Aufforsten für eine stürmische Zukunft
Riesige Mengen Bäume sind durch den Orkan "Kyrill" im letzten Jahr gefällt worden. Im Hochsauerland, wo vor allem schnell wachsende Fichtenbestände vorherrschen, waren durch die sich hinziehenden Aufräumarbeiten lange Zeit Wanderwege gesperrt. Die Touristenzahlen gingen zurück. Die Forstverwaltung möchte nun statt des "Brotbaums" der Sauerländer Waldbauern, der Fichte, sturmresistentere Arten anpflanzen. Das stößt nicht nur auf Gegenliebe.
Die "Ranger" der Landesforstverwaltung hämmern noch an ihrer neuen Blockhütte. Bald ist es soweit: Der "Kyrill-Park" im hochsauerländischen Örtchen Schanze öffnet seine Tore. Dann können sich die Besucher auf dem fünf Hektar großen Waldgelände ein Bild machen von der ungeheuerlichen Kraft der Natur. "Wir haben alles original so belassen, wie es der Orkan Kyrill hinterlassen hat", sagt Forst-Ranger Ralf Schmitt
"Im Moment stehen wir mitten auf dieser Windwurffläche, von Kyrill geworfen, letztes Jahr am 18. Januar. Und man hat jetzt den schönen Eindruck mal zu sehen: Was ist wirklich passiert? Wie stark ist das Holz? Wie groß sind die Wurzelteller? Das kann man im Hintergrund gut erkennen."
Ein gezimmerter Steg führt mitten hinein in ein hölzernes "Schlachtfeld". Die Landesforstverwaltung, verantwortlich für den Katastrophen-Park, hat keine Mühen gescheut.
"... für den Rollstuhlfahrer befahrbarer Bereich ist 200-250 Meter lang, mit einer Aussichtsplattform, dass die Rollstuhlfahrer auch von oben in die Fläche einsehen können. (Schritte) Und für die anderen Besucher ist es möglich, über einen ganz schmalen Pfad die ganze Fläche insgesamt zu betrachten. Man kann in der Entfernung sehen, da ist ein Übersteig gebaut, dann gibt es Unterführungen, dann gibt es schmale Brücken, die man überqueren muss, und so weiter und sofort."
Der Kyrill-Park soll auch die Touristen in das Hochsauerland zurücklocken. Um über 40 Prozent waren die Besucherzahlen im letzten Jahr zurückgegangen. Viele Wanderwege waren gesperrt. Die Aufräumarbeiten in den Wäldern hatten Vorrang.. Nun sind die meisten der vielen hunderttausend umgestürzten Bäume aufgearbeitet. Die Windwurfflächen sind abgeräumt und können wieder aufgeforstet werden. Nur hier im Kyrill-Park soll alles so bleiben, wie es ist, sagt Ranger Schmitt.
"Wir werden hier absolut nichts machen forstwirtschaftlich, das Holz wird nicht genutzt und es wird auch nichts gepflanzt. Das soll die Natur alles selbst entscheiden."
Die ersten Bäume einer neuen, von selbst angesamten Wald-Generation sind schon da:
"Zu sehen ist im Moment vor uns eine kleine Fläche in der schon Rotbuche, Ahorne und Fichten wachsen ... das heißt, das wird in Zukunft der Wald werden."
Bis zur Kyrill-Katastrophe standen auf der etwa 700 Meter hohen Bergkuppe 100 Jahre alte Fichten. Der "Brotbaum" der Sauerländer Waldbauern. Seit etwa 200 Jahren wurden die schnell wachsenden Nadelbäume im Hochsauerland auch überall dort angepflanzt, wo von Natur aus einst Misch- und Laubwälder standen. Nun hat Kyrill diese - von Menschenhand angelegten - "Monokulturen" auf tausenden von Hektar hinweggefegt. Der diesjährige Frühjahrs-Orkan "Emma" folgte, brachte weitere Fichtenbestände zu Fall. Und in Zukunft wird es noch stürmischer werden, sagen die Klimaforscher voraus.
Doch was heißt das für die Wälder, die nun auf den Windwurfflächen neu begründet werden müssen? Zumeist von privaten Waldbesitzern, denen etwa zwei Drittel der Forstflächen im Hochsauerland gehören.
"Es wird eine Entscheidung getroffen für die nächsten 80 bis 140 Jahre, deswegen muss diese Entscheidung einzelbetrieblich individuell sehr gut überlegt werden, was für den Betrieb das Richtige ist."
Sagt Hans von der Goltz, der Leiter des Regionalforstamtes Oberes Sauerland. Doch wie wird sich das Klima in den nächsten hundert Jahren verändern? Die Klimaforscher haben unterschiedliche Szenarien vorgelegt. Bis zu fünf Grad Erwärmung im Jahresdurchschnitt sagen manche für die Zukunft voraus.
"Wir gehen von einem durchschnittlichen Szenarium aus, was davon ausgeht, dass wir zwei Grad Erwärmung bekommen werden, im Winter mehr Niederschlag und im Sommer weniger Niederschlag. Und das führt dazu, dass die Baumart Fichte in Bereichen, wo sie jetzt vielleicht schon auf einem Grenzstandort ist, wirklich hochriskant sein wird. Und dort empfehlen wir eine Umkehr auf andere Baumarten."
Eine Umkehr von der Fichte zu Laubhölzern und zu anderen Nadelbaumarten. Zum Beispiel der Douglasie, die tiefer wurzelt als die Fichte und somit auch Stürmen besser widerstehen kann. Die Revierleiter des Forstamtes sollen die vielen privaten Waldbesitzer überzeugen: Der neue Wald muss an die Klimaerwärmung angepasst werden. Die den Förstern mit ihren gewaltigen Stürmen viel außerplanmäßige Arbeit bereitet.
(Im fahrendem Auto) "... ach die Losnummer habe ich noch nicht - ich rufe sofort an!"
Per Handy aus dem fahrendem Auto organisiert Friedbert Schulte-Schmale den laufenden Holzverkauf. Seit 25 Jahren ist der 52-jährige Forstmann im Dienst. Aber noch nie war der Job in der freien Natur so stressig wie im letzten Jahr, dem Jahr nach Kyrill.
Riesige Holzmengen mussten schnellstmöglich aufgearbeitet werden, bevor sie von Schädlingen befallen werden, viel mehr, als die heimischen Sägewerke aufnehmen konnten. Damit der Holzmarkt nicht zusammenbricht und die Holzpreise in den Keller rutschen, haben die Forstleute in Windeseile europaweit nach Abnehmern gesucht. Sogar nach Korea und Saudi Arabien wurden die Windwurf-Fichten aus dem Hochsauerland verkauft.
"Wir sind immer noch mit der Aufbereitung der Kyrillschäden beschäftigt. Ich denke, dass wir so in ein zwei Monaten fertig sein werden mit der Aufarbeitung. Wir haben ja mittlerweile auch schon wieder einen neuen Sturm gehabt, den Sturm Emma am 1. März, da sind wieder 5000 Festmeter Holz gefallen in etwa."
Parallel zu den Aufarbeitungen entwickeln die Förster jetzt Standort-Konzepte für die Neuanpflanzungen, Konzepte, die an die kommenden Klimaveränderungen angepasst sein sollen
"Durch den Sturm ist eine neue Situation eingetreten und es bieten sich neue Chancen. Wir haben ja die Fichte und wir wissen ja, dass sie nicht gerade sturmresistent ist. Aber wir wissen auch, dass es auch andere Baumarten gibt wie die Douglasie zum Beispiel oder auch Laubhölzer, das ist 'ne Chance mal wieder Laubholz aufzuforsten, Mischbestände zu gründen und daran arbeiten wir."
Naturnahe Wälder mit artenreichen Baumbeständen halten starken Stürmen deutlich besser stand als reine Fichtenbestände - das hat sich bereits in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Deshalb wird die Aufforstung mit Laubhölzern vom Land Nordrheinwestfalen schon seit Jahren kräftig subventioniert. Bei der Buche, dem ursprünglichen Baum des Hochsauerlandes, mit 55 Cent pro Pflanze.
Manfred Mester macht zwei Schritte nach vorne, hackt mit der Pflanzhacke ein 30 Zentimeter großes Loch für das nächste Bäumchen. Etwa 500 Rotbuchen hat er heute schon gepflanzt, Reihe um Reihe in schwierigem Gelände, zwischen umgestürzten Fichten-Stubben und zusammen geschobenen Holzresten.
"Ich muss erst mal die Nadeln wegmachen (Hacken) und dann zwei, drei mal tief reinhacken und dann die Pflanzen nehmen, da in die Erde stecken, zusehen, dass gut Boden bei die Wurzeln kommt, dass die Pflanze gut angeht, schön was dabei kratzen und dann schön fest trampeln."
Eigentlich ist Manfred Mester längst auf Rente. Aber im Moment wird im Hochsauerland jeder Mann gebraucht, der mit der "Wiedehopfhacke" und den empfindlichen Jungpflanzen umgehen kann. Sogar aus dem östlichen Polen wurden Pflanzkolonnen angeworben. Denn viele der privaten Waldbesitzer wollen ihre kahlen Windwurf-Flächen so schnell wie möglich wieder aufforsten.
Allerdings setzt die Mehrzahl der Waldbauern wiederum auf ihren bisherigen "Brotbaum", die Fichte. Auch der 37-jährige Landwirt Martin Steilmann, der neben seinem Milchviehbetrieb auch 25 Hektar Waldfläche bewirtschaftet.
"Es wird auch viel über Douglasie diskutiert, das sehe ich auch ein, aber da sind die Investitionskosten einfach viel höher und die Fichte, die kann man in den Boden hacken und fertig."
Wenn Douglasien gepflanzt werden, was die Förster jetzt für besonders windige Kammlagen empfehlen, muss die Kultur unbedingt eingezäunt werden. Denn Bäumchen mit den weichen, duftenden Nadeln sind ein Leckerbissen für das Rehwild. Ebenso wie die Buchen. Aber der Bau eines Gatters ist teuer. Und vor allem: Die Laubbäume brauchen gut hundert Jahre, bis sie bares Geld einbringen. Waldbauer Steilmann setzt deshalb wie viele auf eine andere Strategie für die stürmische Zukunft:
"Wenn man sich anguckt, was jetzt umgekippt ist, ja das sind Bestände, die älter als 70-80 Jahre sind, wenn man jetzt die Fichtenwirtschaft ein bisschen umstellt, weg von diesen langen Umtriebszeiten, von dem Ziel, möglichst dickes Holz zu erzielen, sondern so 'ne Fichtenwirtschaft, die sagt, in fünfzig Jahren ist meine Fichte auch dick genug, ... dann hat man im Grunde genommen auch wirklich keine Probleme damit."
Waldbauern wie Steilmann wollen mit der Fichte möglichst schnell Geld verdienen. Förster wie Schulte-Schmale sollen aber auch im Privatwald möglichst für den Aufbau artenreicher Wälder sorgen. Weil sie nicht nur ökologisch sondern auch touristisch wertvoller sind, als die öden Fichtenplantagen. Ein Widerspruch tut sich auf, zwischen privaten und öffentlichen Interessen. Er bietet viel Stoff für Diskussionen auf den kahlen Windwurfflächen.
Förster: "Was ist in 50 Jahren?"
Waldbauer: "Das ist die nächste Frage, das weiß ja im Grunde auch kein Mensch."
Förster: "Aber mein Großvater hat mal Eschen gepflanzt vor unserem Hof und mein Bruder ist jetzt froh, dass mein Großvater die Eschen gepflanzt hat, weil die erlösen 'ne Menge Geld. Wir müssen immer wieder auch an unserer nachfolgende Generation denken."
Waldbauer: "Das ist ja grundsätzlich, dass man viel diversifizieren soll in seinem Betrieb. Bloß man muss auch möglichst gucken, womit man wahrscheinlich das meiste verdient."
Förster: "Das kann man jetzt noch nicht sagen, was in fünfzig Jahren wirtschaftlich ist."
Waldbauer: "Nee."
Die Zukunft vorauszusehen ist schwer, auch in der Forstwirtschaft. Vor fünfzig Jahren hatten die staatlichen Förster den Landwirten im Hochsauerland noch wärmsten empfohlen, ihre Wiesen- und Waldflächen mit Fichten aufzuforsten. Auch Subventionen gab es schon damals dafür. Denn das Fichtenholz wurde im boomenden Steinkohlebergbau dringend benötigt, als sogenanntes Grubenholz. Das ist längst vorbei. Trotzdem konnten die Waldbesitzer gerade in der jüngsten Vergangenheit mit dem sturmempfindlichen Nadelbaum noch gutes Geld verdienen, räumt Forstmann Schulte-Schmale ein.
"Man hat es gerade vor dem Sturm gesehen, das Fichtenholz war wieder extrem gefragt und sehr teuer. Und da hat es sicher auch wieder gelohnt in den Wald zu gehen und das ist eben mit anderen Baumarten noch nicht so sicher."
Es gibt noch einen Grund, warum viele der Forstbetriebsgemeinschaften, zu denen sich die privaten Waldbesitzer zusammengeschlossen haben, wieder auf Fichtenmonokulturen setzen: Dort kann man mit dem sogenannten "Harvester" arbeiten. Das sind fahrbare Holzernte-Maschinen, die Bäume in Windeseile und Personal sparend fällen, entasten und transportfertig aufarbeiten können. Nach Kyrill half vor allem diese moderne Technik, schnell mit den gewaltigen Holzmengen fertig zu werden, bestätigt Hans von der Goltz ein, der Leiter des Regionalforstamtes Oberes Sauerland. Als Bundesvorsitzender der "Arbeitsgemeinschaft naturnaher Wirtschaftswald" bedauert er aber:
"Dass in den letzten 20 bis 30 Jahren die Maschinentechnik schwerpunktmäßig ausgerichtet war auf die Bewältigung von Plantagenwäldern, nenne ich es mal, von Altersklassenwäldern, das ist natürlich auch einfacher. In den gemischten Wäldern haben sie sehr viel unterschiedliche Sortimente, unterschiedliche Dimensionen, Baumarten."
Für den naturnahen und sturmfesteren Mischwald, dem nach Willen der neuen Forstpolitik die Zukunft gehören soll, fehlt es bisher an rationellen Ernteverfahren.
"Und ich hoffe, dass wir in diese Richtung jetzt auch mehr Geld investieren können, in die Entwicklung solcher Verfahren. Denn die Gesellschaft braucht und will diese Mischwälder und wenn wir keine angepasste Holzernte-Technik haben, dann macht das keinen Sinn, diese Wälder aufzubauen."
Neue Ideen und Methoden für die moderne Mischwaldbewirtschaftung haben Forstleute zusammen mit der Universität München und der Forst- und Versuchsanstalt Freiburg bereits entwickelt. Jetzt sollen sie im Hochsauerland erstmalig der Fachöffentlichkeit vorgestellt werden. Auf einer internationalen Fachmesse, die Anfang Juni in Schmallenberg stattfindet. Und zu der 40.000 Besucher aus dem In- und Ausland erwartet werden. Auch Exkursionen zu den Windwurfflächen wird es geben.
"Wie herrlich ist es, einmal wieder durch den Wald zu gehen und auf einmal eine Waldwiese zu sehen und keine Fichte. Oder sehen Sie jetzt mal diese Aussichten, wenn wir hier vor anderthalb Jahren gestanden hätten, wir hätten nur Fichte gesehen hier oben."
Endlich ein wenig Zeit zum Durchatmen für Revierleiter Schulte-Schmale. Von der knapp 700 hundert Meter hohen Istert kann man weit in das Hochsauerland hineinblicken. Dank Kyrill.
Förster: "Jetzt stehen Sie hier und haben diese herrliche Aussicht - also wenn die Wege mal wieder in Ordnung sind, wenn es mal wieder grün wird, was ist das für eine attraktive Landschaft - noch attraktiver als vorher."
Auch Bäckermeister Heribert Heinemann aus Kirchrarbach sieht das so. Ihm gehört die Fläche hier oben auf der Kuppe der Istert. Auf dem höchsten Punkt hat er dem Orkan Kyrill, der auch seinen Wald komplett zerstörte hatte, nun ein Denkmal gesetzt.
Bäckermeister: " Früher, wenn irgendwelche Katastrophen waren, hat man ein Kreuz aufgestellt, hat man 'ne Kapelle gebaut und da haben wir uns auch überlegt was können wir da machen. ... Und dann haben wir uns entschlossen, auch wegen der schönen Aussicht, hier oben eine Kyrill-Hütte zu bauen. Und jetzt ist hier so ein kleiner Anlaufpunkt, wo man ein bisschen verweilen kann und auch wirklich ein bisschen in sich gehen und überlegen: Was kann die Natur mit uns machen und wie klein sind wir dagegen."
Als Bäckermeister Heinemann und seine Frau dann zusammen in ihrer neuen Hütte saßen, entschlossen sie sich auf den Rat des Försters zu hören, und hier jetzt keine dunkle Fichtenmonokultur mehr anzupflanzen. Sondern einen freundlichen Buchen-Mischwald.
"Ob jetzt die Buche dazu geeignet ist, die Stürme, die wir hatten oder noch bekommen, zu überstehen, weiß ich nicht. Ich habe einfach ein bisschen Spaß da dran und meine Frau auch, dass wir das ein bisschen mischen. Und ich denke mal, die Natur wird's uns hinterher vielleicht auch ein bisschen danken."
"Im Moment stehen wir mitten auf dieser Windwurffläche, von Kyrill geworfen, letztes Jahr am 18. Januar. Und man hat jetzt den schönen Eindruck mal zu sehen: Was ist wirklich passiert? Wie stark ist das Holz? Wie groß sind die Wurzelteller? Das kann man im Hintergrund gut erkennen."
Ein gezimmerter Steg führt mitten hinein in ein hölzernes "Schlachtfeld". Die Landesforstverwaltung, verantwortlich für den Katastrophen-Park, hat keine Mühen gescheut.
"... für den Rollstuhlfahrer befahrbarer Bereich ist 200-250 Meter lang, mit einer Aussichtsplattform, dass die Rollstuhlfahrer auch von oben in die Fläche einsehen können. (Schritte) Und für die anderen Besucher ist es möglich, über einen ganz schmalen Pfad die ganze Fläche insgesamt zu betrachten. Man kann in der Entfernung sehen, da ist ein Übersteig gebaut, dann gibt es Unterführungen, dann gibt es schmale Brücken, die man überqueren muss, und so weiter und sofort."
Der Kyrill-Park soll auch die Touristen in das Hochsauerland zurücklocken. Um über 40 Prozent waren die Besucherzahlen im letzten Jahr zurückgegangen. Viele Wanderwege waren gesperrt. Die Aufräumarbeiten in den Wäldern hatten Vorrang.. Nun sind die meisten der vielen hunderttausend umgestürzten Bäume aufgearbeitet. Die Windwurfflächen sind abgeräumt und können wieder aufgeforstet werden. Nur hier im Kyrill-Park soll alles so bleiben, wie es ist, sagt Ranger Schmitt.
"Wir werden hier absolut nichts machen forstwirtschaftlich, das Holz wird nicht genutzt und es wird auch nichts gepflanzt. Das soll die Natur alles selbst entscheiden."
Die ersten Bäume einer neuen, von selbst angesamten Wald-Generation sind schon da:
"Zu sehen ist im Moment vor uns eine kleine Fläche in der schon Rotbuche, Ahorne und Fichten wachsen ... das heißt, das wird in Zukunft der Wald werden."
Bis zur Kyrill-Katastrophe standen auf der etwa 700 Meter hohen Bergkuppe 100 Jahre alte Fichten. Der "Brotbaum" der Sauerländer Waldbauern. Seit etwa 200 Jahren wurden die schnell wachsenden Nadelbäume im Hochsauerland auch überall dort angepflanzt, wo von Natur aus einst Misch- und Laubwälder standen. Nun hat Kyrill diese - von Menschenhand angelegten - "Monokulturen" auf tausenden von Hektar hinweggefegt. Der diesjährige Frühjahrs-Orkan "Emma" folgte, brachte weitere Fichtenbestände zu Fall. Und in Zukunft wird es noch stürmischer werden, sagen die Klimaforscher voraus.
Doch was heißt das für die Wälder, die nun auf den Windwurfflächen neu begründet werden müssen? Zumeist von privaten Waldbesitzern, denen etwa zwei Drittel der Forstflächen im Hochsauerland gehören.
"Es wird eine Entscheidung getroffen für die nächsten 80 bis 140 Jahre, deswegen muss diese Entscheidung einzelbetrieblich individuell sehr gut überlegt werden, was für den Betrieb das Richtige ist."
Sagt Hans von der Goltz, der Leiter des Regionalforstamtes Oberes Sauerland. Doch wie wird sich das Klima in den nächsten hundert Jahren verändern? Die Klimaforscher haben unterschiedliche Szenarien vorgelegt. Bis zu fünf Grad Erwärmung im Jahresdurchschnitt sagen manche für die Zukunft voraus.
"Wir gehen von einem durchschnittlichen Szenarium aus, was davon ausgeht, dass wir zwei Grad Erwärmung bekommen werden, im Winter mehr Niederschlag und im Sommer weniger Niederschlag. Und das führt dazu, dass die Baumart Fichte in Bereichen, wo sie jetzt vielleicht schon auf einem Grenzstandort ist, wirklich hochriskant sein wird. Und dort empfehlen wir eine Umkehr auf andere Baumarten."
Eine Umkehr von der Fichte zu Laubhölzern und zu anderen Nadelbaumarten. Zum Beispiel der Douglasie, die tiefer wurzelt als die Fichte und somit auch Stürmen besser widerstehen kann. Die Revierleiter des Forstamtes sollen die vielen privaten Waldbesitzer überzeugen: Der neue Wald muss an die Klimaerwärmung angepasst werden. Die den Förstern mit ihren gewaltigen Stürmen viel außerplanmäßige Arbeit bereitet.
(Im fahrendem Auto) "... ach die Losnummer habe ich noch nicht - ich rufe sofort an!"
Per Handy aus dem fahrendem Auto organisiert Friedbert Schulte-Schmale den laufenden Holzverkauf. Seit 25 Jahren ist der 52-jährige Forstmann im Dienst. Aber noch nie war der Job in der freien Natur so stressig wie im letzten Jahr, dem Jahr nach Kyrill.
Riesige Holzmengen mussten schnellstmöglich aufgearbeitet werden, bevor sie von Schädlingen befallen werden, viel mehr, als die heimischen Sägewerke aufnehmen konnten. Damit der Holzmarkt nicht zusammenbricht und die Holzpreise in den Keller rutschen, haben die Forstleute in Windeseile europaweit nach Abnehmern gesucht. Sogar nach Korea und Saudi Arabien wurden die Windwurf-Fichten aus dem Hochsauerland verkauft.
"Wir sind immer noch mit der Aufbereitung der Kyrillschäden beschäftigt. Ich denke, dass wir so in ein zwei Monaten fertig sein werden mit der Aufarbeitung. Wir haben ja mittlerweile auch schon wieder einen neuen Sturm gehabt, den Sturm Emma am 1. März, da sind wieder 5000 Festmeter Holz gefallen in etwa."
Parallel zu den Aufarbeitungen entwickeln die Förster jetzt Standort-Konzepte für die Neuanpflanzungen, Konzepte, die an die kommenden Klimaveränderungen angepasst sein sollen
"Durch den Sturm ist eine neue Situation eingetreten und es bieten sich neue Chancen. Wir haben ja die Fichte und wir wissen ja, dass sie nicht gerade sturmresistent ist. Aber wir wissen auch, dass es auch andere Baumarten gibt wie die Douglasie zum Beispiel oder auch Laubhölzer, das ist 'ne Chance mal wieder Laubholz aufzuforsten, Mischbestände zu gründen und daran arbeiten wir."
Naturnahe Wälder mit artenreichen Baumbeständen halten starken Stürmen deutlich besser stand als reine Fichtenbestände - das hat sich bereits in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Deshalb wird die Aufforstung mit Laubhölzern vom Land Nordrheinwestfalen schon seit Jahren kräftig subventioniert. Bei der Buche, dem ursprünglichen Baum des Hochsauerlandes, mit 55 Cent pro Pflanze.
Manfred Mester macht zwei Schritte nach vorne, hackt mit der Pflanzhacke ein 30 Zentimeter großes Loch für das nächste Bäumchen. Etwa 500 Rotbuchen hat er heute schon gepflanzt, Reihe um Reihe in schwierigem Gelände, zwischen umgestürzten Fichten-Stubben und zusammen geschobenen Holzresten.
"Ich muss erst mal die Nadeln wegmachen (Hacken) und dann zwei, drei mal tief reinhacken und dann die Pflanzen nehmen, da in die Erde stecken, zusehen, dass gut Boden bei die Wurzeln kommt, dass die Pflanze gut angeht, schön was dabei kratzen und dann schön fest trampeln."
Eigentlich ist Manfred Mester längst auf Rente. Aber im Moment wird im Hochsauerland jeder Mann gebraucht, der mit der "Wiedehopfhacke" und den empfindlichen Jungpflanzen umgehen kann. Sogar aus dem östlichen Polen wurden Pflanzkolonnen angeworben. Denn viele der privaten Waldbesitzer wollen ihre kahlen Windwurf-Flächen so schnell wie möglich wieder aufforsten.
Allerdings setzt die Mehrzahl der Waldbauern wiederum auf ihren bisherigen "Brotbaum", die Fichte. Auch der 37-jährige Landwirt Martin Steilmann, der neben seinem Milchviehbetrieb auch 25 Hektar Waldfläche bewirtschaftet.
"Es wird auch viel über Douglasie diskutiert, das sehe ich auch ein, aber da sind die Investitionskosten einfach viel höher und die Fichte, die kann man in den Boden hacken und fertig."
Wenn Douglasien gepflanzt werden, was die Förster jetzt für besonders windige Kammlagen empfehlen, muss die Kultur unbedingt eingezäunt werden. Denn Bäumchen mit den weichen, duftenden Nadeln sind ein Leckerbissen für das Rehwild. Ebenso wie die Buchen. Aber der Bau eines Gatters ist teuer. Und vor allem: Die Laubbäume brauchen gut hundert Jahre, bis sie bares Geld einbringen. Waldbauer Steilmann setzt deshalb wie viele auf eine andere Strategie für die stürmische Zukunft:
"Wenn man sich anguckt, was jetzt umgekippt ist, ja das sind Bestände, die älter als 70-80 Jahre sind, wenn man jetzt die Fichtenwirtschaft ein bisschen umstellt, weg von diesen langen Umtriebszeiten, von dem Ziel, möglichst dickes Holz zu erzielen, sondern so 'ne Fichtenwirtschaft, die sagt, in fünfzig Jahren ist meine Fichte auch dick genug, ... dann hat man im Grunde genommen auch wirklich keine Probleme damit."
Waldbauern wie Steilmann wollen mit der Fichte möglichst schnell Geld verdienen. Förster wie Schulte-Schmale sollen aber auch im Privatwald möglichst für den Aufbau artenreicher Wälder sorgen. Weil sie nicht nur ökologisch sondern auch touristisch wertvoller sind, als die öden Fichtenplantagen. Ein Widerspruch tut sich auf, zwischen privaten und öffentlichen Interessen. Er bietet viel Stoff für Diskussionen auf den kahlen Windwurfflächen.
Förster: "Was ist in 50 Jahren?"
Waldbauer: "Das ist die nächste Frage, das weiß ja im Grunde auch kein Mensch."
Förster: "Aber mein Großvater hat mal Eschen gepflanzt vor unserem Hof und mein Bruder ist jetzt froh, dass mein Großvater die Eschen gepflanzt hat, weil die erlösen 'ne Menge Geld. Wir müssen immer wieder auch an unserer nachfolgende Generation denken."
Waldbauer: "Das ist ja grundsätzlich, dass man viel diversifizieren soll in seinem Betrieb. Bloß man muss auch möglichst gucken, womit man wahrscheinlich das meiste verdient."
Förster: "Das kann man jetzt noch nicht sagen, was in fünfzig Jahren wirtschaftlich ist."
Waldbauer: "Nee."
Die Zukunft vorauszusehen ist schwer, auch in der Forstwirtschaft. Vor fünfzig Jahren hatten die staatlichen Förster den Landwirten im Hochsauerland noch wärmsten empfohlen, ihre Wiesen- und Waldflächen mit Fichten aufzuforsten. Auch Subventionen gab es schon damals dafür. Denn das Fichtenholz wurde im boomenden Steinkohlebergbau dringend benötigt, als sogenanntes Grubenholz. Das ist längst vorbei. Trotzdem konnten die Waldbesitzer gerade in der jüngsten Vergangenheit mit dem sturmempfindlichen Nadelbaum noch gutes Geld verdienen, räumt Forstmann Schulte-Schmale ein.
"Man hat es gerade vor dem Sturm gesehen, das Fichtenholz war wieder extrem gefragt und sehr teuer. Und da hat es sicher auch wieder gelohnt in den Wald zu gehen und das ist eben mit anderen Baumarten noch nicht so sicher."
Es gibt noch einen Grund, warum viele der Forstbetriebsgemeinschaften, zu denen sich die privaten Waldbesitzer zusammengeschlossen haben, wieder auf Fichtenmonokulturen setzen: Dort kann man mit dem sogenannten "Harvester" arbeiten. Das sind fahrbare Holzernte-Maschinen, die Bäume in Windeseile und Personal sparend fällen, entasten und transportfertig aufarbeiten können. Nach Kyrill half vor allem diese moderne Technik, schnell mit den gewaltigen Holzmengen fertig zu werden, bestätigt Hans von der Goltz ein, der Leiter des Regionalforstamtes Oberes Sauerland. Als Bundesvorsitzender der "Arbeitsgemeinschaft naturnaher Wirtschaftswald" bedauert er aber:
"Dass in den letzten 20 bis 30 Jahren die Maschinentechnik schwerpunktmäßig ausgerichtet war auf die Bewältigung von Plantagenwäldern, nenne ich es mal, von Altersklassenwäldern, das ist natürlich auch einfacher. In den gemischten Wäldern haben sie sehr viel unterschiedliche Sortimente, unterschiedliche Dimensionen, Baumarten."
Für den naturnahen und sturmfesteren Mischwald, dem nach Willen der neuen Forstpolitik die Zukunft gehören soll, fehlt es bisher an rationellen Ernteverfahren.
"Und ich hoffe, dass wir in diese Richtung jetzt auch mehr Geld investieren können, in die Entwicklung solcher Verfahren. Denn die Gesellschaft braucht und will diese Mischwälder und wenn wir keine angepasste Holzernte-Technik haben, dann macht das keinen Sinn, diese Wälder aufzubauen."
Neue Ideen und Methoden für die moderne Mischwaldbewirtschaftung haben Forstleute zusammen mit der Universität München und der Forst- und Versuchsanstalt Freiburg bereits entwickelt. Jetzt sollen sie im Hochsauerland erstmalig der Fachöffentlichkeit vorgestellt werden. Auf einer internationalen Fachmesse, die Anfang Juni in Schmallenberg stattfindet. Und zu der 40.000 Besucher aus dem In- und Ausland erwartet werden. Auch Exkursionen zu den Windwurfflächen wird es geben.
"Wie herrlich ist es, einmal wieder durch den Wald zu gehen und auf einmal eine Waldwiese zu sehen und keine Fichte. Oder sehen Sie jetzt mal diese Aussichten, wenn wir hier vor anderthalb Jahren gestanden hätten, wir hätten nur Fichte gesehen hier oben."
Endlich ein wenig Zeit zum Durchatmen für Revierleiter Schulte-Schmale. Von der knapp 700 hundert Meter hohen Istert kann man weit in das Hochsauerland hineinblicken. Dank Kyrill.
Förster: "Jetzt stehen Sie hier und haben diese herrliche Aussicht - also wenn die Wege mal wieder in Ordnung sind, wenn es mal wieder grün wird, was ist das für eine attraktive Landschaft - noch attraktiver als vorher."
Auch Bäckermeister Heribert Heinemann aus Kirchrarbach sieht das so. Ihm gehört die Fläche hier oben auf der Kuppe der Istert. Auf dem höchsten Punkt hat er dem Orkan Kyrill, der auch seinen Wald komplett zerstörte hatte, nun ein Denkmal gesetzt.
Bäckermeister: " Früher, wenn irgendwelche Katastrophen waren, hat man ein Kreuz aufgestellt, hat man 'ne Kapelle gebaut und da haben wir uns auch überlegt was können wir da machen. ... Und dann haben wir uns entschlossen, auch wegen der schönen Aussicht, hier oben eine Kyrill-Hütte zu bauen. Und jetzt ist hier so ein kleiner Anlaufpunkt, wo man ein bisschen verweilen kann und auch wirklich ein bisschen in sich gehen und überlegen: Was kann die Natur mit uns machen und wie klein sind wir dagegen."
Als Bäckermeister Heinemann und seine Frau dann zusammen in ihrer neuen Hütte saßen, entschlossen sie sich auf den Rat des Försters zu hören, und hier jetzt keine dunkle Fichtenmonokultur mehr anzupflanzen. Sondern einen freundlichen Buchen-Mischwald.
"Ob jetzt die Buche dazu geeignet ist, die Stürme, die wir hatten oder noch bekommen, zu überstehen, weiß ich nicht. Ich habe einfach ein bisschen Spaß da dran und meine Frau auch, dass wir das ein bisschen mischen. Und ich denke mal, die Natur wird's uns hinterher vielleicht auch ein bisschen danken."