeschichte eine ergänzte Fassung von Vorlesungen aus den 60er Jahren darstellt. Das heißt: Er hat sich gar nicht die Mühe gemacht, zum Titelthema etwas Neues zu verfassen. Im Kern ist das Buch alt, neu sind nur seine Vor- und Nachgedanken, die allerdings recht umfangreich sind, mehr als ein Drittel des Buches.

Noltes Verdienst bleibt, dass er frühzeitig nach den inneren Zusammenhängen zwischen den scheinbaren Gegensätzen Nationalsozialismus und Bolschewismus gefragt hat. Im linksliberalen Milieu der 70er und 80er Jahre war das ein Tabubruch. Dem Sowjetsystem wurde zugute gehalten, dass eine humane Idee darin stecke. Nolte hingegen beschrieb und beschreibt hier wieder den Bolschewismus als ein Ungeheuer, das der Erste Weltkrieg geboren hat, die Erfahrung entfesselter Gewalt und die daraus hochschießende Hoffnung auf eine humane Friedensordnung.

Da beginnt für Nolte das Verhängnis und er verfolgt die Vorgeschichte bis in die Zeit der Französischen Revolution zurück. Für ihn ist das Drama der Moderne das Übermaß an Hoffnung, an Massen-Enthusiasmus für eine große Idee. Utopismus mündet in den Terror: Das ist sein Credo, das versucht er zu belegen, und da dürfte er heute viel mehr als früher auf offene Ohren stoßen. Auch wenn er die Friedenssehnsucht der russischen Bevölkerung beschreibt, die Lenin für seine bolschewistische Revolution ausnutzt und die in den Terror mündet.

Wenn man dann allerdings Noltes einleitende Gedanken hinter sich hat und seine Geschichte der Weimarer Republik liest, wird es schwieriger, ihm zu folgen. Denn es geht ihm einzig und allein darum, den Nationalsozialismus als Reaktion auf Lenin und den Bolschewismus zu erklären. Es gibt zwar immer wieder interessante Details, und Nolte versteht es, mit stilistischer Eleganz Zusammenhänge darzustellen. Aber die Penetranz, mit der er dieses eine Motiv, Hitler ist die Reaktion auf Lenin, verfolgt, macht in meinen Augen das Buch problematisch.

Er zitiert Hitler und Goebbels, wie sie sich auf Lenin beziehen, ihn einerseits als höllische Bedrohung an die Wand malen, andererseits seine Radikalität bewundern und will damit zeigen, dass die Gefahr der bolschewistischen Machtergreifung so groß war, dass Hitler eine logische Reaktion darauf war. Kein Wort darüber, dass Hitler zum Beispiel pauschal vom Marxismus sprach und SPD und KPD in einen Topf warf. Keine Frage danach, wie Hitler sich des antikommunistischen Motivs bediente, um damit Propaganda zu machen. Keine Frage danach, aus welchem spezifisch deutschen Nachkriegssumpf Hitler aufgestiegen ist. Nolte blickt wie das Kaninchen auf die Schlange und beschwört die alleinige Gefahr des Bolschewismus herauf, um Hitler zu erklären.

Noch irritierender ist die Penetranz, mit der Nolte Oktoberrevolution und Bolschewismus, also den Urgrund des folgenden Übels, mit den Juden in Verbindung bringt. Aus der Tatsache, dass Juden maßgeblich daran beteiligt waren, leitet er einen befremdlichen Zusammenhang zwischen Judaismus und Bolschewismus ab. Er sagt nicht explizit, das Judentum sei am Bolschewismus und damit am Nationalsozialismus schuld, aber er legt gedankliche Fährten in diese Richtung.

Dabei ist Noltes wirkliche Position oft schwer zu fassen: Wenn er sich gedanklich auf so gefährlichem Gelände bewegt, relativiert er das zugleich so, dass man ihn anhand von Textstellen nur schwer darauf festnageln könnte.

Aber er zitiert Hitlers "Mein Kampf": "Siegt der Jude mit Hilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über die Welt, dann wird seine Krone der Totentanz der Menschheit sein." Und dann folgert Nolte daraus, Hitler habe mit der "unzulässigen Einengung auf die Juden etwas Richtiges im Blick". Und argumentiert, was Hitler damals angegriffen habe, verstehe man heute unter Globalisierung, und verknüpft auch die über den Begriff "kommerzielle Globalisierung" mit den Juden, und kommt schließlich zu dem Schluss, die Globalisierungsgegner von heute befänden sich in gewisser Beziehung in der Spur Hitlers.

An dem Punkt merkt man, dass er doch nicht stehen geblieben ist in der Zeit des Historikerstreits, zumindest rhetorisch: Der Begriff Globalisierung ist ja erst in den letzten Jahren in Umlauf gekommen.

Ernst Nolte: Die Weimarer Republik
Herbig-Verlag, München 2006
427 Seiten, 29,90 Euro